Zurück zur Übersicht

Von viel Geld-Reichtum

Wir legen den roten Teppich für die Superreichen aus – und haben keine Ahnung, was genau wir tun. Wir brauchen eine Reichtumsforschung.

Stellen Sie sich vor, Sie hätten letztes Jahr 3 Milliarden Franken (3’000 Millionen) «verdient». Unvorstellbar und unrealistisch? Dies ist letzthin einem Hedge-Fonds-Manager passiert, der sich nun zur Ruhe setzt. Legt er sein Geld nun zu bescheidenen 4% in sichere Anlagen – wie in Obligationen oder Immobilien – an, so hat er ein Einkommen aus Kapital von 120 Millionen jährlich oder ein Tageseinkommen von rund 330’000.- Franken inklusive Sonntag und Weihnachten. Da muss Herr Ospel ganz schön neidisch werden.

Worin besteht denn die Leistung, die ein solches Einkommen aus Kapital rechtfertigt? Welchen volkswirtschaftlichen Nutzen hat so ein Fonds? Werden damit Arbeitsplätze geschaffen? Woher kommen solche sagenhafte Gewinne? Ich weiss es nicht.

Viel mehr wissen wir über die Schafe in der Schweiz: wie viele es gibt, wo sie gehalten werden und welcher Rasse sie angehören, das alles wird statistisch erfasst. Wer wie viel Vermögen hat und wie es zustande gekommen ist, darüber tappen wir eher im Dunkeln. Dies hat jüngst das Beispiel der Dividendenbesteuerung im Rahmen der Unternehmenssteuerreform gezeigt, für die man keine fundierten Zahlen ermitteln konnte, mit welchen Steuerausfällen zu rechnen ist.

Die Linke beklagt zu Recht die massiv zunehmenden Unterschiede zwischen den oberen und unteren Lohneinkommen: Abzockerei auf der Teppichetage. Dabei manövrieren wir uns aber in ein Ablenkungsmanöver hinein, denn die Anklage kann immer mit dem Hinweis auf „das sind ja nur ein paar wenige, die Mehrheit der Manager ist ja anständig“ weggefegt werden. Was dringend in den Fokus unserer Betrachtung gerückt werden muss – und das ist ein ur-linkes Thema – sind die zunehmenden Unterschiede zwischen den Einkommen aus Arbeit und den Einkommen aus Kapital. Die Vermögen sind es nämlich, die unglaublich ungleich verteilt sind. Und gerade sie vermehren sich in rasender Geschwindigkeit konzentriert bei ganz wenigen. Rund 0,1% der Steuerpflichtigen besitzen 20% des Vermögens in der Schweiz. Rund 5% der Steuerpflichtigen besitzen 50% des Vermögens. Die Hälfte der Steuerpflichtigen dagegen hat kein oder ein negatives Vermögen, lebt also von der Hand in den Mund.

Diese Debatte zu führen ist umso wichtiger, weil seit Jahren die Rethorik, dass dieser Reichtum allen zu gute käme, dass diese Leute «investieren» und Arbeitsplätze schaffen würden, den politischen Diskurs und die Steuerwettbewerbsdebatte dominiert. In der Folge werden laufend Steuern auf Kapitaleinkommen abgeschafft: steuerbefreite Immobilienfonds, Dividenden, Kapitalgewinne, Hedge-Fonds sowie Pauschalbesteueung für Leute, die «nur» von ihrem Vermögen leben; bis nur noch Arbeit und Konsum besteuert werden. (Für die Sanierung der Invalidenversicherung wird nun die mehrwertsteuer angehoben!). Wir legen den roten Teppich für Superreiche aus, weil wir durch sie real erpressbar geworden sind. Sie bestimmen heute, wie viele Brosamen sie uns zuwerfen wollen. Wir bauen kaum merklich an einer neofeudalen Gesellschaft.

In meiner letzten Kolumne habe ich gefordert, dass die Linke unbedingt ein neues und gerechteres Steuersystem, mit richtigen Anreizen, Umverteilungs- und Lenkungswirkungen erfinden müsse. Dazu brauchen wir Grundlagen.

Deshalb brauchen wir dringend eine Reichtumsforschung, die uns sagt, woher die Vermögen kommen, wie sie verteilt sind und wie und ob die proklamierten volkswirtschaftlichen Nutzeneffekte tatsächlich eintreten. Diese Forschung muss dazu beitragen, einen ethisch-diskursiven Prozess in Gang zu setzen. Nicht wer wenig hat, muss sich legitimieren – wie in der Sozialhilfe oder bei Debatten über den Minimallohn – , sondern Gruppen, die Einkommen und Vermögen konzentrieren, haben dies zu rechtfertigen. Die Gerechtigkeitsperspektive muss aus dem politischen Nirgendwo herausgeholt werden. Justitia trägt ihre Augenbinde, damit sie unparteilich entscheide, nicht damit sie blind ist gegenüber dem, was sie anrichtet.

Publiziert im Stadtblatt Winterthur, März 2008