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Lex Koller – neu entdeckt

2. September 2007, NZZ am Sonntag
Lex Koller, neu entdeckt

Die Beschränkung des Grunderwerbs durch Ausländer galt lange als Mittel im Kampf gegen zu viel Zweitwohnungsbau in den Alpen. Der raumplanerische Erfolg blieb allerdings aus. Das Schlagwort vom «Ausverkauf der Heimat» wurde bald nur noch von Rechtsaussen benutzt. Jetzt, da der Bundesrat die Lex Koller abschaffen will, entdecken plötzlich auch urbane Linke ihre Vorzüge – als Schutz gegen die globale Bodenspekulation und steigende Wohnungsmieten. Von Larissa Bieler und Thomas Isler

«Das Gesetz ist nicht mehr notwendig», sagte Justizminister Christoph Blocher Anfang Juli vor den Medien. Und Umweltminister Moritz Leuenberger sekundierte: «Das Problem ist nicht die Nationalität der Eigentümer.» Die Abschaffung der Lex Koller schien eine beschlossene Sache. Alle Kantone und alle Bundesratsparteien waren sich in der Vernehmlassung einig gewesen, das «Bundesgesetz über den Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland» brauche es künftig nicht mehr. Die Presse stellte Blocher und Leuenberger keine Fragen.

Keine zwei Monate später hat der Wind gedreht. «Die Lex Koller wird mich überleben», orakelte alt Justizminister Arnold Koller, der dem Gesetz den Namen lieh, unlängst im «Blick». Er sei nahe genug bei den Leuten, um zu merken, dass eine Abschaffung chancenlos sei, sagt er. Das sehen nun auch die Parteien so. SVP und SP wollen die Lex Koller plötzlich behalten, auch Vertreter von CVP und FDP haben ihre Meinung geändert – die Abschaffung des Gesetzes scheint im Parlament keine Mehrheit mehr zu finden («NZZ am Sonntag» vom 26. August).

Stetig ausgehöhlt
Zweck der Lex Koller ist es noch immer, «den Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland zu beschränken, um die Überfremdung des einheimischen Bodens zu verhindern». Das war schon 1961 so, als der Erlass als befristeter Bundesbeschluss geschaffen und nach dem damaligen Justizminister «Lex von Moos» genannt wurde. Das Gesetz erhielt seither die Namen verschiedener Justizminister – und wurde stetig abgeschwächt. Heute beschränkt es noch den Erwerb von Zweitwohnungen durch Personen im Ausland und verbietet ihnen explizit, in schweizerische Wohnimmobilien zu investieren.

Lange galt die Lex Koller als probates Mittel gegen einen überbordenden Zweitwohnungsbau in Schweizer Tourismusorten – mit zweifelhaftem Erfolg allerdings, wie heute sichtbar ist. Zwar ist ausländisches Eigentum in den Bergen abgewehrt worden – über 80 Prozent der Zweitwohnsitze in Tourismusgebieten gehören Schweizern. Doch die Zahl der Zweitwohnungen hat zwischen 1980 und 2000 in den typischen Tourismuskantonen um mehr als einen Drittel zugenommen. In Gemeinden wie Laax oder Leukerbad beträgt ihr Anteil an allen Wohnungen über 70 Prozent. Und solche Häuser verursachen die Probleme, ob sie nun einem Italiener oder einem Basler gehören: Sie zerstören Ortsbild und Landschaft, also das Kapital dieser Orte. Ausserdem treibt die hohe Nachfrage nach Immobilien die Preise in die Höhe – am Suvretta-Hang in St. Moritz werden für den Quadratmeter bis zu 25 000 Franken bezahlt – und vertreibt damit Einheimische aus den Kernzonen.

Wozu also die Lex Koller behalten? «Das Gesetz bringt nichts», sagt FDP-Präsident Fulvio Pelli. Seine Motion im Jahr 2002 gab dem Bundesrat den Anstoss zur jetzt geplanten Abschaffung. Alle Ausländer könnten in der Schweiz ein Haus oder eine Wohnung kaufen, wenn sie das wollten, sagt Pelli und verweist auf den Kauf eines Engadinerhauses in der Gemeinde S-chanf durch die Familie von Italiens Ex-Regierungschef Silvio Berlusconi. Dafür meldete sich Berlusconis 77-jährige Schwiegermutter in der Gemeinde an – das genügte. «Die Umgehung der Lex Koller ist einfach, und durch internationale Verträge ist das Gesetz so weit abgeschwächt, dass es uns nicht hilft», pflichtet da auch der Bündner SVP-Regierungsrat Hansjörg Trachsel bei.

