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ByeBye Rathaus von Zürich

Der Abschied aus meiner Tätigkeit als Gemeinderätin von Zürich

Ich war nun fast 10 Jahre Gemeinderätin von Zürich. Und das war ich gerne – sehr gerne sogar. Zuerst dachte ich, es ginge nur um Fussgängerstreifen und Einbürgerungen. Wie falsch ich doch lag. Die staatliche Produktion findet nämlich in den Gemeinden statt. Und Zürich mit einem Budget von 8 Milliarden Franken ist ein riesiger Gemischtwaren-Konzern. Hier ging es darum, ob es die neuen 300 Kinderbretreuungsplätze gibt oder nicht, wer eine städtische Parzelle zum bebauen bekommt oder nicht und ob das EWZ privatisiert wird oder im Volksvermögen bleibt. Das sind gewichtige Entscheidungen, die für die realen Menschen reale Auswirkungen haben. Ich werde den Gemeinderat sehr sehr vermissen, das ist sicher.

Hier meine Abschiedsrede aus dem Rat:

Mein erster Kulturschock – als ich im Mai 2002 zum ersten Mal als naive neu gewählte Gemeinderätin im Rathaus sass – war ein Dauer-Hickhäckchen nicht zwischen links und rechts – Nein gar nicht, sondern zwischen FDP und SVP. Ich sass vis a vis und traute meinen Augen und Ohren nicht. Nicht die SP lieferte sich einen Verbalkampf mit der SVP über den Ratssaal hinweg, wie ich das erwartet hatte, sondern Rolf Walter von der FDP schoss Pfeile in Richtung SVP-Siegenthaler und Schwyn. Ich erinnere mich, dass es sich wie an einem Tennismatch anfühlte, wo man nicht ein hin und her eines Tennisballs mit Kopfdrehen verfolgte, sondern einen harten verbalen Schlagabtausch zwischen der gleichen Ratsaalhälfte.

Zu dieser Zeit – das lernte ich schnell – gab es ein grosses Einvernehmen zwischen SP und FDP – die Koalition der Vernunft spielte nicht nur im Stadtrat, sondern vor allem auch im Gemeinderat. Ich lernte auch schnell, dass Politik als Kunst Mehrheiten und damit Konsens in Sachgeschäften zu finden, tatsächlich existierte. Es war Usanz, dass man sich parteiübergreifend an einen Tisch setzte, Vor- und Nachteile abwägte und nicht selten einen Dritten Weg fand, mit dem eine breite parteiübergreifende Mehrheit leben konnte.
Wie wunderbar war die Politik so für mich – ich, die zwar die Auseinandersetzung nicht scheut aber Harmonie liebe, ich, die als streitbar gilt aber immer den Konsens suche und nie mit Parteipolitik etwas anfangen konnte.
Wenn ich etwas im Leben gelernt hatte, dann war es die Weisheit, dass man nur gemeinsam stark war und Zusammenhalten eine essentielle Voraussetzung für Frieden, Freiheit, Gerechtigkeit und Prosperität ist.

Wie wir wissen ist diese wunderbare und urschweizerische Kunst der Konsensfindung oder manchmal auch des schalen Kompromisses etwa so dahin geschmolzen wie unsere Gletscher im zu warmen Klima. Die FDP aber auch die neue Parteien zeigen sich verschlossen, unnahbar und wenig sachpolitisch. Parteipolitik und häufiges Gezänk dominiert unsere politische und mediale Realität.
Mir macht das grosse Sorgen. Und wenn ich nach Bern schaue, so legen sich noch mehr dunkle Wolken über meinen grossen politischen Wunsch eine Konsens-Demokratie und Konsens-Schweiz zu bleiben.
Aber es gibt auch Silbertreifen am Horizont, die mich zuversichtlich stimmen. Letzten Mittwoch als ich mein letztes Geschäft im Gemeinderat behandelte, wusste ich im Voraus nicht wie im Rat gestimmt würde. Dies erstmalig: Denn NIE hatte ich nicht im Voraus, akribisch genau und hartnäckig wie ich bin, für Mehrheiten geworben und gefunden. Und siehe da – es wurde mit konfortabler Mehrheit überwiesen. Daraufhin habe ich – etwas sentimental wie ich bin – Bilanz gezogen. Ich habe festgestellt, dass ALLE meine Vorstösse – aber auch meine Finanzpolitik – der letzten bald 10 Jahren – darunter viele Motionen – eine Mehrheit fanden und allesamt überwiesen wurden. Das machte mich mit Blick auf Bern und unseren Gemeinderat wieder etwas zuversichtlicher. Konsens und Sachpolitik sind immer noch möglich.

Letztes Wochenende – nach einer Monate langen Suche nach einem Konsens – bei dem alle Parteien Federn lassen mussten – kam eine weitere fulminante Bestätigung: Eine sehr breite Koalition aus Mitte-Links-Grün, Kirchenvertretern, Mieter- und Genossenschafts-Verbänden, Pro Senectute und Quartiervereinen hat einen unglaublichen Sieg eingefahren. Mit 75,9% haben wir den Wohn-Artikel durch die Abstimmung gebracht. Das Erfolgsrezept dazu war naheliegend: Auf einander eingehen, klüger werden, Sachpolitik, respektvoll um Lösungen ringend, Gemeinsamkeiten und nicht Differenzen suchend, das Gemeinwohl im Fokus und vor allem Zusammenhalten.

So bin ich überglücklich und versöhnt – ein schöneres Abschiedsgeschenk aus der Gemeindepolitik hätte es für mich nicht geben können.
Diese Zuversicht nehme ich nach Bern mit und diese Zuversicht wünsche ich mir vom Gemeinderat wenn es um die Lösung der künftigen grossen Probleme geht, die in Zürich anstehen.
Und in dem Sinne wünsche ich mir, dass ihr zusammenhält und gemeinsam dafür sorgt, dass aus unserem geliebten Zürich kein Monaco am See wird sondern eine Stadt für alle bleibt, bescheiden und beschaulich, wie die Seele von Zürich eben ist.

Tschau, machts gut – ich werde euch allesamt sehr sehr vermissen.