Zurück zur Übersicht

Die neofeudale Gesellschaft entlarvt sich: Klassenkampf von oben – Teil 4

(gekürzte Fassung publiziert im PS, 18. November 2010)

Im Moment habe ich das Gefühl alles entgleite uns. Dabei passiert es gerade jetzt. Vor unseren Augen: Der Klassenkampf von oben tobt. Und irgendwie, scheinen es nur Wenige zu merken. Dabei hätte man glauben, ja meinen können, die Finanzmarkt-Krise hätte entlarvend gewirkt.

Die Ewiggestrigen

Aber nein – nach der Verabschiedung unseres Parteiprogramms mit dem beständigen Fernziel der «Überwindung des Kapitalismus» mussten wir in sämtlichen Medien oberflächliches Geschreibsel lesen, dass wir ewiggestrig seien und das Programm doch ein Griff in Mottenkiste des Sozialismus sei. Ausgerechnet die Journalistenzunft, die vor Kurzem noch ansehen musste, wie der Besitzerfamilie der TA-Media 42 Millionen Dividenden ausbezahlt wurden währenddessen 60 Journalisten entlassen wurden. Die Journalistenzunft, die machtlos hinnehmen muss, dass Milliardäre unverhohlen Medien aufkaufen, um sie mit ihrer Macht des Kapitals für ihre Propagandazwecke zu missbrauchen. Die Journalistenzunft, die jüngst die neusten Forschungsergebnisse des Basler Soziologen Ueli Mäder, die die krasse Vermögensverteilung in der Schweiz erneut aufzeigten, ja schon fast skandalisierte. Trotzdem wagte keiner und keine von ihnen auch nur den Ansatz eines Gedankens, dass die «Überwindung des Kapitalismus» angemessen und aktueller denn je sein könnte oder zumindest angebrachter als im letzten Parteiprogramm.

«Steuerwende»
Beispiellos tobt der Klassenkampf um die Steuergerechtigkeits-Initiative. Die Kapital-Eingentümer drohen mit der Flucht. Sie demonstrieren offen ihre Macht indem sie uns klarmachen, dass sie bestimmen wie viel Steuern sie gnädigerweise zahlen wollen. Ihre Vasallen und Gehilfen dreschen seit Wochen mit den abstrusesten scheinökonomischen Argumenten auf uns ein. Der neuste Coup der NZZ ist, dass sie uns vorwirft, die Linke wolle die «Steuerwende». «Zur Linken sind Bestrebungen im Gang, die Kräfte zu bündeln und das Steuersystem der Schweiz regelrecht umzupflügen. Lanciert wurde der Schlachtplan vor einem Jahr» (NZZ vom 16. 11.2010). Wer pflügt denn hier unser Steuersystem um? In den letzten 10 Jahren wurde die Erbschaftssteuer fast ganz abgeschafft; danach wurde die Handänderungssteuer attackiert und in vielen Kantonen abgeschafft. Eine Einführung von Kapitalgewinnsteuern (Gewinne durch Aktienwertsteigerungen), wie das alle anderen Länder kennen, wurde kategorisch abgelehnt. Dafür wurden die Steuerprivilegien für Holdinggesellschaften ausgebaut. In Unternehmenssteuerreformen wurden die Kapitalsteuern (Steuern auf Eigenkapital einer Kapitalgesellschaft) und die Gewinnsteuern drastisch reduziert. Obendrauf wurden die Steuern auf Dividenden für Grossaktionäre halbiert. Im Rahmen des internen Steuerwettbewerbs wurden in fast allen Kantonen Vermögens- und Einkommensteuern im obersten Segment stark gesenkt. Jüngst hat der Hauseigentümerverband im Kanton Zürich eine Initiative eingereicht zur Reduktion der Grundstückgewinn-Steuern. Neuster Angriff: Die Gewinnsteuern sollen mit den Kapitalsteuern verrechnet werden können, was vor allem den Grosskonzernen dient. DAS nenne ich «Steuerwende» und «Schlachtplan». Das Kapital wurde massiv entlastet und dafür Arbeit (Lohnabzüge zur Sanierung der ALV) und Konsum (Erhöhung Mehrwertsteuer zur Sanierung IV) belastet. Das ist Klassenkampf von oben pur.
Wenn dann die SP reagiert und diesem «Race to the bottom» (Wettkampf nach unten) bei nur zwei Steuerarten eine moderate Grenze setzen will, wird die grosse Attacke auf die Superreichen Wohltäter herbeigeredet. Um es nochmals klarzustellen, um welche Dimensionen es sich hier handelt: Herr Schmidheini, der die Steuerflucht wohin auch immer angedroht hat, müsste ganze 17 Rappen pro 100 Franken Vermögen mehr bezahlen und Herr Schindler 40 Rappen. Bei steuerhalbierten Jahresdividenden und steuerbefreiten Kapitalgewinn-Einkommen von mindestens 250 Millionen Franken jährlich bei Herrn Schmidheini, erachte ich das als verkraftbar und finanzierbar.

