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Die neue Linke – ein Portrait von „Das Magazin“ – (Medienspiegel)

Portrait aus „Das Magazin“ Nr. 4, 26. Januar 2013

„Die Unverwüstliche“ – Jacqueline Badran ist wohl die unkonvetionellste linke Politikerin des Landes. Auch privat trotzt sie allem Ungemach.

von Martin Beglinger

 

 

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Das Magazin 4/2013?—?Die unverwüstliche

Die Frau mit den vier Leben

Jacqueline Badran ist eine Zürichberg-Tochter. Aber ganz anders, als man denkt. Nun mischt die SP-Nationalrätin die politischen Fronten auf.

Text Martin Beglinger

Porträt Pierluigi Macor

 

Wo wollen wir uns treffen? Im Starbucks, bei ihr gleich um die Ecke? «Hilfe, nein! Nicht im Starböcks, der zahlt ja keine Steuern», simst sie zurück, «bei mir gibts guten Bio-Fairtrade-Kaffee.» Und den Kapitalismus hat sie in ihrem Büro auch schon überwunden, aber das sagt sie erst, als man schon dort sitzt, in ihrer IT-Firma Zeix im Zürcher Stadtkreis 4.

Jacqueline Badran, die drei Stunden pro Tag schläft, höchstens vier, braucht maximal fünf Sekunden, um auf hundert zu sein. Der Kaffee in der Firmenküche ist noch nicht in der Tasse, da hat sie sich schon heiss geredet. Es geht um die Unternehmenssteuerreform II, eines ihrer Lieblingsthemen, «ein Skandal». Dann kommen Zahlen, Fachbegriffe, noch mehr Zahlen, bevor sie über den nächsten «Bullshit!» lästert, den sie gerade gelesen hat. Und das alles in der Tonlage eines Kieswerks, das von täglich drei Schachteln Muratti in Gang gehalten wird. Spätestens nach zehn Minuten weiss man, was Freunde wie Kritiker meinen, die sie als «Überzeugungstäterin» beschreiben. Sie kann Leute belagern, morgens im Parlament oder nachts an einer Party, sie fasziniert die einen, nervt die andern, doch gleichgültig lässt diese Frau niemanden.

Zehn Jahre lang sass sie für die Sozialdemokratische Partei im Zürcher Stadtparlament, bis Herbst 2011, dann postete Badran auf ihren Blog: «Bern, ich komme!» Im Bundeshaus will sie sich um die Immobilien- und ebenso um die Steuerpolitik kümmern, denn dort sieht sie «ein Vakuum», auch in der eigenen Partei. «Die SP hat verpennt, wie rasend schnell die Schweiz zu einem Monaco am See umgebaut wird, nicht nur in Zürich, auch in Zug und Genf.»

Neu Gewählte in Bern schweigen in der Regel erst mal ein Jahr lang brav. Die Neue aus Zürich hingegen stellte sich ihrer SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga schon in der ersten Sessionswoche mit folgenden Worten vor: «Ich heisse Jacqueline Badran und sage dir gleich jetzt, dass ich dafür sorgen werde, dass die Lex Koller nicht abgeschafft wird. Und wenn die SP da nicht mitmacht, werde ich eigenhändig 50 000 Unterschriften für ein Referendum sammeln und frontal gegen dich antreten.»

Um Himmels willen!, fuhr es etlichen Anwesenden durch den Kopf, was ist denn das für eine, die da im Bundeshaus angestampft kommt wie eine Walküre, in ihrem wallenden schwarzen Mantel, schwarzen Hosen und grossen schwarzen Stiefeln? Auch sie selber meint im Rückblick mit einem Lächeln: «Ui, Jacqueline, das war schon etwas forsch» für einen ersten Kontakt mit der eigenen Bundesrätin. «Aber ich fand, das müsse ich jetzt sagen, die Immobilien- und Steuerpolitik ist immerhin eine meiner zentralen Missionen, warum ich nach Bern wollte.»

