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Tiroler Modell soll Lex Koller ablösen

Tages-Anzeiger vom 29. 10. 2007; von Beat Bühlmann

«Tiroler Modell» soll Lex Koller ablösen
Mit oder ohne Lex Koller: Nur griffige Auflagen können den Zweitwohnungsbau bremsen. Das Tirol limitiert «Freizeitwohnsitze» auf acht Prozent. Ein Rezept für die Schweiz?

In der Schweiz ist kein Mangel an kalten Betten: In Laax bleiben die 80 Prozent aller Wohnungen fast das ganze Jahr geschlossen, in Leukerbad sind es 72 Prozent, in Ronco sopra Ascona 65 Prozent. Die Liste liesse sich verlängern. Innert 30 Jahren hat sich die Zahl der Zweitwohnungen fast verdreifacht. In den Tourismuskantonen Wallis und Graubünden machen sie inzwischen gut einen Drittel aller Wohnungen aus, im Tessin sind es 25 Prozent.

Im österreichischen Bundesland Tirol wäre das nicht möglich. Denn die Schaffung neuer Freizeitwohnsitze, wie die Zweitwohnungen dort heissen, ist im Prinzip gar nicht möglich. Nur wenn Zweitwohnungen im kommunalen Zonenplan ausdrücklich vorgesehen sind, dürfen sie gebaut werden — bis zu einem Anteil von acht Prozent, wie es im Tiroler Raumordnungsgesetz heisst. Und Ferienwohnungen zur Vermietung dürfen nur von Ortsansässigen in ihrem eigenen Haus erstellt werden, mit maximal 12 Betten.

Eine «beträchtliche Grauquote»
Das absolute Bauverbot, wie es in den neunziger Jahren im Vorfeld des EU-Beitrittes erlassen wurde, sei «in dieser Schärfe nicht haltbar gewesen», sagt Franz Rauter, Abteilungsvorstand Raumordnung in der Landesregierung. Trotzdem funktioniere das «Tiroler Modell». «Wir konnten die Dynamik beim Zweitwohnungsbau spürbar bremsen.» Politisch sei die strikte Regelung unbestritten. «Darauf will niemand verzichten.»

Auch der Bundesrat erklärt in seiner Botschaft zur Aufhebung der Lex Koller, die Tiroler Regelung mit der Kontingentierung habe sich als «sehr wirksam erwiesen» — ohne diese Massnahme allerdings für die Schweiz selber vorzuschlagen.

Tirol ist nicht das einzige Bundesland in Österreich, das den Zweitwohnungsbau streng reglementiert. Auch in Vorarlberg dürfen solche Ferienwohnungen nur in entsprechenden Zonen oder mit einer speziellen Bewilligung der Gemeinden erstellt werden. Die Praxis ist so restriktiv, dass vielerorts gar keine neuen Zweitwohnungen mehr bewilligt werden. Eine obere Limite wie im Tirol ist allerdings in Vorarlberg nicht gesetzlich fixiert. Doch das Thema gewinne an politischer Brisanz, wie Sabine Miessgang von der Abteilung Raumplanung und Baurecht sagt.

Kontrolle verstärken
Die wirksamste Lösung habe Salzburg getroffen, schätzt Peter Hasslacher von der Fachabteilung Raumplanung und Naturschutz beim Österreichischen Alpenverein. Der Höchstanteil liegt mit zehn Prozent zwar etwas höher als im Tirol, doch gelte diese Regelung generell fürs ganze Land und werde konsequenter umgesetzt.

In Tirol werde hingegen im Einzelfall entschieden und das schaffe Unklarheiten. Franz Rauter, in Innsbruck für die Raumordnung zuständig, räumt ein, dass es im Tirol eine «beträchtliche Grauquote» gebe. Manchmal sei es nämlich schwierig, zwischen Ferienwohnung und festem Wohnsitz zu unterscheiden. Dennoch finden beide Experten die Kontingentierung richtig. «Ich kann das der Schweiz nur empfehlen», sagt Hasslacher.

Auch Christof Schremmer vom Österreichischen Institut für Raumplanung in Wien, der «erstaunliche Umgehungsmöglichkeiten» ortet, findet Kontingente durchaus sinnvoll. Doch die Umsetzung in den Gemeinden müsse besser kontrolliert und das Monitoring beim Zweitwohnungsbau verstärkt werden. «Ob es sich um warme oder kalte Betten handelt, lässt sich beim Wasser- oder Stromverbrauch ohne weiteres ablesen.»