Die Umverteiler
Wir würden uns auf die Fahne schreiben, «die unabdingbare Umverteilung zu erzwingen» schreibt die NZZ weiter. Ja natürlich will die SP umverteilen. Fundamental lieber wäre uns aber, würden die Ursprungsverteilung des gemeinsam erwirtschafteten Kuchens wesentlich egalitärer sein. Dann bräuchte man nämlich nicht im Nachhinein zu redistribuieren. Auch hier stellt sich die Frage: Wer verteilt denn wohin um? An dieser Stelle habe ich schon mehrfach versucht an Beispielen zu erklären wie die Umverteilung von unten nach oben funktioniert. Aktuelles Beispiel sind die Spekulationen von englischen Hedgefonds im Kakao-Markt. Dies hat zu drastischen Preissteigerungen geführt, die natürlich nicht den Bauern zu Gute kommen. Die Kakao-Verwerter haben in der Folge die Preise für Tafel-Schokolade um 30% erhöht. Also zahlen die Schokoladekonsumenten die Gewinne der Hedgefonds. Reine Umverteilung. Wenn 100 Millionen Schokoladekonsumenten deshalb pro Monat einen Franken mehr ausgeben kommt da ganz schön etwas zusammen. Die Umverteilung von unten nach oben ist mit Sicherheit um ein Vielfaches Grösser als diejenige von oben nach unten.

Man beisst nicht die Hand, die einen füttert
Die ganze Debatte von economiesuisse und ihren Verbündeten rund um die Steuergerechtigkeitsinitiative ist geprägt von dem fast schon religiösen Glauben, dass die Superreichen ihr Geld mit Leistung erwirtschaftet haben und alle schliesslich nur profitieren. Dieser Glaube wird als Tatsache verkauft und ist nicht beweispflichtig. Kronzeugin ist die Tatsache, dass 60% der staatsquotenrelevanten Ausgaben von Unternehmen und 20% Privatpersonen erbracht. (Kunststück – wenn rund 1% der Reichsten rund einen Viertel des Einkommens erzielen wie in den USA, dann zahlen sie logischerweise einen höheren Anteil an Steuern.) René Scheu, Herausgeber der ultra-neoliberalen Zeitschrift «Schweizer Monatshefte» formuliert es in der NZZ am Sonnatg vom 14. 11.2010 so: «Reichtum ist nicht Diebstahl, sondern Wohltat». Und schliesslich beisst man die Hand nicht, die einen füttert. Und wieder die Frage: Wer füttert hier wen? Ich jedenfalls erwirtschafte meinen Lohn und den Unternehmensgewinn gemeinsam mit meinen Mitarbeitenden. Und angesichts der immer dreister werdenden Gewinne der Eigentümer und den zahlreichen «Windfall Profit» Möglichkeiten durch neue Finanzprodukte und Finanz-Buisnessmodelle wird immer deutlicher: Die Arbeit füttert das Kapital.

Die Neider
Folgt man diesem nicht wird man kurz zum Neider erklärt. Markus Spillmann titelt seinen Kommentar zu dem Diskurs um die Reichen in der NZZ vom 16.11.2010 als «die Neidgesellschaft bläst zum Halali». Diese Debatte ist nicht von zu viel Neid geprägt, sondern von zu wenig Scham.

Immerhin – es wird endlich über die Superreichen geredet und über das Verteilungsproblem. Das ist besser als über Pseudoprobleme wie «Scheininvalide» zu reden. Aber wir haben noch viel zu tun, wollen wir die «Überwindung des Kapitalismus» mit Inhalten füllen.

Weitere Artikel zum Neofeudalismus:
http://www.badran.ch/blog/2008/06/19/neofeudalismus-teil-i-klassenkampf-von-oben/
http://www.badran.ch/blog/2008/07/24/neofeudalismus-teil-2-der-zerfall-der-werte/
http://www.badran.ch/blog/2008/11/14/neofeudalismus-teil-3-die-umverteilung-von-unten-nach-oben/