Auch bei anderen Themen sagt sie, was sie denkt. Im April 2012 erklärte sie dem «Sonntag»: «Die Grenzen der Zuwanderung sind erreicht.» Im August doppelte sie nach: «Acht Millionen Einwohner sind genug.» Darauf frotzelte SVP-Parteipräsident Brunner: «Du gefällst mir, Jacqueline. Gibs zu, du bist eine von uns!»

Wer also ist diese Jacqueline Badran?

Eine verkappte SVPlerin? «Vergiss es, Toni», hat sie zur Antwort gegeben, «ich bin eine L-i-n-k-e.» Und wenn sie grad beim Personal auf dieser Seite ist: «Dieses Schlitzohr Blocher finde ich zwar sympathisch, aber unschweizerischer gehts nicht mehr, wie er als Führerfigur von seinem blöden Schloss herunterpredigt.»

Badran sieht sich als «politischen Zwilling von Otto Stich». Wie der frühere Finanzminister liegt sie immer mal wieder quer zu den üblichen politischen Fronten und manchmal ziemlich weit weg von der eigenen Partei. Sie ist sehr EU-skeptisch, und staatliche Schuldenwirtschaft hält sie für «asozial, weil die Allgemeinheit dafür bezahlt und nur jene davon profitieren, die Staatsobligationen besitzen».

Eine konservative Sozialdemokratin also? «Überhaupt nicht!» Die Einundfünfzigjährige versteht sich vielmehr als linke Linke – «mit dem Alter immer linker». Sie stimmt (ohne Herzblut) für die Abzocker-Initiative, doch lieber wäre ihr das Ende der Pauschalbesteuerungen, und am liebsten würde sie im Grunde mit dem Kapitalismus abfahren, ganz wie es das SP-Parteiprogramm empfiehlt. Das sagt eine Frau, die Ökonomie studiert hat, und dies nicht irgendwo, wie sie gerne betont, sondern an der HSG: Sie weiss, dass ihr das mehr Respekt unter den Bürgerlichen verschafft, als wenn eine Sozialarbeiterin über Steuerpolitik spricht.

Heute ist sie Unternehmerin, leitet eine Firma mit 22 Angestellten und hat dort schon mal mit der Überwindung des Kapitalismus begonnen. Alle, die länger als zwei bis drei Jahre bei Zeix arbeiten, sind am Aktienkapital beteiligt. Der Gewinn wird «einigermassen egalitär» verteilt; Dividenden, also Ertrag aufs Kapital, gibt es keine.

Eintritt in die High Society

Irgendwie klemmt jede Schublade, in die man diese Politikerin stecken will. Das liegt gewiss auch an ihrem Leben, das ziemlich ungrad verlaufen ist. Geboren wurde Jacqueline Badran 1961 in Sydney, ihr Vater Fred Badran war ein libanesischer Selfmademan, der es zum grössten privaten Firmenbesitzer in Australien gebracht hatte; ihre Mutter, aus kleinbürgerlichen Verhältnissen stammend und von Hollywood träumend, ist je zur Hälfte Deutsche und Schweizerin. Weil die Mutter es in Australien nicht mehr aushielt, zog «Jay» mit ihrer Familie 1966 an den noblen Zürichberg. Doch dort behagte es dem Vater nicht, weil er sich als Nobody behandelt fühlte. So zog er allein nach Beirut weiter, wo er seinen Reichtum im Bürgerkrieg verlor und später starb.

Jacqueline hingegen gefiel es sehr. Sie war ein Alphatier in der Schule, top in Mathematik und Basketball, begehrt bei den Jungs. Das andere Alphatier war Esther Girsberger, ihre damalige Nachbarin, beste Jugendfreundin und spätere Publizistin, mit der Jacqueline Badran noch heute in regelmässigem Kontakt steht. «Sie ist ein extrem treuer Mensch», sagt Girsberger.

