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Neofeudalismus Teil 3: Die Umverteilung von unten nach oben

Neofeudalismus: Der Klassenkampf von oben – Teil 3

Die Umverteilungsmechanismen von unten nach oben

(publiziert im PS vom 14. November 2008)

Was ist «neo» – also neu am heutigen Feudalismus? In meinem ersten Artikel hatte ich geschrieben, dass sich die Machtverhältnisse heute anders begründen. Im Gegensatz zur klassischen Feudalgesellschaft ist es nicht mehr die Macht durch den Grundbesitz in einer bäuerlichen Gesellschaft, sondern die Macht des Kapitals in einer kapitalistischen Gesellschaft. Gleich geblieben ist aber folgendes: Die Akkumulation von Reichtum zeichnet sich nicht durch Leistung aus, sondern durch Umverteilung. Während im klassischen Feudalismus Ertrag (Ernte; Geld etc.) von der Tasche des Bauern in die Tasche des Feudalherrn wanderte, sind es heute wir als Konsumenten, als Arbeitnehmende, als Steuerzahlende, als KMU, die die Umverteilungsgewinne von unten nach oben berappen.

Und dies ist eher neueren Datums. Natürlich hat die Schweiz auch ihre Erb-Dynastien (Schmidheini, Albers und wie sie alle heissen) und die Vermögensverteilung war schon immer von grossen Unterschieden geprägt. Und trotzdem bestehen fundamentale Unterschiede, die es unterdessen rechtfertigen, unser Wirtschafts- und Gesellschaftssystem als «neofeudal» zu bezeichnen. Erstens sind sowohl die Vermögenszuwächse als auch die absoluten Vermögen heute wesentlich grösser als in der Nachkriegszeit bis in die späten 80er-Jahre. Und zweitens haben sich die Einkommensunterschiede vervielfacht. Dies lässt sich zahlenmässig eindeutig belegen – wie im letzten Artikel ausgeführt.

Die «Reichen am Zürichberg» waren Anwälte, Bankiers, Ärzte, Eigentümer von mittelständischen Unternehmungen; sie erzielten Jahreseinkommen, die etwa 4-8 mal höher waren als die untersten Einkommen. In der Regel verdienten sie ihr Geld mit Arbeit und hinter dem unternehmerischen Einkommen stand eine reale Produktion oder Dienstleistung, also eine volkswirtschaftliche Leistung und Wertschöpfung. Immobilien und Aktien hatte man als Wertanlage, nicht als Ertragsanlage.

Dies hat sich in den letzten rund 20 Jahren fundamental geändert. Zwar gibt es immer noch viele reiche Menschen, die Einkommen und Vermögen mit ehrlicher Arbeit und Wertschöpfung verdienen. Auch dies kann zu (zu) riesigen Vermögen führen; Hayek und Blocher sind Beispiele dafür. Viele Menschen machen jedoch grosse Vermögen mit reinen Finanztransaktionen, deren volkswirtschaftlicher Nutzen zumindest fraglich ist. Viele dieser Finanztransakationen sind ganz offensichtlich reine Umverteilungsmechanismen von unten nach oben.

Warum dies heute möglich ist und früher weniger, fragen Sie? Ich weiss es nicht. Ein Grund ist vermutlich die Liberalisierung vieler ehemaliger staatlicher Monopolmärkte. Ein weiterer Grund sind neue Kapitalmarktinstrumente wie zum Beispiel Derivative, Hedge Funds, strukturierte Produkte, sowie eine fortschreitende institutionalisierte Professionalisierung in Banken- und Finanzgeschäften wie zum Beispiel im Investmentbanking. Zudem entwickelt das System auch eine gewisse Eigendynamik: Vermögensakkumulationen führen zu Marktmacht und diese vereinfacht weitere Vermögensanhäufungen. Vermutlich dürften auch ethische Schranken gefallen sein, die früher kulturell tief verankert waren.

Es gibt kaum Forschung zu diesen Phänomenen, weshalb auch ich nur beispielhaft, ja fast anekdotenhaft aufzeigen kann, wie moderne Umverteilungsmechanismen von unten nach oben funktionieren. Man möge mir die englischen Ausdrücke, die nun folgen verzeihen, aber die muss man sich mal so richtig reinziehen, um dieser uns fremden Welt näher zu kommen.