Christoph Braumann von der Landesplanung Salzburg sieht das ähnlich. Er möchte deshalb den so genannten Grundverkehrsbeauftragten wieder einführen. Dieser Beauftragte würde, wie das früher üblich war, im Auftrag des Landes als neutrale Aussenstelle bei den Gemeinden Stichproben machen. Der Druck der finanzstarken Investoren sei im Alpenraum derart gewachsen, dass die Kommunen gegenüber den Lockungen des Kapitals nicht immer immun seien, sagt Braumann.

Druck nimmt auch in Städten zu
In der Schweiz ist das nicht anders. Mit der vom Bundesrat geplanten Aufhebung der Lex Koller würde dieser Druck noch verstärkt — auch in den Städten. Die Rechtskommission des Nationalrates empfiehlt der zuständigen Raumplanungskommission, die Vorlage zurückzuweisen. Die Vorkehrungen gegen die Spekulation mit Schweizer Boden seien nicht genügend. Als Korrektiv brauche es stärkere raumplanerische Massnahmen.

Die Stiftung Landschaftsschutz Schweiz hat vorgeschlagen vor, das Verhältnis zwischen Erst- und Zweitwohnungen bundesrechlich zu regeln statt einfach den Kantonen zu überlassen. «Im Prinzip möchten wir das Tiroler Modell übernehmen, ohne eine fixe Limite zu setzen», sagt Geschäftsleiter Raimund Rodewald. Kantone mit einem Zweitwohnungsbestand von über 30 Prozent müssten danach Kontingente festlegen und so den Bau von Zweitwohnungen drosseln — unter der strengeren Aufsicht des Bundes.

Radikaler ist die Volksinitiative von Franz Weber. Unter dem Titel «Schluss mit dem uferlosen Bau von Zweitwohnungen» verlangt der Umweltschützer, den Anteil der Zweitwohnungen in allen Gemeinden auf höchstens 20 Prozent zu beschränken. Laut Weber sind die nötigen Unterschriften beisammen, doch will er bis im Dezember weiter sammeln, um das Quorum von 100 000 Unterschriften deutlich zu übertreffen.

Kommentar:

28. Oktober 2007, 23:50 – Von Beat Bühlmann
Kommentar
Lex Koller als Pfand nutzen

Für das Landschaftsbild im Oberengadin spielt es eigentlich keine Rolle, ob die ins Kraut schiessenden Zweitwohnungen von Ausländern oder von Schweizern gebaut werden. So oder so sind Appartements, die nur während fünf bis acht Wochen genutzt werden, ein Unsinn. Solche Bauten verbrauchen zu viel Boden, verschandeln die Landschaft und schaden dem Tourismus. Das gilt mit oder ohne Lex Koller. Können wir sie also getrost abschaffen?

Nein, das wäre blauäugig. Solange sich der Bundesrat nicht getraut, die Kantone in die Pflicht zu nehmen, muss die Lex Koller als Pfand erhalten bleiben. Wird sie ohne griffige Auflagen einfach fallen gelassen, droht nämlich der Zweitwohnungsbau vollends aus dem Ruder zu laufen — auch in den Städten. Denn die Kantone tun zu wenig, um ihren Verfassungsauftrag zu erfüllen. Von einer «zweckmässigen und haushälterischen Nutzung des Bodens», wie es Artikel 75 fordert, und einer «geordneten Besiedlung des Landes» kann keine Rede sein.

Raumplanung muss also verbindlicher werden, auch beim Eingrenzen der Zweitwohnungen. Natürlich sind fiskalische Massnahmen oder Beherbergungsvorschriften sinnvoll, um die vielen kalten Betten zu beleben. Vordringlich sind jedoch kantonale Richtplanungen, die zum Beispiel strikte Kontingentierungen vorsehen. Die Österreicher sind uns nicht nur im Skifahren voraus, sie wissen auch ihre Ressource Landschaft besser zu schützen, wie das «Modell Tirol» zeigt.

Föderalistische Eigenart in Ehren, doch wenn sie nur regionalem Eigennutz dient, ist sie überholt. Der Bund muss seine Nonchalance in Sachen Raumplanung aufgeben und sich aktiver einschalten. Hält er sich weiterhin so vornehm zurück, könnte er bald eines Besseren belehrt werden. Zurzeit sind drei Volksinitiativen für eine strengere Raumplanung in Umlauf. So auch die Initiative «Schluss mit dem uferlosen Bau von Zweitwohnungen», die der Umweltschützer Franz Weber lanciert hat. Sie will die Zweitwohnungen in allen Gemeinden auf 20 Prozent beschränken. Wenn die Politik das Thema weiter verschläft, macht das Volk Druck — zum Preis von allzu pauschalen Lösungen.