Als Jacqueline vierzehn war, lernte ihre Mutter einen neuen Mann kennen, Conte Gianfranco Fabbricotti, einen auf hohem Niveau verarmten florentinischen Grafen und Grossneffen von US-Präsident Franklin Roosevelt. Von ihm lernte sie, dass nicht jeder Adlige ein asozialer Snob sein muss. Und er brachte ihr Bridge bei. Jacqueline liebte ihn für beides. Im Palace Hotel in St. Moritz begründete der Graf ein legendäres Bridgeturnier, über das selbst die «New York Times» berichtete. Das Palace war Jacquelines Eintrittstüre in die internationale High Society. Auch nach dem Tod des Grafen spielen Ehefrau und Stieftochter regelmässig dort mit. «Es ist eines der wenigen Turniere, wo man noch ein richtiges Zockergefühl hat», sagt Badran, die es trotz Starbucks-Allergie durchaus politisch unkorrekt mag. Sie fährt zu gerne Auto (obwohl sie keines besitzt), sie mag Fleisch zu sehr und Frauenquoten gar nicht (die Geschäftsleitung bei Zeix ist aber mehrheitlich weiblich). Jene Frau, die sie am meisten geprägt hat, ist Emma Peel, die gestiefelte und meistens schwarz gewandete Geheimagentin aus «Schirm, Charme und Melone», die (laut «Zeit») «Sexappeal, Hedonismus und Emanzipation der Swinging Sixties miteinander vereinte».

Fixen Anschluss an die Fünfsternewelt hat sie nie gesucht, und auch Golf mochte sie partout nicht lernen. Lieber wurde sie Skilehrerin in Celerina. Und doch ist sie heute froh zu wissen, wie es in jenen Kreisen zu- und hergeht. «Es ist angenehm fürs Selbstbewusstsein, dass ich dort jederzeit rein- und rauslaufen kann.» Es gab Tage, an denen sie mit ihrer Familie im Palace dinierte und den Rest der Nacht in der besetzten Zürcher Wohlgroth-Fabrik am Töggelikasten verbrachte. Dann raste sie zurück ins Engadin und gab Leuten wie «Spiegel»-Gründer Rudolf Augstein Skiunterricht. Jacqueline Badran wechselt ein Milieu so leicht wie andere die Schuhe.

Als Studentin – sie wurde erst Biologin, um zu lernen, wie das Leben funktioniert – zog sie vom Zürichberg an die Roland-strasse im rauen Kreis 4. Nicht aus ideologischen Gründen, es war ihr einfach zu langweilig im Villenviertel.

Früh und höchst erfolgreich kämpft sie später für den genossenschaftlichen Wohnungsbau in Zürich. Doch wäre ihr nie eingefallen, selber in eine Genossenschaft zu ziehen. Es reizte sie schon immer mehr, Häuser zu besitzen, als sie zu besetzen oder Wohnungen zu mieten. «Erst wenn dir der Boden gehört, bist du einigermassen frei.» Seit 2006 wohnt die kinderlose Jacqueline Badran mit ihrem holländischen Ehemann Victor, einer Zürcher Velokurierlegende mit Hang zum Royalismus, in einer Eigentumswohnung in Wipkingen. Die soll ziemlich gross sein und schön, aber die Wohnung ist journalistisches Sperrgebiet.

Von einer Salonsozialistin ist die Zürichberg-Tochter allerdings weit entfernt. «Ich habe den Grossteil meines Lebens an der Armutsgrenze gelebt und meine beiden Studien selber finanziert», sagt sie. Und Esther Girsberger meint: «Jacqueline war nie eine Zürichberg-Tussi.» Ihre Luxusobergrenze endet bei 350 Franken für ein Paar Stiefel. Auch ihrem Äusseren gönnt sie nichts, kein Make-up fürs Gesicht, keine Maniküre für die Hände, die eher an einen Maurer erinnern als an eine IT-Unternehmerin. Und was ihre Mähne betrifft, so hört sie seit Jahren von ihrer Mutter: «Lass dir endlich eine anständige Frisur machen.» Zweck-los. Wenn, dann ist die Eitelkeit der Jacqueline Badran im Innern des Kopfes zu finden. Das Selbstbewusstsein der Doppelakademikerin ist sehr intakt.

