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Neofeudalismus Teil I: Klassenkampf von oben

Klassenkampf von oben I

VON JACQUELINE BADRAN, publiziert im PS am 19. Juni 2008

Die neofeudale Gesellschaft ist Wirklichkeit geworden. Nehmen wir den Klassenkampf von oben auf.

Ich bin Anfangs der 90er Jahre in die SP eingetreten, weil Gerechtigkeit in all ihren Facetten für mich ein absolut zentrales Thema ist – emotional wie rational. Ich selbst gehöre in die privilegierte Klasse. Ich darf in der Schweiz leben und bin mit der richtigen Ausstattung geboren, um in einer meritokratischen Gesellschaft zu bestehen. Ich hatte Glück. Zwar bin ich im Zürichberg höchst privilegiert aufgewachsen, habe und werde aber nie etwas erben. Das macht wenig, denn unsere Vorfahren haben gekämpft für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, für den Zugang zu Ressourcen und Ämtern für alle und nicht nur für aristokratische Erben; für die Chancengleichheit in einer Gesellschaft, wo der Beitrag, den man leistet zählt und nicht die Herkunft. Das ist der Kern der Gleichheit.

Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit
Es war ein langer und blutiger Weg zur Überwindung des Feudalismus.
Aber immer noch zählt das Glück der Geburt, das Glück zum Beispiel nicht körperlich stark sondern (schul-)intelligent – oder wenigstens schlau geboren worden zu sein weil das in der heutigen Dienstleistungsgesellschaft zählt, das Glück am richtigen Ort geboren zu sein, das Glück körperlich unversehrt geboren zu sein. Der Liberalismus, wie auch die Sozialdemokratie ist der Überzeugung, dass dieses Glück sozialpflichtig ist und kompensiert werden muss, denn die Fähigkeit zur Tüchtigkeit in unserer Leistungsgesellschaft ist je Mensch von Geburt an unterschiedlich. Das ist der Kern der Chancengleichheit und der Solidarität, das ist gemeint mit «Brüderlichkeit».

Viele institutionelle Vorkehrungen wurden getroffen, um demokratische Rechtsstaaten zu errichten, die diese Ziele sicherstellen sollten. Die Gleichheit vor dem Recht und die Grundrechte sollten die Freiheit garantieren, herkunftsunabhängiger und kostenfreier Zugang zu Bildung, Ämtern und Gerichten für alle sollten Gleichheit, die Sozialwerke, Erbschaftssteuern und Steuerprogression sollten einen Ausgleich schaffen.
Und tatsächlich – vermutlich in den 70er Jahren haben wir den Höhepunkt einer freien und chancengleichen Gesellschaft erleben dürfen, so wie sie nie da gewesen ist.

Mittelstand verliert
Seit den späten 80er-Jahren stellen wir fest, dass sich dies ändert – gemessen an den Verteilung von geldwerten Vermögen und Einkommen. Denn diese sind zentraler Gradmesser sowohl für die Chancengleichheit als auch für die beitragsgerechte geldwerte Entschädigung für die Erwerbsarbeit in einem hochgradig arbeitsteiligen meritokratischen Wirtschaftssystem.

Schon länger stellen wir Sozialdemokraten immer wieder fest, dass die «Reichen immer Reicher werden und die Armen immer Ärmer». Das stimmt übrigens so nicht. Die Reichen werden zwar immer reicher, aber vor allem zu Lasten des Mittelstandes und nicht der Ärmsten. Mitte der 90er Jahre habe ich meine Diplomarbeit an der HSG (Uni St.Gallen) zum Thema Vermögens- und Einkommens-Verteilungs-Gerechtigkeit in der Schweiz geschrieben. Die Zahlen waren schockierend. Insbesondere die Vermögensverteilung zeigte in der Schweiz bereits Mitte der 90er Unvorstellbares: 0,19% der Steuerpflichtigen (!) besassen 20% des Vermögens. Rund 5% die Hälfte des ganzen Vermögens. 50% besassen kein oder ein negatives Vermögen

Die Neuetablierung des Feudalsystems
Hans Kissling – der ehemalige Leiter des Statistischen Amtes des Kantons Zürich – hat jüngst ein hervorragendes Buch herausgebracht mit dem Titel «Reichtum ohne Leistung – die Feudalisierung der Schweiz», das hier im PS besprochen wurde und Präsenz in den Medien bekam. (Unbedingt lesen!). Darin nutzt er Zahlen bis ins Jahr 2003 aus dem Kanton Zürich. Demnach besitzen die Reichsten 100 Steuerpflichtige gleich viel wie 76% (552’000 Steuerpflichtige) nämlich 21,1 Milliarden Franken. 1% (7’300) der Steuerpflichtigen besitzt gleich viel wie 95% (696’000) der Steuerpflichtigen. Er zeigt im Weiteren auf, dass sich diese Verhältnisse seit 1991 massiv verschlechtert haben: Während sich das Medianvermögen (das genau in der Mitte liegende Vermögen) aller Steuerpflichtigen in dem Zeitraum um 21% erhöhen hat, konnten das reichste Prozent der Steuerpflichtigen das Medienvermögen um 71% steigern, das reichste 1/10 Promille gar um 95%.

Hans Kissling benennt solche Zustände und Entwicklungen vollständig zu Recht: Die Feudalisierung der Schweiz. Ich gehe seit meiner Diplomarbeit einen Schritt weiter und nenne dieses Phänomen «die Etablierung einer neofeudalen Gesellschaft» und zwar weltweit.

Der Begriff Feudalismus, abgeleitet vom germanisch -mittellalterlichen «feudum» (dt. Lehen ), bezeichnet das auf Lehnswesen und Grundherrschaft aufgebaute Wirtschafts- und Gesellschaftssystem Europas, in dem die über den Bodenbesitz verfügende adelig-aristokratische Oberschicht politisch, richterlich und militärisch Herrschaftsfunktionen ausübte (Feudalgesellschaft ).