Beispiel Cablecom: «dept investments und levaraged buy-outs»

Die Cablecom Holding AG entstand 1994 aus dem Zusammenschluss von vier staatlichen Kabelnetzen. 1996 übernahm sie – wenige Tage vor dem neuen Kartellgesetz – die Redifusion von der Firma Alcatel und wurde so zu der mit Abstand grössten Kabelnetzbetreiberin. Die Telecom PTT (spätere Swisscom) war mit 32% an Cablecom beteiligt, was ironischerweise die Wettbewerbskommission rügte. Weitere Eigentümer waren Siemens und Vebacom. Im März 2000 im Zuge der Interneteuphorie und des Liberalisierungsdrucks- hat die Swisscom die Cablecom an die britisch-amerikanische Kabelnetzunternehmung NTL für einen exorbitanten Preis von 5,8 Milliarden Franken verkauft. Diese hatte den Kauf mit hohem Fremdkapitalanteil (Kredit von der Bank) abgewickelt und nicht mit Kapital aus der eigenen Kasse. Der Kaufpreis wurde zu 100% in die Bücher der Cablecom übertragen. Übersetzt heisst dies nichts anderes, als dass die Cablecom sich selber gekauft hat. Fortan musste sie die Schulden abzahlen und die Zinsen auf dem Kredit bedienen. Im Zuge der geplatzten Internetblase und der Finanzmarktschwäche konnte die Cablecom ab 2003 ihre Schulden nicht mehr bedienen; auch NTL hatte eine Krise und stand unter Druck die Cablecom zu verkaufen. Diese wurde durch ein Konsortium übernommen, bestehend aus Banken, und den Beteiligungsgesellschaften Apollo Management, Tower Brook und Goldmann Sachs Capital. Allesamt relativ aggressive «Private Equity» (Beteiligungskapital) Firmen, die auf «dept investments» (Fremdkapital finanziert) resp. «leveraged buy-outs» (mit Fremdkapital gehebelte Auskäufe) in «distressed situations» (verzweifelte Situationen) spezialisiert sind. Der Kaufpreis konnte ich nicht eruieren, dürfte aber gemäss Schätzungen 1,5 Milliarden nicht überschritten haben. Das Konsortium brauchte nichts weiter zu tun, als abzuwarten bis sich die Finanzmärkte wieder erholen würden und die absehbare Servicepalette ausgeweitet wurde (Telefonie per Kabel). 2005 wurde sodann die Cablecom für 2,85 Milliarden an den US-Konzern Liberty Global verkauft. Zudem übernahm der Konzern Schulden von 1,6 Milliarden. Also ein 4.4 Milliarden-Deal. Zuvor wurde ein Börsengang inszeniert um die Kurs hinaufzudrücken, der kurz vor dem Verkauf abgesagt wurde. Sogar die NZZ sah sich veranlasst, kritisch über die Motive des geplanten Börsengangs zu berichten und schrieb: «Obgleich gerade in diesem Zusammenhang grössere Investitionen und Produktlancierungen für die nächste Zeit angesagt sind, dient indes die jetzige Einführung an der Börse nicht unmittelbar der Zuführung von neuer Liquidität. In der Tat ermöglicht sie primär der Investorengruppe, eine Reduktion und Versilberung ihres Engagements.» Selbstverständlich muss die Tilgung und Verzinsung der Schulden aus dem Erstverkauf in der Bilanz der Cablecom weiterhin finanziert werden. Bei einem privaten Monopolisten ist es recht einfach dies über höhere Gebühren resp. reduzierte Leistungen (siehe analoges Netz, wo ständig Sender abgebaut wurden) reinzuholen. Wenn nur jeder der 1,5 Millionen Kunden 5 Franken im Monat zu viel bezahlt, dann macht das satte 90 Millionen Umverteilungsgewinne pro Jahr aus. Wir Konsumenten bezahlen also. Genau dies nennt man volkswirtschaftlich Umverteilung von unten nach oben, weil keine Wertschöpfung dahinter steht.
Nicht weiter erstaunlich ist dabei, dass die Vasallen und Lehensnehmer auch ihre Brosamen davon bekommen, damit sie solchen Transaktionen auch zustimmen. 40 Manager haben im Jahr 2003 für ca. 2,8 Mio. Franken (also rund 70’000.- Franken pro Person) Anteile der Cablecom gekauft – und beim Verkauf nur zwei Jahre später 144 Millionen dafür erhalten. Das ist ein plus von 5000% (= 50 mal mehr).