Weit mehr aber noch ihr Sinn für Gerechtigkeit. Schon als Primarschülerin war sie eine «Gerechtigkeitsfanatikerin». Sie stand vor die Kleinen hin, selbst wenn sie die Kleinen doof fand. Das hält sie bis heute so, wenn sie nach einer 1.-Mai-Demo ausgerechnet den Zürcher SVP-Haudegen Alfred Heer gegen Attacken von Linksautonomen verteidigt. Gerechtigkeit ist vielleicht der wichtigste Begriff in Jacqueline Badrans Leben. Ob sie über Migration spricht, über Steuern oder Bodenpolitik: Sofort ist sie bei der Frage, wie gerecht das alles ist. Und hält sie es für ungerecht, dann treibt es ihr selbst im Parlament manchmal die Tränen in ihre grossen braunen Augen. Vor Wut.

Seit dreissig Jahren sagt sie jeden Morgen kurz «danke», bevor sie unter die Dusche steht. Sie bedankt sich für das «unglaubliche Privileg», in der Schweiz aufgewachsen zu sein und hier leben zu dürfen, «an der Spitze der Wohlstandspyramide».

Die packt sie auch, als sie sich Mitte Dezember einer Gruppe junger Grüner und Linker nähert, die vor dem Bundeshaus Unterschriften gegen das verschärfte Asylgesetz sammeln – «angeblich im Namen der guten Moral», wie Badran findet. «Bullshit!», donnert sie den Grünen entgegen, dieses chancenlose Referendum sei «taktisch völlig kontraproduktiv, und sie wiederholt, was sie bereits am Parteitag der SP in Thun sagte: «Das Referendum nützt nur der egozentrischen Gewissensberuhigung. Aber es schadet den Asylsuchenden massiv.» Nun wird es erst recht giftig vor dem Bundeshaus, Badran fühlt sich «gopfertami» völlig unverstanden und vermisst den «Respekt». In solchen Situationen kippt die Gerechte kurz ins Selbstgerechte.

Denkwürdig auch ein Auftritt im letzten September. Nachdem SVP-Nationalräte wie Peter Spuhler und Ulrich Giezendanner die Pauschalbesteuerung für Ausländer vehement verteidigt hatten, pflanzte sich Badran im Nationalratssaal vor den Reihen der gut fünfzig SVPler auf und rief: «Ihr seid die grössten Verräter an den schweizerischen Werten! Als die Habsburger kamen, haben eure geheiligten Vorfahren die Hellebarden geschwungen. Jetzt kommen sie mit den Geldsäcken, und ihr macht den Bückling!» Das Raunen und Johlen war gross unter den Rechten, sie wollten diskutieren, aber Badran rief zurück: «Mit euch rede ich nicht mehr!» Was natürlich nicht stimmt. Ein paar Tage später war sie mit SVP-Politikern wieder am Dealen («mein Libanesen-Gen»), um sie von der Lex Koller zu überzeugen. Trotzdem sagt sie sich, nachdem sie diese Episode freimütig erzählt hat: «Das muss schon ziemlich gaga ausgesehen haben, wie ich da im Ratssaal rumgetobt habe. Aber keiner schrieb hinterher, jetzt sei die Badran völlig durchgeknallt.»

Ja, sie ist sehr direkt, sie kann heftig werden und hat schon etliche Bürgerliche erschreckt mit ihren emotionalen Auftritten. Doch man sollte sich nicht täuschen lassen: Jacqueline Badran hat auch ihre sehr versöhnliche Seite. Sie hat das halbe Büro und ihre Website mit herzigen Pinguinen dekoriert, und die liebste Farbe der Frau in Dauerschwarz ist – Zartrosa. Ihr ganzes Schlafzimmer, erzählt sie, sei so bemalt. «Eigentlich bin ich ja butterweich und extrem harmoniebedürftig», sagt Badran. In der Firma wie in der Fraktion ist sie eine Art Pulswärmerin, und im Parlament will sie «vor allem eines: Brücken bauen und Mehrheiten beschaffen». In Zürich ist ihr das offensichtlich gelungen. Dort wurden in zehn Jahren alle ihre parlamentarischen Vorstösse überwiesen, «obwohl Rot-Grün nur in vier von zehn Jahren eine knappe Parlamentsmehrheit hatte».

