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Zu den GemeinderatsWahlen 2006: Ein bedingtes Ja für den Versuch de r Umsetzung einer Links-Grünen Vision

Zu den Gemeinderatswahlen 2006: verscheidene GemeinderätInnen schreiben im PS ihre Meinung zum Thema «mögliche Links-Grüne-Mehrheit im Gemeindeparlament der Stadt Zürich».
Jacqueline Badran, April 2005, erschienen im PS

Ein bedingtes Ja für den Versuch der Umsetzung einer Links-Grünen Vision

In Zürich gibt es Entwicklungen, die nicht nur gut sind. In verschiedenen Bereichen ist der Handlungsbedarf gross. Eine links-grüne Mehrheit in Stadtparlament und Stadtregierung ist in Griffweite. Unter der Bedingung der Beibehaltung der Konkordanz und des freiwilligen Proporzes sollten wir die Chance packen für die Umsetzung Links-Grüner Visionen in der Stadt Zürich. Das ist nicht nur  wünschbar sondern nötig, um gewisse Trends bremsen oder gar umkehren zu können. Denn eine links-grüne Regierung alleine reicht nicht aus.
Wir hatten sie mal in Zürich – die Links-Grüne-Mehrheit in Stadtregierung und gleichzeitig im Stadtparlament – Anfangs der 90erJahre. Es
war keine besonders erfolgreiche Zeit. Da ich damals nicht im Parlament war und ich diese Zeit vor allem aus den Medien und vom Hörensagen kenne, wage ich keine Analyse. Aber mit grosser Wahrscheinlichkeit gab es viele und vielschichtige Gründe dafür, die auch mit den konkreten personellen Konstellationen und dem konkreten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umfeld zu tun hatten. Deshalb lassen
sich kaum generelle Regeln ableiten. So gehe ich von der Vergangenheit unbefangen an das Thema heran.
Denn ich glaube an eine Links-Grüne-Vision. In den meisten (städtischen) grossen Fragen sind wir uns einig oder zumindest sehr nahe. Differenzen gibt es natürlich bei den Details. Sie sind aber nicht grösser als innerhalb der eigenen Partei. Nach Aussen hin gibt es sie natürlich und zwar in zwei Fällen: genau dann wenn die Mehrheiten derart klar sind, dass sich die Grünen und die AL mit Opposition profilieren und abgrenzen können und dann wenn sich die SP-Fraktion auch einmal «contre coeur» hinter ihre Stadträtin oder ihren Stadtrat stellt.
Die SP ist seit Jahrzehnten landesweit eine Regierungspartei und tendiert deshalb zur Mitte. Die Grünen und die AL können immer mal wieder in Opposition gehen und genau die Rolle übernehmen, die die regierungsverantwortliche SP nicht immer übernehmen kann. Und das ist gut so – denn Widerstreit um Ideen und Positionen ist befruchtend. Die Links-Grüne-Mehrheit sowohl in Stadtrat und Stadtparlament
ist in Griffnähe. Und dies ist ein grosser Unterschied zu einer blossen links-grünen Regierungsmehr heit, wie wir sie in den letzten Jahrzehnten oft hatten. Denn sie allein kann gar nicht besonders links-grün agieren, steht sie doch in der Verantwortung Lösungen zu präsentieren, die auch eine Mehrheit finden. (Oder um es böser und mit den Worten einer ehemaligen SP-Politikerin auszudrücken: «Applaus von den Falschen» zu ernten.)
Wir stehen aber vor grösseren Aufgaben, denn in Zürich gibt es Entwicklungen, die nicht nur gut sind. Zürich war schon immer die schönste
Stadt der Welt: klein, leise, unprätentiös, durchmischt, einigermassen zahlbare Wohnungen, vergleichsweise verkehrsarm, wo man eine Minute vom Hauptbahnhof entfernt in sauberstes Wasser springen kann – wir wussten das. Und wir hätten gerne, dass es so bleibt.
