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Tierischer Wahlkampf

Im Wahlkampf haben wir gelernt: Es gibt weisse und schwarze Schafe. Falsch, sage ich, denn ich war ein Schwein. Während mindestens 8 Wochen hiess „Ihr von der SP seid alles Schweine“ wegen wahlweise Elmar Ledergeber, Wegweisungsartikel, Sozialhilfe, Ausländer……genau, Sie merken es…. von Hüben und Drüben wurden wir zu Schweinen ernannt. Meine Lieblings-Schwein-Gründe waren in folgender Reihenfolge: „Ihr von der SP seid alles Schweine, weil ich nicht von der AHV leben kann und nur Blocher macht etwa dagegen“, „Ihr von der SP seid alles Schweine weil ihr die Steigbügelhalter des Faschismus seid“.

So – voll motiviert – habe ich etwas genauer hingehört. In weit über 500 Gesprächen mit Jungen, Handwerkern, Urbanen, Fleissigen, Frechen, 20-Minuten-Lesenden, Alten, Schönen, Verschupften, Klugen, Fundis, Bürolisten, Arbeitslosen, Managern, Tele-Züri-Glotzenden, Fingernägelkauenden und Spätinsbettgeher habe ich etwas bemerkt: Alle haben mir das Gleiche über uns erzählt in den fast gleichen Worten. Die SP sei eben träge und verfilzt geworden, sie politisiere an den Leuten vorbei – man müsse schon sehen, die Ausländer seien wirklich ein Problem und das mit der Sozialhilfe müsse man schon bedenken – wir hätten keine Themen und Anti-Blocher würde eben nicht reichen.

So – noch motivierter – habe ich gelernt: Die SP ist nichts anderes als eine Marke, die ein bestimmtes Image hat. Puma oder Adidas? SP oder Grüne?

Ich folgere – und jetzt kommt sie meine Wahlanalyse:

1. Die Grosswetterlage
Klimathema und Hochkonjunktur waren schon immer eine schlechte Voraussetzung, wie die Vergangenheit überdeutlich zeigt.

2. Die Medien
Was für die Werbung „Sex sells“ ist, ist für die Medein „Blocher sells“. Ist Blocher in den Schlagzeilen steigen Verkaufszahlen und Einschaltquoten. Nicht umsonst gab es 2,5 Arenen zu Blocher und keines zu beispielsweise Steuern. Durch die Schlagzeilen und Themenselektion der blocherfixierten Medien wird die selektive Wahrnehmung geprägt. Blocher kommt gross aufgemacht und die SP-Medienmitteilung zu geplanten Kürzungen bei der AHV kommt ganz klein irgendwo auf Seite 6. Ich habe es beispielsweise mit meinem Namen, ohne Foto mit der Lex Koller zwei Mal auf die Frontseite der Sonntagspresse geschafft; einmal «Sonntagszeitung» und ein mal «NZZ am Sonntag» (und x-mal in der NZZ). Nicht einmal meine guten Freunde, die regelmässig Zeitung lesen haben dies bemerkt. Geschweige denn hat man das Thema (und alle wissen was die Lex Koller bedeutet!) mit der SP assoziiert und als sozialdemokratisches Kernanliegen verstanden. Dieser Wahlkampf war der totale Sieg der medialen Insezenierung über die Themen.

3. Falsche Personalpolitik – im Nachhinein
Vermutlich hat dies viel mit dem zu tun wie der blocheristische Wahlkampf gelaufen ist und die Politik generell den Leuten zu blöd wurde. Sicher ist es jedoch kein Zufall, dass die Erneuerung gewählt wurde. Junge, neue, unverbrauchte, medial gut inszenierte Kräfte – und dies konnte man durch alle Parteien beobachten. Künftig sollte die SP dies unbedingt berücksichtigen. Eine Listengestaltung nach Neu/Bisher, Stadt/Land, Frau/Mann, und das bedienen gewisser formaler Anspruchsgruppen darf es so nicht mehr geben. Wir brauchen einen Mix aus Leuten, die programmatisch arbeiten können, Themen setzen und Mehrheiten beschaffen können und Leute, die PR-mässig einen draufhaben, einen Mix aus Erfahrung (da weiss man was man hat) und Neuen, die für bestimmte Themen stehen (Aufbruch). Nach diesen Kriterien sollte man künftig die Liste gestalten.

4. Mangelnde programmatische Kompetenz
Und hier kommt sie, die Selbstkritik. Im Frühling 2007 – habe ich aufgrund der Verluste nach den Kantonsratswahlen eine Analyse geschrieben, die ich hier fast reproduzieren kann. Ich zitiere mich selbst:
Die Professionalisierung hat uns seelenlos gemacht, die Machtbeteiligung lahm und inhaltslos, alles allen Recht machen zu wollen charakterlos.
Wir sind reaktiv und sehen und hören nicht mehr wo unsere Wähler stehen, haben das Gefühl für Themen und den Draht zur Basis verloren: Wenn MandatsträgerInnen hinter vorgehaltener Hand nicht selten sagen, sie hätten jetzt lieber mit den Grünen gestimmt, ist dies alarmierend. Wenn Mitglieder verstohlen unsere Migrationspolitik nicht mehr mittragen, nicht theoretisch sondern aus Alltags-Erfahrungen heraus, muss man das merken. Wenn die Aussicht eines EU-Beitritts bei nicht wenigen Genossen Gänsehaut auslöst, muss man hinhören.
Wir kommunizieren unseren Wählern nicht wo wir stehen. Vielleicht deshalb weil wir es selbst nicht mehr wissen. Uns fehlen tatsächlich die Konzepte und die Themen und wenn wir sie haben, haperts an der Kommunikation. Diese brauchen wir aber – tue Gutes und sprich darüber.
Wir brauchen einen Kulturwandel in der SP – der grossen Partei mit den vielen Strömungen, die derart damit beschäftigt ist, alle unter einen Hut zu bringen, sodass sie Blick und Kommunikation nach Aussen vergessen hat. Es geht nicht darum es allen Recht zu machen, es geht ebenso nicht darum mehr in die Mitte zu rutschen oder mehr nach links. Es geht darum die politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und ökologischen Verhältnisse zu verstehen, die Verhältnisse zu erklären und auf der Basis unserer Werte die Lösungen dafür zu entwickeln.

Fangen wir nicht gleich an wieder alle auf Kurs zu bringen, denn dazu sollte man einen Kurs haben. Ich werde meinen Teil an die progammatische Entwicklung der SP beitragen – und hier meine ich durchaus nicht seitenlange Konzeptchen. Anstatt mehr Fairness zu forden, sagen wir doch wie eine faire Schweiz sein sollte. Dies braucht einen längeren Atem als uns allen lieb ist.