Mit Schreien schafft man das nicht. Sondern mit einer Mischung aus Sachverstand, Schlauheit und Hartnäckigkeit. So ging sie auch bei der Lex Koller vor, jenem Gesetz, das seit dem Jahr 1983 den Kauf von Immobilien in der Schweiz «für Personen im Ausland» massiv einschränkt. Von SP bis SVP, von den Gewerkschaften bis zur Economiesuisse waren 2007 noch alle für die ersatzlose Streichung der Lex Koller, weil sie das Gesetz entweder für wirtschafts- oder aber für fremdenfeindlich hielten. Lediglich die Schweizer Demokraten waren gegen die «Überfremdung des einheimischen Bodens». Und Jacqueline Badran.

So begann sie zu lobbyieren und erst mal ihre eigenen Leute für das Thema Boden zu sensibilisieren, «unser grösstes volkswirtschaftliches Gut», ein Billionenmarkt. Badran wollte unbedingt verhindern, dass durch die Streichung der Lex Koller Milliarden an ausländischen Geldern auf den Schweizer Immobilienmarkt drängen und Immobilienpreise wie Mieten weiter nach oben treiben. Otto Stich wurde ihr erster prominenter Verbündeter, in den folgenden fünf Jahren bearbeitete sie Politiker aus allen Lagern – und am Schluss, in ihrem ersten Amtsjahr als Nationalrätin, auch noch die Bundesräte Schneider-Ammann, Widmer-Schlumpf und Sommaruga in drei Einzelgesprächen, höchst ungewöhnlich für eine Novizin auch dies.

Für Badran ist die Steuerpolitik in der Schweiz eine «Geheimwissenschaft». Wie sie im Innersten funktioniert, namentlich bei den Unternehmen, «verstehen in diesem Land nicht mehr als zwei, drei Dutzend Leute».

Gut möglich, dass der Wind auch ohne Jacqueline Badran gedreht hätte, doch im letzten Dezember beschloss der Nationalrat ohne Gegenantrag die Beibehaltung der Lex Koller; eine kleine Sensation für ein Geschäft dieses Gewichts.

Die linke Brückenbauerin singt Hymnen auf dieses Land und seine Werte. Zum Beispiel wenn sie auf dem Bundeshausterrässlein steht, das man von der Wandelhalle her betritt. Es ist einer ihrer häufigsten Aufenthaltsorte in Bern, nicht wegen der grandiosen Aussicht auf die Alpen, sondern weil sich dort die Raucher aus allen Fraktionen auf drei Quadratmetern drängeln; scharfe Linke und Ultrarechte, die sich drinnen Zunder und draussen Feuer geben: auch eine Form von Konkordanz, wie Badran sie liebt. Im winterlichen Biswind schwärmt sie dann von den leicht verlotterten Häusern direkt am Fuss des Bundeshauses. Schrebergärten, einen Steinwurf vom Machtzentrum des Landes entfernt: «Wo sonst wäre das möglich?», fragt sie. Darin erkennt sie den «zutiefst egalitären Geist der Schweiz», und der ist für sie das genaue Gegenteil der Pauschalbesteuerung; eine «neofeudale Idee, die zwei verschiedene Rechtssysteme schafft: eines für die superreichen Ausländer und eines für alle andern».

Den egalitären Geist hat sie auch an ihrem Zürichberg erlebt. Dort hat sie ein Schweizer Grossbürgertum kennen gelernt, das reich war, stinkreich, und sich doch nie für etwas Besseres hielt. Vor allem dieser Satz ist Jacqueline Badran in Erinnerung geblieben: «Ihr macht das wie alle andern auch.» Man war wohlhabend, ja, aber deshalb gab es keine Vorrechte, keinen Dünkel, keine Spezialbehandlung gegenüber Arbeiterkindern, die es dort oben auch gab. Leisten, nicht protzen, das sei die Haltung gewesen, und sie habe sich im Milizsystem offenbart, wo der Bankier neben dem Bäcker sass, in der Zunft wie im Parlament. «Der Reichtum war gepaart mit gesellschaftlicher Verantwortung.» Badrans Nachbarn waren Ärzte und Anwälte, die einen Tag pro Woche gratis berieten und behandelten; Bankiers, die Musiker unterstützten, aber nie Aufhebens davon machten.

