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Zum Grundeinkommen (E-Mail-Debatte in der NZZ a. S. )

Publiziert in der NZZ am Sinntag vom 27.3.2016

 

Jacqueline Badran erkennt im Grundeinkommen eine bürgerliche Logik. Für Gregor Rutz beginnt so der Niedergang – er setzt auf die benediktinische Regel

«Wenn niemand mehr arbeitet, wer schafft dann Wohlstand?»

Die E-Mail-Debatte

Gregor Rutz

Geschätzte Frau Badran, letzten Dezember stimmten Sie der Initiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen zu. Natürlich ist es eine verführerische Vorstellung, sich in der begrenzten Zeit unseres Daseins vornehmlich den schönen Seiten des Lebens zuwenden zu können. Und in Bundesbern, das muss ich auch sagen, ist man durchaus versucht, mit Epikur zu argumentieren: Die Mässigung droht zur Masslosigkeit zu werden. Aber wir sind ja nicht gewählt, um miteinander zu philosophieren. 2500 Franken pro Monat fürs Nichtstun, das ist viel Geld. Wo wollen Sie die 150 Milliarden Franken herzaubern, welche die Initiative kostet?

Jacqueline Badran

Widerspruch! Philosophie versucht, die Welt und die Menschen zu ergründen und zu verstehen. Wer, wenn nicht wir Politiker, muss sich damit auseinandersetzen? Die Politik muss Fragen des «guten Lebens» beantworten. In jedem Politikbereich stecken ethische, also moralphilosophische Fragen. Wir sind darum verpflichtet, über die Gerechtigkeit und ihre mögliche Verwirklichung in einem idealen Staat nachzudenken. Plato würde sich im Grabe umdrehen, hörte er, wir seien nicht gewählt, um miteinander zu philosophieren. Die Frage nach dem Grundeinkommen gilt der Frage, wie wir das gute Leben gestalten sollen in Zeiten, in denen sich die Welt und das Arbeitsleben dramatisch verändern. Insofern hat das Grundeinkommen etwas Utopisches. Das mag ich daran, deshalb habe ich Ja gestimmt. Wenn wir Politiker aufhören, über ein besseres Leben für alle zu sinnieren, und nur noch menschengemachte Sachzwänge nachvollziehen, sind wir geistig tot.

Gregor Rutz

Selbstverständlich müssen wir Politiker stets darüber nachdenken, wie wir optimale Rahmenbedingungen für alle schaffen können. Und es ist richtig, wenn wir in unserem Engagement einen roten Faden – eine philosophische Basis – haben. Nur gilt es, bei aller Verführung, nicht nur hedonistischen Zielen nachzuleben, sondern auch die Realität im Auge zu behalten. Freiheit ist mir sehr wichtig. Doch ist sie im Gemeinwesen nicht stets mit Verantwortung verbunden? Wenn niemand mehr arbeitet, wer schafft dann Wohlstand? Soll man bedingungslos auf Kosten anderer leben können? Und ist dieses Leben lebenswert, wenn es keine Innovation mehr gibt, keine Dienstleistungen mehr angeboten werden und Faulheit an sieben Tagen pro Woche zelebriert wird? Ich frage mich, ob da die benediktinische Regel des ora et labora letztlich nicht zu mehr Befriedigung führt?

Jacqueline Badran

Die bürgerliche Revolution, die hierzulande zum Glück einigermassen unblutig abging, war die Verwirklichung einer Real-Utopie. Hätten kluge Menschen nicht über die ideale Gesellschaft sinniert, lebten wir heute noch im Feudalismus. Aber wieso gehen Sie davon aus, dass niemand mehr arbeiten würde? Die wenigsten wollen am Existenzminimum leben. Und wir billigen ja schon heute jedem Menschen das Recht auf Existenzsicherung zu. Deshalb gibt es unsere Sozialwerke. Wenn es stimmt, was viele Experten zur nächsten industriellen Phase, der totalen Digitalisierung, sagen – wie organisieren wir dann unsere Gesellschaft, wenn Hunderttausende Menschen keine bezahlte Erwerbsarbeit mehr haben? Heute schon werden Kassiererinnen durch Selbst-Scanning ersetzt, die Robotisierung schreitet voran, in der Maschinenindustrie, ja sogar in den Spitälern. Darauf brauchen wir Antwort. Und das ist nicht hochbürokratische Sozialhilfe.

Gregor Rutz

Bürokratie will ich auch nicht – aber sicher auch keine Almosen per Giesskanne. Die Gemeinschaft hat die Aufgabe, schwächeren Mitmenschen in einer Notlage zu helfen. Aber es kann doch niemand fordern, die Gemeinschaft müsse seine Existenz sichern? Dafür ist jeder primär selber verantwortlich. Nach meiner Vorstellung soll jeder sein Leben gestalten können, wie er möchte. Dies heisst, dass ihm der Staat nur die wirklich nötigen Vorschriften macht, der Bürger umgekehrt aber auch Verantwortung für sein Handeln übernimmt. Vielleicht sollten wir uns wieder einmal die Worte von Margaret Thatcher vor Augen führen: «Der Staat hat keine andere Geldquelle als die Einkünfte seiner Bürger. Will er mehr ausgeben, kann er sich nur entweder die Ersparnisse der Bürger leihen oder sie stärker besteuern. Zu denken, jemand anders bezahle, ist gefährlich: Dieser jemand anders sind wir selbst.» Eine treffende Antwort auf eine utopische Initiative, für welche am Schluss niemand die Verantwortung übernehmen will.

Jacqueline Badran

Sie verlassen den Pfad der bürgerlichen Tugend. Sie reden von Almosen. Das ist das feudale Bild des gnädigen Herrn mit den milden Gaben. In einer bürgerlichen Welt hingegen wird das Glück der Geburt kompensiert. Menschen mit einer Behinderung haben beispielsweise ebenso ein Recht auf ein Leben in Würde. Das steht so in unserer Verfassung. Nur sind unsere existenzsichernden Werke – mit Ausnahme der Sozialhilfe – alle an die monetär entschädigte Arbeit geknüpft: AHV, IV, die Arbeitslosenversicherung. Was sagen wir der Kassiererin, die durch Scanner ersetzt wird? Schulen Sie sich bitte eigenverantwortlich zur IT-Spezialistin um? Wir zwei haben gut reden. Wir hatten das Glück, schulgescheit und leistungsfähig geboren worden zu sein. Denken Sie an die Tausenden administrativen Stellen, die schon jetzt verloren gegangen sind wegen der Digitalisierung. Zudem gibt es viel unbezahlte Arbeit, wie Kinderbetreuung oder Pflege, die vor allem von Frauen geleistet wird. Wir brauchen Systeme, die unabhängig von der bezahlten Erwerbsarbeit funktionieren. Das Grundeinkommen, das übrigens auch liberale Ökonomen wie Friedrich August von Hayek befürworten, könnte so ein System sein.