Initiative 1:12 – es muss dabattiert werden. (Rede zur Eintretensdebatte)
27. September 2012Rede Eintretensdebatte zur Initiative 1 : 12 – 27.9.2012
Rede nur unvollständig gehalten, hier die vollständige Version.
Herr Präsident, geschätzte Kolleginnen und Kollegen
Ich oute mich als erstes. Ich bin Unternehmerin und die Lohndifferenz in meiner Firma beträgt 1 zu 1.6. Mir geht es gut und dem Ehepaar, das unsere 18 Räume reinigt geht es gut und unserer Firma geht es gut in einem total ungeschützten Markt wo harte Konkurrenz geradezu tobt. Auch so funktionieren marktwirtschaftliche Privatunternehmen. Würde ich fünf mal so viel wie meine Sekretärin verdienen – geschweige denn 12 mal so viel – , könnte ich mich im Spiegel nicht mehr anschauen, ich würde mich zu Tode schämen. So geht es wohl tausenden von Gewerblern, KMUs, Bauern und Nichtprofitorganisationen in unserem Land.
Ja – um das billigste aller Argumente, es handle sich um eine Neiddebatte vorwegzunehmen – die Verteilungsfrage lässt uns nicht vor Neid erblassen, sondern vor Scham erröten.
Es ist die Verteilung unseres gemeinsam erwirtschafteten Wohlstandes, die uns schon seit Jahrhunderten umtreibt. Sie hat Kriege und Revolutionen ausgelöst – und tut es immer noch. Global gesehen haben wir eine Gesellschaft geschaffen in der wenige 100‘000 Menschen nicht mehr wissen wohin mit dem Geld und dagegen Milliarden von Menschen nicht wissen woher sie es nehmen sollen.
In den westlichen Demokratien ist die Verteilungsfrage nicht mehr so existentiell wie noch vor Jahrhunderten. Wir haben die Verteilung des Wohlstands quasi domestiziert; wir anerkennen – zumindest theoretisch – dass es einen existenzsichernden Mindestbedarf nach dem Massstab der Bedarfsgerechtigkeit gibt. Nach einer Phase nach dem zweiten Weltkrieg zunehmender materieller Gleichheit ist die Verteilungsfrage und damit die Frage nach der Gerechtigkeit seit Mitte der Neunziger Jahre wieder zu einem der zentralsten Probleme geworden. Sagenhafte Vermögen wurden in wenigen Jahren akummuliert und die Einkommensunterschiede nehmen exsessive Formen an.
Vor gut 15 Jahren habe ich an der HSG meine Diplomarbeit zur Vermögens- und Einkommensverteilungsgerechtigkeit in der Schweiz geschrieben. Ich war entsetzt, was dabei rausgekommen ist. Und die Situation hat sich in den Jahren danach noch deutlich verschärft. Mein damaliges Fazit lautete, man müsste ein Verteilungsziel in unsere Verfassung schreiben und die damals noch nicht abgeschaffte Erbschaftssteuer verschärfen.
Die nationale Erbschaftssteuerinitiative ist unterwegs und die 1:12-Initiative liegt hier in diesem Moment auf dem Tisch.
Weder die Jusos noch die SP sind dumm und naiv. Wir wissen alle, dass wir diese Initiative nicht gewinnen werden. Wir können die Gegenargumente selbst runterbeten, sie sind trivial und durchschaubar.
Die FDP – einst grosse Verfechterin der Freiheit – ist gefangen im autonomen Nachvollzug von Sachzwängen. Sie fängt ihre Sätze an – so, wie sie sie seit Jahren immer anfängt – mit „wir müssen“. Die FDP sagt wir müssen solche Löhne zulassen, sonst finden wir die Manager nicht. Wir müssen das hinnehmen, weil sonst wandern die Firmen ab. Wir müssen die Steuern senken, sonst sind wir nicht mehr wettwerbesfähig. Sie appelliert bestenfalls an die Moral der Hochlohnbezüger, sie sollten sich doch ein wenig mässigen. Unfähig das System zu hinterfragen.