Manche ihrer linken Freunde halten diese Beschreibung für eine bengalische Beleuchtung der realen Verhältnisse, Badran aber bleibt dabei: Der «alte Zürichberg war Bürgertum im besten Sinne». Doch über den «neuen», den sie kürzlich wieder mal besucht hat, urteilt sie gnadenlos. Sie habe es nicht ausgehalten zwischen all den Porsches und Landrovers und neureichen Geldsäcken, die Eigenkapitalrenditen von fünfzehn Prozent für ein Menschenrecht halten. «Es war zum Kotzen.»

Kräftige Erbschaftssteuer

Reisen in die Dritte Welt erträgt Badran nicht, weil sie körperlich auf Elend reagiert. Sie kriegt schon einen Schüttelfrost, wenn sie in Paris einen Clochard sieht. Seit dreissig Jahren sagt sie jeden Morgen kurz «danke», bevor sie unter die Dusche steht. Sie bedankt sich für das «unglaubliche Privileg», in der Schweiz aufgewachsen zu sein und hier leben zu dürfen, «an der Spitze der Wohlstandspyramide». Nie mehr hat sie den Satz ihres Geografielehrers Dürst vergessen, dass die Hälfte der Menschheit die Hälfte ihres Lebens damit verbringt, sauberes Wasser für sich zu organisieren. In der Schweiz brauchen wir bloss den Wasserhahn zu öffnen, und es sprudelt heraus, jederzeit, in jeder gewünschten Temperatur.

Sie dankt der Welt dafür und nicht Gott, weil sie an den nicht glaubt, «leider». Obwohl sie die Vorstellung cool fände, «wie ich auf einer rosa Wolke sitze, mein Lieblingsmensch Victor dahergeradelt kommt und wir dann eine Partie Bridge spielen». Als sie im Jahr 2001 vierzig wurde, hielt sie ihre erste Geburtstagsrede und sagte, sie habe nicht gedacht, je so alt zu werden. «Es war eine tiefe Gewissheit in mir», verbunden mit der Vorstellung, jeder Mensch habe ein bestimmtes Kontingent an Atemzügen, Energie, wohl auch Glück zugute. Ihr Lebensstil war so exzessiv, dass sie ihres für aufgebraucht hielt. Als Kind war sie im Tessin fast ertrunken, in Zürich um ein Haar von einem fünfzehn Meter hohen Balkon gestürzt, und das ist erst der Anfang ihres Überlebensglücks. 1993 kroch sie unverletzt aus einer Lawine hervor und rettete ihren verschütteten Skikollegen, und zwölf Tage nach ihrem vierzigsten Geburtstag überlebte sie den Absturz einer Crossair-Maschine bei Bassersdorf. Dort, wo sie und ihr damaliger Geschäftspartner Peter Hogenkamp im Flugzeug hätten sitzen sollen, waren alle tot. Aus einer Laune heraus hatten sich die beiden auf Plätze ganz im Heck gesetzt – und sind nur deshalb nicht verbrannt. Nach der Katastrophe bestellte Badran, die nie Alkohol trinkt, einen Zwetschgen-Lutz in der nächsten Beiz, am nächsten Tag ging sie die Trümmer inspizieren und am übernächsten wieder ins Büro. In den folgenden Wochen versuchte sie ihre Ärztin davon zu überzeugen, dass sie wirklich kein Trauma davongetragen hatte. «Ich war zwar sicher, dass ich sterben würde, und staune noch heute, dass ich lebe. Doch vergewaltigt zu werden oder vierzig Minuten in Todesangst zu schweben wie die Überlebenden des Luxor-Massakers, das ist eine ganz andere Dimension als ein Flugzeugabsturz.»

Hundertfach hat sie ihren Nahtod beschrieben, das erste Mal nach drei Tagen mit eingegipstem Arm im «Zischtigsclub». Aber im Grunde stinkt es ihr schon lange, darüber zu reden. Man glaubt es gerne. Was verblüfft, ist die Begründung: «Einen Flugzeugabsturz zu überleben ist so leistungsfrei. Ich finde den Aufbau eines Unternehmens viel bemerkenswerter.»

