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Feiern wir – eine neue Genossenschaftsbewegung muss her (Kolumne «Wohnen»)

Kolumne «Wohnen»

Publiziert im Monatsheft «Wohnen» der Wohnbaugenossenschaften Schweiz im Juni 2016

 

Feiern wir – eine neue Genossenschaftsbewegung muss her

Die UNO hatte das Jahr 2012 zum internationalen Jahr der Genossenschaften erkoren. Zu meinem grossen Leidwesen wurde das nicht gross wahrgenommen. Der Zürcher Genosenschaftsverband hat zwar einiges getan und unsere Migros widmete den Genossenschaften eine 12-teilige Serie in der sie ihren eigenen Wurzel nachging und dazu schrieb: «Heute gibt es weltweit 800 Millionen Genossenschaftsmitglieder in mehr als 100 Ländern. Über 100 Millionen Arbeitsplätze werden von Genossenschaften bereitgestellt. Nach Schätzungen der Uno findet die Hälfte der Weltbevölkerung  ihre Ernährungsgrundlage in Genossenschaften. Die Schweiz mit ihren rund 10’000 Genossenschaften ist ein Pionierland dieser Rechtsform. Kleine Alpgenossenschaften ebenso wie der grosse Migros-Genossenschafts- Bund folgen der gleichen Grundidee: Menschen schliessen sich zusammen, um gemeinsam ökonomische Ziele zu verfolgen – ob es nun um die Bewirtschaftung einer Alp oder um eine grosse Supermarktkette mit fairen Preisen geht. Bei einer Genossenschaft stehen immer Selbsthilfe und Selbstverantwortung im Zentrum.»

Genossenschaften in den Genen

Wenn die Migros schreibt, wir seien ein Pionierland ist das wohl weit untertrieben. Die ältesten Genossenschaften in der Schweiz gehen auf das 12. Jahrhundert zurück – Genossamen hiessen die Landbesitz-Koorporationen damals (die es heute noch allesamt gibt). Man könnte durchaus sagen, der genossenschaftliche Besitz von Land ist in den schweizerischen Genen tief verankert.

Gute Gründe zum jubilieren

2016 nun haben wir gleich zwei Jubiläen zu feiern. Die ABZ (allgemeine Baugenossenschaft Zürich) feiert ihr 100-jähriges Bestehen und der Mieterverband Zürich sein 125 Jahre Jubiläum. Ich hoffe, diese werden mehr wahrgenommen, als das UNO-Jahr der Genossenschaften. Es ist nämlich rührend und kaum fassbar was für eine Bewegung um die vorletzte Jahrtausendwende herum entstand. Natürlich waren die Verhältnisse damals fast unerträglich. Die Wohnungen waren extrem teuer und hygienisch in unhaltbaren Zuständen: Feucht, schimmlig, dunkel und ohne WCs. Was bleib den Menschen damals und heute übrig als die Mieten zu bezahlen, denn ein Dach über dem Kopf brauchen Menschen nun mal.

Unglaubliche Solidarität

Unter diesem ökonomischen Druck entstand damals die MieterInnen- und die Baugenossenschaftsbewegung. Die Menschen schlossen sich zur Selbsthilfe zusammen. Das bemerkenswerte daran war die unglaubliche Solidarität unter den Menschen. Damals kauften Leuten Genossenschaftsscheine mit ihrem letzten ersparten auch wenn Sie genau wussten, dass sie nicht zu einer Genossenschaftswohnung kommen würden. Aus reiner Solidarität und Zuversicht, das nur gemeinsam eine bessere Zukunft möglich ist. 2000 Menschen traten mitten im ersten Weltkrieg der neu gegründeten ABZ bei, obwohl noch keine einzige Wohnung gebaut war. 20 Rappen pro Monat kostete das, bis ein Betrag von 25 Franken zusammen kam. Heute hat die ABZ 7400 Mitglieder und bald 5000 Wohnungen. Damals wurden die neuen Wohnungen als Befreiung empfunden und erlebt. Emil Klöti – SP Stadtpräsident von Zürich sah das später auch so: 1956 meinte er: «Die Beschaffung gesunder Wohnungen mit tragbaren Mieten ist eine der wichtigsten kommunalpolitischen Aufgaben».

Bedeutung immens

Und heute? Ich kenne niemanden, der nicht gerne eine Genossenschaftswohnung hätte. Und diejenigen, die das Glück haben eine zu bekommen, empfinden das als Befreiung. Eine Befreiung vom ewigen Druck quasi nur noch für die Mieten arbeiten zu gehen, vor der Angst jederzeit «hinaus-saniert» zu werden. Die Genossenschaften schufen damals eine gemeinnützige Gegenwelt zu den rendite-orientieten Mietwohnungen. Wenn dieses 100-jährige Jubiläum nicht gefeiert werden muss, dann weiss ich auch nicht mehr, was wir feiern sollten. Dessen Bedeutung ist sowohl volkswirtschaftlich als auch gesellschaftspolitisch immens.

Möge dieses Jubiläum einer nächsten Genossenschaftsbewegung Schub geben. Angesichts der entfesselt explodierenden Mieten wäre das genau so nötig wie damals.

(Programm zu den Feierlichkeiten unter: abz.ch/home/100-Jahre- ABZ.html)