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Nein – der Kunde ist nicht einfach König.

Nein zur unverschämten zürcher Volksinitiative „Der Kunde ist König“, am 17. Juni 2012

Heute morgen fahre ich mit zwei Rollkoffern und drei Umhängetaschen nach Bern. In der S-Bahn von Wipkingen an den HB sehe ich einen Mann, ungefähr 35, sehr gutaussehend, im Anzug und einem Schlüsselbund in der Hand.

ICH lächle. Eigenartig, ein Mann im Zug mit Schlüsselbund sieht man nie sage ich.

ER verlegen: es hat keinen Platz in der Westen-Tasche (er demonstriert dies). Fahren Sie in die Ferien?

ICH: Nein – ich disloziere nach Bern.

ER: Sagen sagen sie denen dort, wir sind Sklaven.

ICH frage mich, wieso ich sofort weiss, wovon er spricht. Wieso sagen Sie es nicht selber?

ER: Wir haben alle Angst. Und Ihnen würde ich auch nichts sagen, wenn Sie wüssten wo ich arbeite.

ICH: Ich würde doch nie einen Verkäufer in die Pfanne hauen, auch sonst keinen Menschen; aber ich richte es gerne aus, denen in Bern.

ER: Das ist der Tod jeden Familienlebens und was nützt es? Wir stehen uns jetzt schon die Beine in den Bauch. Und ER entschwindet

Unwirksame und unverschämte Selbstinszenierung der FDP

Vorderhand richte ich es denen in Zürich aus – die FDP (unterstützt von der SVP) hat eine Initiative lanciert,“ der Kunde ist König“, worin eine vollständige Liberalisierung der Landenöffnungszeiten gefordert wird. Diese ist wirkungslos, da sie nur Familienbetriebe ohne Angestellte betrifft; der Rest ist durch nationales Recht geregelt. Aber es soll ja auch nur „ein Signal nach Bern“ (Zitat Doris Fiala) sein. Daneben setzt sich die Initiative (hätte sie denn Wirkung) wahrlich königlich über 300’000 Verkäuferinnen und Verkäufer in der Schweiz hinweg, die im Schnitt 3’400.- Franken netto im Monat verdienen.

Diese wollen das nämlich nicht. In den letzten Monaten habe ich mit mindestens 20 VerkäuferInnen gesprochen.

Vor einer Woche war ich abends Essen; beim Rauchen komme ich mit sieben jungen Männern um die 25 ins Gespräch. Wir spielen heiteres Beruferaten. Einer ist Verkäufer. Ich werde nach zwei Fehlversuchen als Politikerin enttarnt. Nach dem Essen plaudern wir über Politik. Es ist ein selten offenes, ja schon fast geistreiches Gespräch, was mich als Kulturpessimistin beruhigt.

ICH erkläre warum man dringend gegen die Steuervorlage sein muss.

DER VERKÄUFER: Und zum Kunde ist König auch unbedingt nein.

ICH: Wieso meinst Du? Und wo arbeitest Du?

DER VERKÄUFER: Im Glatt – aber ich sag nicht wo. Wir verkaufen nichts mehr wenn wir länger arbeiten müssen. Jetzt schon sind 90% der Leute dort und kaufen nichts – reine Freizeitbeschäftigung. Wenn wir länger arbeiten, gleich viel Umsatz machen, dann verdienen wir weniger. Das merkt doch auch der Dümmste.

ICH: Kennst Du einen Verkäufer der dafür ist?

DER VERKÄUFER: Sicher nicht – keinen einzigen. Ich liebe meinen Job, aber schon am Samstag bis 20.00 ist völlig sinnlos. Da läuft gar nichts mehr. Aber wir müssen, weil die anderen auch offen haben.

ICH: Und wieso protestiert ihr nicht?

DER VERKÄUFER: Wir dürfen doch nicht.

ICH: Wurde euch das verboten?

DER VERKÄUFER: Nicht direkt – aber es ist klar, dass wir dann Schwierigkeiten bekommen.

Ich verspreche ihm, ihm eine Stimme zu geben. Echt.

Freiwilligkeit ist ein Witz: Grossverteiler auch

Zig Gespräche mit VerkäuferInnen im Quartier-Laden eines Grossverteilers ergeben das gleiche Bild. Dort wurden die Landenöffnungszeiten (unter geltendem Recht) in den letzten drei Jahren an Wochentagen und am Samstag von 17.00 auf 21.00 erhöhnt. Keine einzige der Verkäuferinnen findet das gut. Sie haben nicht etwa mehr Tage frei, sondern einfach länger Mittagspause (zwei bis drei Stunden) in denen sie nicht mal nach Hause können, weil sie meist zu weit weg wohnen. Und auch sie wissen, die Löhne werden unter Druck kommen, wenn sich der gleiche Umsatz auf mehr Stunden verteilt. Auch sie sagen, sie können fast nichts mehr abmachen und ihr Sozialleben leidet. Auch hier das gleiche Muster: laut wollen sie nicht darüber reden. Keine Einzige! Sie haben Angst den Job zu verlieren.

Zynik der Befürworter

Vor diesem Hintergrund ist es besonders zynisch wenn Befürworter des 24-Stunden-Einkaufs-Shoppings meinen, die Leute können ja künden und einen anderen Job machen, wenn ihnen das Arbeiten am Abend nicht ins Familien- oder Freizeitleben passt.

Sprecht mit einer oder einem der 300’000 Betroffenen!

In diesem Sinn rufe ich alle auf – sprecht mit euren Verkäuferinnen und Verkäufern und fragt ganz einfach, ob sie das alles so toll finden.  Denn ja, es gibt sie, die Menschen zwischen den Gestellen und den Kassen und dem Piepsen über die wir nun wie Könige (be)stimmen dürfen.

Wer für 3’400.- Franken netto im Monat eine unverzichtbare Arbeit leistet, hat unser Gehör und unsere Stimme ehr und redlich buchstäblich verdient.

Und übrigens: Wer so eine abghobene, selbstgefällige, wirklungslose Selbstinszenierungs-Initiative macht über die Köpfe von 300’000.- schlecht verdienenden, ehrlich arbeitenden Menschen hinweg und vom hohen Thron herab verordnet, man könne ja den Job wechseln wenn es einem nicht passt, der hat sich folgendes gefallen zu lassen:

 

Gute Nacht Frau Doris Fiala und Herr Markus Hutter.

Jacqueline Badran, Unternehmerin, die oft nachts arbeitet, die gerne abends einkaufen würde, das auch im Bioladen im Quartier tun kann, die aber viel lieber gerechte Verhältnisse hat und nicht noch mehr Lohndruck auf die ohnehin schlecht Verdienenden und deshalb gerne auf ihr Königinnensein verzichtet.