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Zuhause ist mehr als ein Dach über dem Kopf – Kolumne im «Wohnen»

Publiziert im Magazin «Wohnen», Oktober 2015

Zuhause ist mehr als ein Dach über dem Kopf

 

Es ist Wahlkampfzeit. Wahltag ist Zahltag – sagt der Volksmund. Hat er recht, sollte, ich Ihnen –liebe Leserinnen und Leser – beherzt über alle meine politischen Erfolge berichten und Ihnen erklären, weshalb sie nichts anderes als sozialdemokratisch wählen können. Zum Beispiel, dass ich die „Lex Koller“ vor deren Abschaffung gerettet habe. Dieses wichtige Gesetz verbietet es Personen im Ausland Wohnimmobilien zu erwerben. Dieser Vorbehalt, dass Immobilien denjenigen gehören, die hier leben, arbeiten und geschäften und Steuern zahlen, schützt die Genossenschaften vor überflüssiger und preistreibender Konkurrenz z.B. bei Landkäufen. Kapital haben wir ja schliesslich mehr als genug in der Schweiz. Land hingegen nicht. Die Immobilien dürfen nicht zu reinen Anlageprodukten verkommen. Wir reden hier ja schliesslich über unser zu Hause. Oder zum Beispiel, dass ich kleine Schritte vorangekommen bin beim Aufbau einer nationalen Immobilienpolitik, die diesen Namen verdient. Oder dass ich eine Immobilien-Initiative des Schweizerischen Mieterinnen- und Mieterverbandes miterarbeitet habe, die wir Anfang September 2015 lancieren. Diese verlangt eine drastische Erhöhung des Anteils an Genossenschaftswohnungen.

Aber was soll ich über solche Bagatellen schreiben angesichts des weltweiten Elends? 60 Millionen Vertriebene – so viel wie nie zuvor – suchen ein neues zu Hause. Schutz- und Chancensuchende werden wie Ware herumgetrieben, ertrinken im Mittelmeer, werden am Strassenrand erstickt in Lastwagen abgestellt. Die unsägliche Not dieser Ohnmächtigen macht mich ohnmächtig. Und sprachlos. Und zornig. Was für eine Welt haben wir geschaffen in der Millionen Menschen ihr Leben riskieren für ein besseres. Wie unvorstellbar schlimm muss ihr Leben denn sein, dass sie das auf sich nehmen?

Als ich in den 70iger-Jahren ein Teenie war, haben wir in Freundeskreisen darüber diskutiert warum wir ein T-Shirt für fünf Franken kaufen können. Vielleicht hatte das mit Kinderarbeit in Indien zu tun. Wir debattierten heftig darüber, was unser Reichtum mit der Armut in der dritten Welt zu tun hatte. Für die Sozialdemokraten war klar, dass wir die Ausbeutung exportiert hatten. Wir warnten also bereits vor über 40 Jahren davor: Wenn wir die weltweite Ausbeutung, das Elend und die Armut nicht verringern, werden wir Millionen Menschen haben, die bei uns an der Türe anklopfen. In den 80er Jahren warnten wir vor Umweltflüchtlingen, wenn wir Klimaerwärmung, Bodenerosion, Urwaldrodung nicht in den Griff bekämen, ja dann würden wir Millionen von Flüchtlingen haben, die keine Lebensgrundlage haben und ein neues zu Hause suchen müssen. Wir bekämpften ebenso die Waffenexporte. Friedenspolitik war ein Kernanliegen. Wir warnten vor drohenden Bürgerkriegen, die Millionen Menschen zu Flüchtlingen machen. Wir bekämpften die Annahme von Fluchtgeldern korrupter Diktatoren, die ihre Bevölkerung ausbeuten. Fluchtgelder in den sicheren Hafen Schweiz produziert Flüchtlinge, sagten wir. Die Schweiz schickte zwar Kredite nach Afrika, nahm aber die Zinsen gerne, die ein Mehrfaches von den Krediten ausmachten. Das war ein grosses Geschäft für die Schweiz.

Und heute? Was machen wir in der Politik? Wir bekämpfen Vertriebene statt die Ursachen der Flucht. Wir verstehen nicht mehr, dass unser Reichtum etwas mit der Armut der anderen zu tun hat. Jugendlich reden darüber, ob die T-Shirts für fünf Franken cooler bei H&M oder bei Zara sind. Schlimmer noch. In der letzten Nationalrats-Session haben wir die sogenannten PEPs (Politisch exponierte Personen – also Diktatoren) geschützt. Ebenso ist unser Versuch gescheitert Grosskonzerne – wie unsere Rohstoffhändler – für ihr globales Handeln, zum Beispiel in Afrika, in die Verantwortung zu nehmen, bezüglich Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung. Im letzten Jahr haben wir die Waffenexporte nach Saudi-Arabien erhöht, obwohl wir genau wissen, dass diese an den Islamischen Staat gelangen. Eine Schande ist das. Und im Wettstreit um die Rezepte gegen das dahergeredete Asylchaos werden dumme, nutz- und herzlose Vorschläge herumgereicht. Mauern hoch, Asylmoratorium, Abschreckung. Wie wenn irgendetwas davon Verzweifelte abhalten könnte.

Wir wissen alle, dass die Schweiz allein die Welt nicht retten kann. Wir wissen alle, dass wir nicht einmal einen winzigen Bruchteil alle Vertriebenen aufnehmen können. Aber wir stehen in der Pflicht unseren Teil beizutragen, um die Ursachen der Flucht entschieden zu bekämpfen. Wir müssen das Kapital verteilen, nicht die Menschen. Wir müssen uns friedenspolitisch entschiedener engagieren, aufhören Diktatoren zu beschützen, unsere Waffenexporte stoppen, in Freihandelsabkommen die dritte Welt begünstigen statt zu benachteiligen, die Umweltzerstörung in Afrika beherzt bekämpfen. Ausbeutung ist kein Business-Modell – auch wenn wir sie nicht mehr direkt vor der Haustüre betreiben.

Ich bin überzeugt, dass 99% der Menschen nichts anderes als ein Leben in Würde und Frieden wollen. Und zwar dort wo sie herkommen, die Sprache sprechen, die Kultur kennen, Familie und Freunde haben. Eben zu Hause. Denn Wohnen ist mehr als ein Dach über dem Kopf.

Politisch werde ich auch in den nächsten Jahren gegen jegliche Ausbeutung kämpfen, hier und auf der ganzen Welt, im Kleinen wie im Grossen. Das ist nämlich der Grund weshalb ich mich so vehement für das Wohngenossenschaftsprinzip einsetze. Denn hier wird niemand ausgebeutet, kein Genossenschafter muss Monat für Monat, Jahr für Jahr mit dem hart erarbeiteten Einkommen einem Hauseigentümer Gewinne abliefern. Haben wir es gut. So sollte es allen gehen, nicht ein paar wenigen.