Natürlich hat sie als vierfach Überlebende erst recht das Gefühl, «auf der glücklichen Seite geboren zu sein». Doch umso mehr spürt sie eine andere Verpflichtung, die sie schon am alten Zürichberg gelernt hat: «Glück gehört kompensiert.» Auch dies ein politischer Leitsatz für sie, gerade in Sachen Steuern. «Dass viele Reiche mittlerweile ihre Steuern selber bestimmen, ist inakzeptabel!» Und dass ihre Parteikollegin, die Zürcher SP-Stadtpräsidentin Corine Mauch, den grössten hundert Steuerzahlern ein Dankesschreiben schickte, findet sie «nur noch degoutant». Badran mag nicht danken für «die milden Gaben von gnädigen Herren», und ebenso wenig teilt sie die Mentalität, die sie dahinter wittert: «Dass wir Sozis gut zu den Reichen schauen, damit sie brav unsere Sozialwerke für die Armen finanzieren.» Viel lieber will sie das mit einer kräftigen Erbschaftssteuer tun, eine Initiative dazu hat sie mit auf den Weg gebracht. Sie selber hat zwar «keinen Franken» von ihren verarmten Vätern geerbt, hingegen ist ihre Eigentumswohnung vermutlich bereits eine halbe Million mehr wert als noch 2006, auch ein Grundstücksgewinn, den sie «unbedingt» via Steuern abschöpfen würde. «Gewinn ohne Leistung passt nun mal nicht in unsere Leistungsgesellschaft.»

Für Badran ist die Steuerpolitik in der Schweiz eine «Geheimwissenschaft». Wie sie im Innersten funktioniert, namentlich bei den Unternehmen, «verstehen in diesem Land nicht mehr als zwei, drei Dutzend Leute»: die Steuerchefs der grossen Kantone, ein paar Finanzdirektoren und die Superspezialisten bei den internationalen Wirtschaftsprüfern wie PwC oder KPMG. Parlamentarier zählen nicht dazu, und das hält sie für gewollt. Es ärgert sie ohne Ende, dass der Nationalrat ihren Antrag abgelehnt hat, die Milliarden ausrechnen zu lassen, die dem Staat mit der Unternehmenssteuerreform II entgangen sind. «Die Bürgerlichen wollen keine Transparenz!»

Umso mehr kniet sie sich selber rein, lässt sich die «Geheimwissenschaft» stundenlang von Steuerkommissären erklären, macht Freinächte mit Gerichtsurteilen und Fachliteratur zu Steuerfragen. Es ist Knochenarbeit, eigentlich ihre leise parlamentarische Hauptbeschäftigung, von der man nie was hört.

Seit nunmehr dreizehn Jahren ist Jacqueline Badran Mitinhaberin von Zeix und klingt in vielem wie jeder andere Gewerbler, der über seine Firma spricht. «Ich bin die Sklavin meiner Angestellten», und das meint sie nicht nur ironisch. Brutaler Margendruck, 19-Stunden-Tage und schlaflose Nächte aus Angst, man könne die Löhne nicht zahlen. Werde es eng, dann kürze sie zuerst das eigene Gehalt. Das liegt derzeit bei 60 000 Franken (für ein halbes Pensum), womit sie die 1:12-Initiative stolz bei weitem unterbietet.

Doch dem Markt kann auch sie sich nicht entziehen. Sie hat Kunden von Axa-Winterthur über Swisscom bis Credit Suisse, und die wollen die beste Leistung zum günstigsten Preis und keine postkapitalistischen Visionen. Nicht nur die privaten Firmen drücken gnadenlos auf die Preise, auch die (halb-)staatlichen tun es. Keine Rede von Goodwillaufträgen für die linke Unternehmerin («im Gegenteil!»), umso öfter verliert sie dafür Aufträge an die günstigere Konkurrenz im Ausland. Drückerkolonnen, ruft sie ihren Gewerkschaftsfreunden regelmässig in Erinnerung, gebe es auch bei den Dienstleistern. Sie sitzt ja mit portugiesischen Projektleitern am Tisch, die als Wochenaufenthalter in Zürich für 4000 Franken im Monat arbeiten, während ein einheimischer Projektleiter 1000 Franken kostet – pro Tag.