Die Vertreter der Tourismuskantone Graubünden, Wallis, Bern begrüssen die Abschaffung der Lex Koller. Damit würde Personen im Ausland der Weg geöffnet, ohne Bewilligungsverfahren Ferienwohnungen zu erwerben sowie zur Kapitalanlage in Bauland und Liegenschaften zu investieren. Um einer damit drohenden weiteren Zersiedelung in den Bergen zu begegnen, schlägt Blochers Bundesamt für Justiz «als flankierende Massnahme eine Ergänzung des Raumplanungsgesetzes vor». Die Tourismuskantone würden diese raumplanerischen Massnahmen indes lieber autonom in die Hand nehmen. «Das Problem muss mit oder ohne Lex Koller gelöst werden», sagt der Walliser CVP-Staatsrat Jean-Michel Cina.

Radikales Zermatt
In den Bergkantonen werden bereits Massnahmen diskutiert: Quoten für Zweitwohnungen, die versteigert werden könnten, spezielle Bauzonen für Einheimische, höhere Ausnutzungsziffern für Hotels, Kurtaxen für kalte statt warme Betten oder Lenkungsabgaben. Einige Orte haben gehandelt. Die schärfsten Lösungen kennt derzeit Zermatt. Dort hat das Volk im Juni mit einem Ja-Stimmen-Anteil von über 70 Prozent einer Lösung zugestimmt, die von den örtlichen Behörden als «zu extrem» abgelehnt worden war: In Zermatt dürfen künftig jährlich nur noch 850 Quadratmeter Bruttogeschossfläche für Zweitwohnungen verbaut werden. Zudem werden Bauvorhaben mit einem hohen Anteil an Erstwohnungen bevorzugt. Doch Thomas Abgottspon, Zermatter Hotelier und Gemeinderat, gibt sich noch nicht zufrieden: «Jetzt prüfen wir die Einführung einer Lenkungsabgabe.» Damit müsste man für eine 3,5-Zimmer-Wohnung neu über 10 000 Franken jährlich bezahlen. Dies soll acht Millionen Franken in die Gemeindekasse spülen – zur Mitfinanzierung der Infrastruktur. Zudem soll die Abgabe Besitzer von Ferienwohnungen anspornen, diese Dritten zu vermieten.

Jetzt, da die Lex Koller kurz vor der Abschaffung steht, erhält sie plötzlich neue Fürsprecher, auch im Flachland und in den Städten. Nachdem jahrelang vor allem Rechtsaussenparteien mit dem Schlagwort vom «Ausverkauf der Heimat» auf das Gesetz pochten, entdeckt neu eine linke Mittelschicht die Lex Koller als Schutz vor globaler Spekulation und steigenden Wohnkosten im urbanen Umfeld.

«Die Lex Koller schützt nicht nur Tourismusgebiete vor dem Zweitwohnungsbau, sondern vor allem die Städte und Agglomerationen», sagt Jacqueline Badran, Stadtzürcher SP-Gemeinderätin, Unternehmerin und Präsidentin des linken Komitees «Pro Lex Koller», das vor Wochenfrist in der Presse vor einer Abschaffung warnte: «Das Gesetz verhindert, dass Immobilien als blosse Kapitalanlage zum Spielball der Spekulation werden.»

Steigen die Mieten?
Es gehe ihr nicht um Überfremdung, sondern um eine Einschränkung der Nachfrage nach Boden und Immobilien, sagt Badran. Sie verweist auf den «fundamentalen Umbau der globalisierten Immobilienmärkte» sowie eine neue Schicht von Super-Reichen, etwa aus Russland, die ihr Geld in Immobilien und Zweitwohnungen in attraktiven Weltstädten parkieren. «Die Schweiz ist ideal dafür», sagt Badran und warnt vor den Folgen: Steigt die Nachfrage, steigen die Preise für Immobilien – und die Mieten.

Dieser Zusammenhang wird in der Botschaft zur Abschaffung der Lex Koller bestritten, wo es heisst: «Es ist zu erwarten, dass ausländische Investitionen in den Wohnungsbau das vielerorts knappe Angebot an Mietwohnungen vergrössern werden.» Ähnlich argumentiert auch der unabhängige Immobilienexperte Dieter Marmet (siehe Interview nebenan).