Ich warte auf den Tag, wo die FDP – die Liberalen – wieder mal einen Satz anfangen mit „wir wollen“. Und ich frage mich, ob sich ihre Vertreter nicht manchmal klein, schäbig und unfrei vorkommen.
Es wäre schön, könnten wir in der Politik wieder einmal sagen – wir wollen. Wir wollen eine Gesellschaft, die gerecht ist; wir wollen eine Gesellschaft die materiell balanciert ist, weil das auch sinnvoll für die Volkswirtschaft ist. Wir wollen Chancen für alle. Wir wollen eine Gesellschaft in der Existenzen würdevoll gesichert sind und in der Leistung gerecht honoriert wird. Wir wollen eine Gesellschaft wo es kein Vorrecht gibt von Privilegierten, eines Adels ohne Titel, eines Geldadels. Wie hiess damals das grosse Bürgerliche Credo als sie gegen den Adel angetreten sind: Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit?
Und die SVP – Hüterin der Schweizer Werte – auch sie sagt, was wir alles müssen und nicht können. Sie vergessen dabei die grössten Errungenschaften, die die Schweiz seit Tells antifeudalen Zeiten tief im Innersten ausmacht. Der Ausgleich – nicht nur zwischen den Regionen, den Sprachen, den Kulturen, den Religionen und den Parteien und politischen Richtungen, sondern auch der Ausgleich zwischen oben und unten. Es ist kein Zufall, dass – anders als in anderen Ländern – die grössten Häuser 450m2 Wohnfläche haben. Es ist kein Zufall, dass wir keine Grossgrundbesitzer kennen. Es ist kein Zufall, dass ein Filialleiter im Rang eines Bankdirektors in den 70er Jahren nicht mehr als 4‘800.- Franken verdiente. Es ist kein Zufall, dass der Chef (heute CEO) der Schweizerischen Kreditanstalt noch Ende der 80er Jahre keine halbe Million Franken verdiente – also nicht einmal 10 mal so viel wie seine Sekretärin.
Der freie Mensch unter Gleichen, das macht die Seele der Schweiz aus. Schade hält die SVP an diesen schweizerischen Werten nicht mehr fest, wie sie schon an der Debatte über die Pauschalbesteuerung in dieser Session bewiesen hat. Sie ist nicht mehr interessiert an diesem machtphoben, antifeudalen Geist des Ausgleichs in der Schweiz – an der Verweigerung sich vor dem Hut des Landvogts zu verbeugen.
Sie haben es eben selbst erlebt: Die Herrn Spuhler und Giezendanner haben sich eben wie Gnädige Herrn gabart, die mit ihren Arbeitsplätzen und Steuern milde Gaben verteilen.
Herr Giezendanner, wer sich in ihrer Branche mehr als 12x mehr als seine Chauffeure auszahlen kann – wie sie eben zugegeben haben – muss zur Kenntnis nehmen, dass seine Arbeitnehmer ihn füttert und nicht umgekehrt. Oder wer erwirtschaftet ihren Lohn während sie hier in Bern rumpoltern? Man sollte bekanntermassen die Hand nicht beissen, die einen füttert. Herr Fuhrhalter, merken sie sich das hier und jetzt.
Und die CVP wird sich vornehm zurückhalten, denn nur zu gut weiss sie, dass solch ungleiche Veteilungen, wie wir sie in der Schweiz haben, nicht vereinbar sind mit christlichen Werten.
Ja – wir wissen, dass wir diese Initiative angesichts dieser geballten Ladung von Sachzwängen und vergessenen Werthaltungen nicht gewinnen können. Aber darum geht es auch nicht.
Die 1 – 12 Initiative stellt eine fundamentale – ja heute schon fast ungeheuerlichen Frage: Wie soll in einer extrem arbeitsteiligen Wirtschaft der gemeinsam geschaffene Kuchen verteilt werden?
Je unklarer es ist, welchen Anteil der Einzelne in einer arbeitsteiligen Gesellschaft zur gesamtwirtschaftlichen Produktion beiträgt, je diffuser und unfähiger der Markt die Leistungsgerechtigkeit herstellt, desto klarer müssten die politischen Verteilungsziele sein. Ein distributives Ziel ist in der schweizerischen Bundesverfassung aber nicht zu finden.