Beispiel Jelmoli: Bilanzumschichtung

Nebst Fremdfinanzierten Deals wie oben, sind Bilanzumschichtungen gross in Mode. Während früher Firmen über Jahrzehnte konstante Eigentümerverhaltnisse hatten, werden heute Handänderungen hochfrequent durchgeführt. Besonders interessant sind solche Finanzgeschäfte, wenn Traditionsfirmen über die Jahrzehnte Werte aufgebaut haben, die als Anlagevermögen in der Aktivseite der Bilanz stehen. Dies können Maschinen, Patente auf Erfindungen, Immobilien und dergleichen sein. Typisches Beispiel ist Jelmoli. Der Immobilienbestand von Läden an besten innenstädtischen Lagen wurde über Jahrzehnte aufgebaut. 2007 hätten der Liegenschaften an eine israelische Finanzgruppe verkauft werden sollen für 3,4 Milliarden Franken. Damit wäre das Anlagevermögen (Immobilien) in Umlaufvermögen (Liquide Mittel, Geld) umgeschichtet worden (Bilanzumschichtung). Vier Hedge Funds , die bei Jelmoli kurz zuvor eingestiegen waren, setzten den Verwaltungsrat unter Druck die riesige Liquidität als Sonderdividende auszuschütten. Schon vorher lagen durch den Verkauf von Fust 700 Millionen Franken in der Kasse. Hauptaktionär von Opel kontrolliert mit einem Viertel des Kapitals 52,9% der Aktionärsstimmen. Dieser wollte die Jelmoli in eine Immobiliengesellschaft und eine Beteiligungsgesellschaft aufsplitten und für die Aufgabe seiner Stimmrechte eine gigantische Prämie kassieren. Der Immobilien-Deal platzte aber dann, da wegen der Kreditkrise dem israelischen Konsortium der Kaufpreis zu hoch war. Schön wenn sich Kapitalisten um die Verteilung der potentiellen Bilanzumschichtungsgewinne in aller Öffentlichkeit balgen. Wieso nur wird hier nicht von Masslosigkeit und Gier gesprochen? Auch hier handelt es sich um reine Umverteilungsgewinne von unten nach oben und hier auch von früheren Aktionären (die wegen dem Erwerb von Immobilien reduzierte Dividenden hatten) zu heutigen Aktionären (die die aufgebauten Werte kurzfristig abziehen wollen), ohne den geringsten wirtschaftlichen Mehrwert zu generieren.

Es gäbe noch viele Bespiele und Mechanismen zu erläutern. Über alles gesehen sind die allermeisten solchen Deals volkswirtschaftlich schädlich, da es zu noch mehr Kapitalhäufung bei Einzelnen führt, Ungleichgewichte verstärkt werden und meist die Konsumenten diese Umverteilungs Profite zu finanzieren haben, was deren Kaufkraft schmälert. Es sind Profite ohne Produktion, ohne Wertschöpfung. Es sind Profite die nur gemacht werden können wenn man ohnehin schon viel hat. Der vom Liberalismus geforderte Zugang für alle und Chancengleichheit wird aufs tiefste verletzt. Oder ist schon jemand auf Sie zugekommen, ob sie sich an einer kleinen Bilanzumschichtung beteiligen wollen?

Und dies ist der fundamentale und entscheidende Unterschied zwischen dem wie früher Vermögen gebildet werden und dem wie es heute geht. Sie führt zu Geld- und damit Machtkonzentration bei einer kleinen Schicht von wenigen Geldadeligen. Superreich ist eben nicht gleich Reich mit „emene bizzeli meh“. Wenn – wie Koni Löpfe sagt – Milliardäre die Millionäre an der Goldküste verdrängen ist das keineswegs mit einem belustigten Achselzucken hinzunehmen.
Und hat die Finanzmarkt-Krise auch etwas mit Umverteilungen, mit Profiten ohne Leistung zu tun? Genau – so ist es, aber das ist eine längere Geschichte.

Die beiden ersten Artikel können auf diesem Blog nachgelesen werden.