Hinter der Fürsprache von urbanen Linken für die Lex Koller steckt die Angst vor Zuständen wie in London. Dort ist wegen des Immobilienbooms das Wohnen für Krankenschwestern und Polizisten in akzeptabler Distanz zur Innenstadt unerschwinglich geworden. London plant deshalb pro Jahr zusätzlich 10 000 bezahlbare Wohnungen. Solchen Segregationstendenzen in Städten müsse man politisch entgegentreten, sagen Fachleute. Zürich tue dies etwa recht erfolgreich, indem rund 40 Prozent der Wohnungen der öffentlichen Hand oder Genossenschaften gehörten, ohne dass dies den freien Markt kaputtgemacht habe. Die Lex Koller hingegen sei dafür ungeeignet.

Die Regierungen in Tourismuskantonen sind ebenfalls für eine schnelle Abschaffung der Lex Koller, unter Verweis auf interessante Projekte, wie das des Ägypters Sawiris in Andermatt, das nur dank einer Ausnahme des Bundesrates in «staatspolitischem Interesse» möglich wurde. «Es gibt mehrere Projekte mit neuen Beherbergungsformen, die eine Mischung aus Hotel und Zweitwohnungen sind, die bei uns auf den Markt wollen», sagt etwa der Walliser Staatsrat Cina. Das wären warme Betten, die wegen der Lex Koller blockiert sind, da sie von internationalen Investoren finanziert werden.

Andere Bergler bleiben misstrauisch – wie die linken Städter – und wollen die Lex Koller nicht leichtfertig aus der Hand geben. «Sie ist ein Pfand», sagt Romedi Arquint, Bündner SP-Grossrat aus Cinuos-chel und Mitinitiant einer Initiative im Oberengadin zur Beschränkung des Zweitwohnungsbaus. Diese war vor zwei Jahren vom Volk – gegen den Willen von Behörden und Bauwirtschaft – angenommen worden. Mit der Umsetzung dieser raumplanerischen Massnahme hapert es jedoch, weil die Gemeinden der Region höhere Kontingente wollen als vom Volk vorgesehen. Solange die Raumplanung keinen Erfolg hat, will Arquint sein Pfand nicht aus der Hand geben.

2. September 2007, 02:19, NZZ Online
Lex Koller – neue Liebe zu einem alten Gesetz
Lex Koller – neue Liebe zu einem alten Gesetz
Der Erlass, der heute Lex Koller genannt wird und aufgehoben werden soll, wurde vor 1961 als befristeter Bundesbeschluss geschaffen und sollte die «Überfremdung des Grundeigentums» verhindern, indem er den Grunderwerb in der Schweiz durch Ausländer einschränkte und einer Genehmigungspflicht unterstellte.

In dem Masse, wie Öffnung und Liberalisierung der Schweizer Wirtschaft zunahmen, veraltete das Gesetz. Mit jeder Revision wurde es inhaltlich abgeschwächt. Seit 1997 dürfen auch Ausländer in Schweizer Geschäftsimmobilien investieren. Zudem können andere Staatsangehörige, die etwa im Rahmen der Personenfreizügigkeit in der Schweiz arbeiten, an ihrem Wohnort ein Eigenheim erwerben.

Heute beschränkt die Lex Koller nur noch den Erwerb von Zweitwohnungen durch Personen im Ausland mittels Kontingenten sowie einer Bewilligungspflicht und verbietet ihnen den Erwerb von schweizerischen Wohnimmobilien, etwa als Kapitalanlage. Der Bundesrat will die Lex Koller nun ganz abschaffen, da sie zur Lenkung des Zweitwohnungsbaus nicht genügt und diskriminierend ist, da sie nur Ausländer erfasst. Um eine steigende Zweitwohnungs-Nachfrage einzudämmen, sollen die Tourismus-Kantone in ihren Richtplänen Gemeinden und Regionen bezeichnen, in denen «flankierende Massnahmen» ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Erst- und Zweitwohnungen herstellen müssen. Dafür räumt ihnen die Vorlage drei Jahre Zeit ein. Erst danach soll die Lex Koller abgeschafft werden.

Die geplante Abschaffung der Lex Koller stiess vorerst auf keinen nennenswerten Widerstand. Doch nun regt sich Widerstand. Nachdem der Kampf gegen den «Ausverkauf der Heimat» jahrelang ein Thema der Rechtsaussenparteien war, die damit 1995 eine Referendumsabstimmung gewannen, entdeckt nun auch der linke und urbane Mittelstand in der Lex Koller eine Art Schutzschild gegen globale Spekulation, hohe Mieten und unbezahlbare Innenstädte.

Kommt die Lex Koller im nächsten Frühling in die Räte, könnte sie – falls kein Referendum zustande kommt – frühestens 2011 abgeschafft sein. (lab./tis.)