Nun hat sich das weit herumgesprochen und in allen möglichen Vergleichen und Rankings schneidet Zürich als Stadt mit der höchsten
Lebensqualität ab: Zürich ist In, Grosstädte sind Out. Der Druck auf Zürich ist in den letzten Jahren massiv gestiegen. Nicht nur reiche
Ausländer und gut ausgebildete Wirtschaftsflüchtlinge wollen gleich scharenweise nach Zürich, auch Goldküstler, deren Kinder
ausgezogen sind, zieht es zurück in die Kulturstadt. Gute Steuerzahler freuen uns ja auch. Weniger Freude bereiten sowohl die immer aggressiver agierenden Immobilienfonds und Immobilien-Investment-Gesellschaften, die in Zürich nach Anlagen suchen, als auch die Verschiebungen von Kapital von den Aktien- zu den Immobilienmärkten. Wenn die Stadt dann auch noch ihren Bodenbesitzstand netto
verkleinert, ist es nicht mehr schwierig sich auszurechnen, was passiert. Explodierende Boden- und Liegenschaftenpreise sind die
Folge, Verdrängung auch des oberen Mittelstandes an die Peripherie, Ghettoisierung und Entmischung die Konsequenz. Genau wie in den
Grossstädten London-Paris-München-New York, wo die Innenstädte den Superreichen vorbehalten sind und sich der Rest in der Peripherie und Agglomeration drängelt. Nebst den grossen Problembereichen der dramatisch angestiegenen Zahl der Sozailhilfe- und ErgänzungsleistungsbezügerInnen, der überbeschleunigten Reissbrett-Stadtentwicklung in atemberaubendem Tempo (Shil-City (das
grösste Bauvorhaben der Schweiz – wau – freu ich mich auf das Einkaufzentrum!), Neu-Örlikon, Züri-West, Hallenstadion, Letzigrund,
Hardturm-Stadion, bald Maagareal (das höchste Gebäude der Schweiz) und Kongresshaus.) und der (auch damit zusammenhängenden) massiven Zuspitzung der Verkehrsprobleme, ist es vor allem diese Entwicklung, die grosse Sorgen bereiten sollte.
Diesen Entwicklungen – die nicht so sichtbare und vergleichsweise einfach zu lösende Probleme sind wie der «Letten» oder Bilanzfehlbeträge – können wir nur mit einer kohärenten Links-Grünen-Strategie begegnen. Weil sich gerade in diesen Bereichen ein
grosser Graben zwischen Links-Grün und Rechts auftut, –brauchenwir die Mehrheit sogar.Selbstredend wäre es bedeutend angenehmer
, mindestens die CVP für gewisse Strategien gewinnen zu können. Denn mit einer dünnen Mehrheit bringen wir zwar ganz andere
Vorstösse durch als jetzt, diese müssen aber referendums-sicher sein und deshalb breiter abgestützt.Ich bin auch deshalb eine überzeugte Anhängerin der Konkordanz (was in einem halbdirekt-demokratischen System ohnehin zwingend ist), in der Stadt allerdings ohne die SVP, da sie ohne Zweifel nicht regierungsfähig ist. Der frei werdende Stadtrats-Sitz steht meiner Meinung nach der CVP zu. Es wäre unklug und systemfremd den freiwilligen Proporz aufzugeben, auch wenn es theoretisch möglich wäre einen zweiten Sitz für die Grünen zu holen.
Es gibt Stimmen, die sagen, sollten wir tatsächlich eine links-grüne Parlaments-Mehrheit haben, müssten sich die Exponenten aus parteipolitischen Überlegungen von einander abgrenzen und der Profilierungs-Streit sei vorprogrammiert. Das glaube ich nicht. Eine links-grüne Vision ist möglich und nötig – wenn wir den Grünen und der AL respektvoll ihren Raum lassen und sie nicht als Junior-Partner behandeln. Denn nur wenn wir uns nicht selber konkurrieren und uns nicht in kleinlichen Differenzen aufreiben kann es gelingen, grosse Vorhaben umzusetzen.