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Zuwanderung drosseln – Steuerregimes reformieren (Medienspiegel)

Jacqueline Badran, publiziert in der Sonntagszeitung, 30.12.2012, FokusStandpunkte, S. 16

Zum online Artikel: Bestellt als eine Art Replik auf den neusten Vorschlag von CVP Nationalrat Gerhard Pfister zum Umgang mit der Personenfreizügigkeit.

Schafft das Businessmodell Schweiz ab!

 

Statt Inländer bei der Jobvergabe zu bevorzugen, braucht es eine neue Steuerpolitik gegenüber ausländischen Firmen

Gut gemeint, aber völlig wirkungslos: Der Vorschlag von CVP-Nationalrat Gerhard Pfister, dass sich Firmen freiwillig dazu verpflichten sollen, bei gleicher Qualifikation einem Inländer den Vorzug zu geben und nicht eine Arbeitskraft aus dem Ausland zu holen, zielt komplett ins Leere.

Erstens ist dieser Vorschlag im Rahmen der Personenfreizügigkeit rechtlich kaum umsetzbar. Zweitens ist die Durchsetzbarkeit nicht gegeben: Wie sollte man so etwas kontrollieren? Eine Überprüfung der Bewerbungsdossiers und der Anstellungen ist ohne gigantische Bürokratie undenkbar. Drittens – und dies ist das wichtigste Kriterium – widerspricht die Forderung fundamental den Interessen der Unternehmen. Sie wollen bei gleicher Qualifikation die billigere Arbeitskraft einstellen und nicht die inländische. Für eine freiwillige Lösung bestehen also keinerlei Anreize.

Zweifellos ist es richtig, sowohl über einen Gegenvorschlag zur Masseneinwanderungsinitiative der SVP nachzudenken als auch über flankierende Massnahmen zur Dämpfung der Probleme, die durch die hohe Zuwanderung entstehen. Doch statt sich mit Scheinlösungen wie Kontingenten oder der Bevorzugung von Inländern herumzuschlagen, ist es klüger, sich mit den Ursachen der Zuwanderung zu befassen. Ursache Nummer eins liegt bei den exzessiven Steuerprivilegien für Holding- und gemischte Gesellschaften. Rund die Hälfte aller europäischen Hauptsitze haben sich in der Schweiz angesiedelt. Jede Woche werden es mehr. Ganze Branchen – wie die Rohstoff-Handelsgesellschaften – haben sich in die Schweiz verschoben. Auf den ersten Blick verursachen solche Headquarters keine grosse Zuwanderung. Doch für jeden sogenannt hoch qualifizierten Spitzenverdiener, der bei diesen Konzernhauptsitzen arbeitet, wandert ein Vielfaches an Personen mit: Bauarbeiter, die ihnen die Wohnungen und Büros bauen müssen, Betreuungs- und Putzpersonal, Lehr- und Pflegepersonal, Personal für die öffentlichen Dienste usw. Dass wir zum Beispiel einen Mangel an Fachkräften in den Spitälern haben, ist nicht darauf zurückzuführen, dass wir plötzlich kränker sind, sondern ein Folgeproblem der Erstzuwanderungen, die durch unsere Steuerregimes und das «Headquarter hopping» in die Schweiz ausgelöst werden.

Um die Einwanderung zu mässigen, ist deshalb eine umfassende Reform der verschiedenen Firmenprivilegien und Unternehmens-Steuerregimes nötig. Das hätte zwar kurzfristig schmerzhafte Auswirkungen: Eine Abwanderung verschiedener Firmen wäre die Konsequenz, da die Lohnnachteile in der Schweiz nicht mehr durch Steuervergünstigungen überkompensiert würden. Mittelfristig hätte es jedoch nur Vorteile: Die Zuwanderung würde massgeblich gedrosselt. Steuersubstrat und Arbeitsplätze würden wieder vermehrt im europäischen Markt verteilt, was unsere Absatzmärkte stärken würde. Das ist existenziell für die Schweiz als Exportland. Zudem würden uns teure Infrastrukturausbauten buchstäblich erspart bleiben. Und so ganz nebenbei würde der Steuerstreit mit der EU gelöst.

Diese Zusammenhänge blenden die bürgerlichen Parteien und der Wirtschaftsverband Economiesuisse systematisch aus. Sie studieren lieber an immer neuen Formen von Steuerprivilegien herum wie Lizenz- und Zinsbox und unterstützen kantonale Strategien zu immer wilderen Steuersenkungen – mit dem Ziel neue Hauptsitze anzusiedeln.

Das neue Businessmodell Schweiz, wonach wir mit Steuerdumping Firmen in die Schweiz gelockt haben, gehört dringend beendet. Es hat zu einem aufgeblähten Wachstum mit hoher Erst- und Folge-Migration geführt. Und dies erst noch ohne Erhöhung des Bruttoinlandprodukts pro Kopf. Darüber hinaus hat es unseren europäischen Haupt-Absatzmärkten und damit uns selbst geschadet. Es ist Zeit, sich auf die wirklichen Stärken der Schweiz zu besinnen: ein von Innovation und technischem Fortschritt getriebenes mässiges Wachstum aus uns selbst heraus.

* Zürcher Unternehmerin und SP-Nationalrätin

Publiziert am 30.12.2012