Zwar haben wir diese klassische Feudalgesellschaft mit ihrem Land besitzenden Adel überwunden, es bildet sich aber schleichend und klammheimlich eine neue Klasse des Geldadels heran. Diese Klasse ist derart vermögend, dass sich Machtakkumulationen ähnlich dem Feudalismus ergeben. Es ist nicht mehr die Macht durch den Grundbesitz in einer bäuerlichen Gesellschaft, sondern die Macht des Kapitals in einer kapitalistischen Gesellschaft. Beanspruchte der klassische Feudalherr in seinem absolutistischen Weltbild, seinen Reichtum und seine Macht von Gott erhalten zu haben, so begründet der heutige, in einer liberal verfassten Gesellschaft, seinen Herrschaftsanspruch mit einer im Markt erzielten «Leistung».

Einfach so mit Nichtstun
Haben denn solche Verteilungen überhaupt etwas mit Leistung zu tun? Sind auch die ungeerbten Supervermögen im herkömmlichen Sinne verdient? Nicht dass wir uns falsch verstehen. Hier geht es nicht um die Kaste der gutverdienenden Manager – wie Vasella und Ospel, sondern um diejenigen die Geld machen mit Geld und nicht mit einem Job. Im letzten Jahr haben die drei bestverdienenden Hedge-Fonds-Manager zwischen 3,7 und 2,8 Milliarden Einkommen erzielt. Dagegen ist Vasella mit seinen 40 Millionen direkt ein Brezelibueb. Ein Viktor Vekselberg von dem man keine Ahnung hat woher er sein Vermögen hat, der Sulzer und Oerlikon hintenrum via Optionen aufgekauft hat, hat allein mit Zinseinkommen (berechnet zu 5%) auf seinen geschätzten 18 Milliarden Vermögen 90 Millionen Jahreseinkommen – einfach so mit nichts tun.
Es ist diese neue Klasse von Superreichen, die bestimmen wohin das Geld fliesst, die Firmen Aufkaufen können um an die Gewinne zu kommen, die Firmen Fusionieren können um Marktmacht zu erlangen. Es ist diese Klasse die bestimmen, wie viel Steuern sie wo bezahlen bezahlen wollen und die ganze Staaten unter Druck setzen können ja schon fast erpressen können, da sie und ihr Kapital mobil sind. Und vor allem haben sie schon so viel Macht, dass sie dafür sorgen können, dass wir unser Rechts- und Wirtschaftssytem so bauen, dass sie – unter der Fahne des Liberalismus! – mächtiger und reicher werden und sich so das neofeudale System festigt. Dies ist nichts anderes als der Klassenkampf von oben.

Natürlich funktioniert dies nur mit Vasallen (Lehensnehmer). Das sind diejenigen, die solche Einkommens- und Vermögens-Verteilungen wie sie der so genannte Markt hervorbringt, als das Ergebnis einer effizienten Ressourcenallokation ansehen und in der politischen Debatte stillschweigend, ja fast schon unantastbar axiomatisch annehmen. Dem Markt wird dabei noch die Aufgabe zugeteilt, Leistungsgerechtigkeit herzustellen, was er unbestrittenermassen grundsätzlich nicht kann. Der Markt – und insbesondere oligopolistische Märkte wie wir sie immer häufiger vorfinden – produziert einen wesentlichen Anteil an reiner Umverteilung von unten nach oben. (Aber dazu im nächsten Artikel)

Der rote Teppich für die gnädigen Herrn
Wagt man es distributive Marktkritik zu äussern, ist schnell der Vorwurf des Neids da; das lenkt ab von der Gier. Redet man von Redistribution über Steuern, die extrem ungleiche Ausgangsverteilungen leicht korrigieren, wird das als stossend empfunden. Immer häufiger wird Steuern zahlen zum gnädigen Akt der Reichen erklärt, denen wir dankbar zu sein haben. Der Hinweis auf den Steuerwettbewerb ist schnell gemacht, sowie das schon fast religiös überhöhte Credo platziert, wir würden doch «alle profitieren von den Reichen». Das lenkt ab von der volkswirtschaftlichen Leistungs- und Nutzendimension und von der Gerechtigkeitsfrage.
Wir rollen den roten Teppich aus und jubeln begeistert den Superreichen zu. Hat das Volk, die Bauern und die Soldaten das damals mit ihren Fürsten und Königen auch gemacht?

Bitte nicht ablenken lassen
Und wir Linken? Was machen wir? Sind wir auch Vasallen? Ich glaube nicht. Und trotzdem lassen wir uns ablenken. Wir reden über Steuern, Kämpfen für die Sicherung und den Ausbau der Sozialwerke, Streiten für Chancengleichheit in der Bildung und Minimallöhne. Wir legitimieren Sozialhilfe und stimmen dem zu, dass jeder ausgeschüttete Franken begründet sein muss. All dies ist richtig und wichtig. Und trotzdem, wir lassen uns ablenken; wir haben den klassischen Kampf zwischen Arbeit und Kapital völlig aus den Augen verloren. Dabei höre ich aus eigenen Reihen, das sei jetzt aber „ideologisch“ oder „klassenkämpferisch“.
Ja, der Klassenkampf von oben hat begonnen – nehmen wir ihn auf. Tun wir es nicht, sorgen wir selber dafür, dass die Grundwerte erodieren, von denen eine liberale und gerecht sein wollende Gesellschaft lebt.

In loser Folge erscheint eine Artikelserie zur Neofeudlisierung der Gesellschaft – das nächste Mal zum Thema «Umverteilungsmechanismen von unten nach oben».