Und schon sind wir mitten im Thema Personenfreizügigkeit. Von dieser «neoliberalen EU-Erfindung» hält sie fast so wenig wie die SVP. Sie nennt es ein «Rattenrennen für 500 Millionen Humankapitaleinheiten, wo die Wirtschaft bei jedem Einzelnen den Daumen beliebig hoch oder runter halten kann. Das führt zu flächendeckender Ausbeutung, das beweist mir jeder Tag meines Lebens.»

Fest steht für Badran, dass «die Zuwanderung gedrosselt werden muss», am besten indem man die Steueranreize kappt, die Hunderte von Firmenhauptquartieren und Zehntausende von Leuten in die Schweiz gelockt haben. «Wir müssen das Kapital verteilen, nicht die Menschen.» Doch um dies dem bürgerlichen Lager schmackhaft zu machen, braucht sie den doppelten Effort wie bei der Lex Koller.

Sehr viel bessere Chancen haben da die wachstumskritische Ecopop- und vor allem die Einwanderungsinitiative der SVP, wie auch Badran vermutet: «Das gibt zweimal ein Ja an der Urne.» Von Überfremdung würde sie selber nie reden, umso mehr hingegen von Be- und Entfremdung, einem Gefühl, das auch sie gut kennt. Nicht nur, wenn sie zwischen Zürich und Bern durch die «seelenlose Welt» des zubetonierten Mittellandes fährt, sondern ebenso an Meetings von Grosskonzernen, wo sie zwischen Deutschen, Engländern und Spaniern sitzt. Die «veramerikanisierte Expat-Kultur» geht ihr extrem auf die Nerven. In solchen Runden sieht sie nur Spielchen und Hahnenkämpfe ablaufen. Sitze noch ein anderer Schweizer dabei – und möge dieser «vielleicht ein totaler Spiesser und sonst nur an seinem BMW interessiert sein» – , dann sei man sich nach dem ersten Blickkontakt sofort einig: «Stop it!» Beide fühlen sich total befremdet. Sie vermisse, sagt Badran, diese typisch schweizerische No-Bullshit- und Vertrauenskultur, die viel mit der Kleinheit, mit Miliz und Konkordanz dieses Landes zu tun hat.

Und jetzt? Sie sucht nach neuen Koalitionen zwischen Rechts und Links. Dabei hofft sie auf den Gewerbeverband als «natürlichen Bündnispartner», weil das Gewerbe kein Interesse daran haben könne, dass über die steigenden Wohnkosten immer mehr Kaufkraft in den Immobiliensektor abfliesse – statt ins Gewerbe. Mag sein. Doch die Gewerbepolitiker bekreuzigen sich gleich mehrfach, wenn sie von Badrans Steuerplänen hören. Oder wenn sie fordert, der Staat solle ruhig mal eine Immobilienfirma enteignen, falls diese sich weigere, jenes Bauland herauszurücken, das sich ideal für einen Schulhausbau eigne.

Und eine Brücke für sich selber, in die Exekutive? «Kein Thema», beteuert sie, obwohl sie von Freunden bekniet wurde, als Nachfolgerin für den zurücktretenden Stadtzürcher Finanzchef Martin Vollenwyder (FDP) zu kandidieren. Zutrauen würde sie sich dieses Amt sofort, «ich habe schliesslich die Zürcher Finanzpolitik sehr mit Vollenwyder geprägt», wie sie unbescheiden sagt. Aber Jacqueline Badran fürchtet «die Angstkultur» in den Exekutiven und Verwaltungen; Angst vor Rekursen, vor fehlenden Mehrheiten, vor medialer Kritik. «In einer Regierung müsste ich meine Freiheiten an der Garderobe abgeben.»

Und das wäre gopfertori schade. •

 

Martin Beglinger ist Redaktor des «Magazins».
martin.beglinger@dasmagazin.ch

Der Fotograf PIERLUIGI MACOR lebt in Zürich.
www.pierluigimacor.com