Als Politikerinnen kann uns dieses Ziel aber nicht egal sein. Wir haben die Pflicht darüber zu debattieren welche Resultate unsere Marktwirtschaft erbringt, schliesslich delegieren wir dem Markt und dieser unsichtbaren Hand auch viel Verantwortung. Und wir haben die Pflicht an dieses Verteilungsergebnis distribulive Marktkritik zu üben. Wieso haben wir das so lange nicht getan?
Der Grund kann nicht sein, dass für die Menschen Verteilungsgerechtigkeit einen untergeordeten Stellenwert hat. Empirische Studien beweisen das Gegenteil. Der Grund könnte zum einen darin liegen, dass verbindliche legitimierte Vorstellungen darüber fehlen was Verteilungsgerechtigkeit sei; zum anderen könnte die mangelnde Transparenz über die Verteilungsverhältnisse eine Erklärung sein.
Und deshalb ist diese 1 :12 Initiative so wertvoll. Sie muss und wird einen Diskurs auslösen. Die Initiative stellt eine ganz simple Frage. Wieviel mehr soll der Bestbezahlte einer Firma mehr verdienen als der Schlechtestverdienende?
Diese äusserst präzise Frage kann dazu führen, dass wir uns zum Beispiel überlegen, wieso der Bestverdienende Hedgefonds-Manager letztes Jahr ein Einkommen von 3,8 Milliarden erzielet hat. Nicht der Fonds wohlgemerkt, der Manager als Lohn! Legt er dieses Geld zu 5% Zinsen an, hat er künftig ein Jahreseinkommen von 190 Millionen Franken oder gut eine halbe Million pro Tag. „Wollen wir das?“– nicht „müssen wir das hinnehmen?“ ist die Frage. Und vor allem – ist dies gerecht? Und wie hat er diese 3,8 Milliarden verdient, woher kommt dieses Geld? Solche Einkommen sind erklärungspflichtig und zu begründen. Wir verlangen von einem Sozialhilfe-Empfänger schliesslich auch, dass er detailliert nachweist, weshalb es zum Zahnarzt muss. Wieso verlangen wir keine Begründung von solchen Einkommen? Kleinlich wird zum Beispiel um Karenztage bei der Arbeitslosenversicherung gefeilscht. Sozialfürsorgeempfänger müssen ihre Position gegenüber Beamten legitimieren. Ist es eine Eigenart unserer Zeit, dass Einkommensunterschiede wie sie in der Schweiz herrschen nicht legitimiert zu werden brauchen? Nicht wer wenig hat muss sich legitimieren, sondern Gruppen, die Einkommen und Vermögen konzentrieren, haben dies zu rechtfertigen.
Die zentrale Gerechtigkeitsfrage, die die 1:12 Initiative stellt, kann zur Schärfung unseres moralischen Sinnes führen; sie kann unsere Gedanken klären und ordnen; und vielleicht sogar zur Verringerung von Meinungsverschiedenheiten beitragen und zur Vereinheitlichung gegensätzlicher Überzeugungen.
Dann hat sie alles geleistet was man vernüftigerweise von ihr verlangen kann.
Eine Gesellschaft braucht verbindliche moralische Werturteile, die von all ihren Mitgliedern legitimiert und handlungsleitend sind. Vielleicht bleiben uns dann künftig mürbe machende Verteilungskämpfe endlich erspart.
Meine Damen und Herren. Wir alle hier drin meinen es gut und wollen nur das Beste. Jedoch Niemand ist unsensibler für das, was er anrichtet als der, der nur das Gute gewollt hat.
Die 1- 12 Initiative soll dazu beitragen, dass unser System trotz guten Willens nicht unsensibel bleibt für das, was es anrichtet. Ich fordere Sie deshalb auf, sich auf diesen Diskurs einzulassen und mit uns gemeinsam hinzuschauen, was für eine Verteilung unser System hervorbringt und daran Massstäbe zu setzen.
Die Gerechtigkeitsperspektive muss aus dem politische Nirgendwo herausgeholt werden.
Justitia hat ihre Augenbinde, damit sie unparteilich entscheide, nicht damit sie blind sei gegenüber dem, was sie anrichtet.