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In der Schweiz sitzt die Abneigung gegen Landvögte tief: Lex Koller (Medienspiegel)

Publiziert auf Tagi-Online: 7. Mai 2014

http://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/In-der-Schweiz-sitzt-die-Abneigung-gegen-Grossgrundbesitzer-tief/story/25451095

«In der Schweiz sitzt die Abneigung gegen Grossgrundbesitzer tief»

Sollen Personen ohne Schweizer Wohn- und Steuersitz hier Immobilien kaufen dürfen? Eine Frage mit Sprengkraft – und eine, zu welcher SP-Nationalrätin Jacqueline Badran einiges zu sagen hat.

Frau Badran, wer ist schuld daran, dass eine 3-Zimmer-Wohnung unter 2000 Franken in Zürich Seltenheitswert hat?
Es sind mehrere Faktoren: der knappe Boden, die grosse Nachfrage, ein Mietrecht, das nicht greift, tiefe Zinsen und zu viel Kapital, das um den knappen Boden buhlt.

Ausländisches Kapital?
Auch und vor allem immer mehr, ja. Wir haben einen Anbietermarkt, der die Preise diktiert. Die Folge: Man muss sich wegen der hohen Mieten und Wohneigentumspreise finanziell einschränken. Die Leute gehen seltener auswärts essen, seltener in die Ferien nach Graubünden, sie leben in Zwangs-WGs. Ein Grund für diese Entwicklung ist, dass wir die Schleuse für das internationale Finanzkapital geöffnet haben. Dabei haben wir in der Schweiz sowieso schon zu viel Kapital. Wenn noch mehr Investoren um diese Immobilien buhlen, werden sie noch teurer und damit steigen auch die Mieten und Wohneigentumspreise. Darum braucht es die Lex Koller.

Interessieren sich ausländische Investoren nicht eher für Grossliegenschaften, von denen es in der Schweiz nur wenige gibt?
Das stimmt. Aber immer mehr Areale werden zu solchen Grossliegenschaften zusammengelegt. Mobimo beispielsweise hat das Expo-Gelände in Biel erhalten. Die börsenkotierten Immobilienfirmen stürzen sich auch alle auf die Kasernen, die jetzt frei werden.

Wenn die Lex Koller bleibt, dürfen Personen ohne Wohn- und Steuersitz in der Schweiz keine Immobilien kaufen. Umgekehrt dürfen die Schweizer das aber im Ausland. Ist das gerecht?
Ja, klar. Die Dänen kennen sogar eine Wohnsitzpflicht von zehn Jahren.

Ist es Ihnen egal, dass es bei der Erhaltung der Lex Koller im Ausland heissen wird: wieder ein Schweizer Abschottungsgesetz?
Wir tun ja nichts anderes, als den Zustand von 1997 wieder herzustellen. Wir machen die Aufweichung eines sinnvollen Gesetzes rückgängig. Eine der Aufweichungen – die Privilegierung von Börsenkotierten Immobilienfirmen – stammt vom damaligen FDP Nationalrat Georges Theiler, Verwaltungsrat der Mobimo. Drei Monate nach in Kraft treten ging er mit der Mobimo an die Börse.

Warum haben Sie kein Vertrauen in raumplanerische Massnahmen der Kantone und Gemeinden?
Weil es überhaupt nichts miteinander zu tun hat: Die Raumplanung regelt das Angebot, die Lex Koller die Nachfrage. Verknappe ich das Angebot über die Raumplanung und schraube gleichzeitig die Nachfrage nach oben, dann steigen die Preise.

Warum wehren sich dann Hoteliers und Vertreter von Tourismusregionen immer wieder gegen die Aufrechterhaltung der Lex Koller?
Aufgrund eines kollektiven Irrtums, der ihnen anscheinend schon in die Gene übergegangen ist. Die Hotels sollen von der Lex Koller ausgenommen werden, das ist ein Spezialmarkt. Dasselbe gilt für Ferienwohnungen, für die es Ausnahme-Kontingente gibt.

Ihre Gegner sagen, die Lex Koller möge für Zürich sinnvoll sein, man könne das Gesetz aber nicht der ganzen Schweiz überstülpen.
Es ist sinnvoll für Zürich, Bern, Lausanne, Genf, Basel und für alle grösseren Agglomerationen. Und dort wohnen nun einmal 80 Prozent der Leute. Und wenn in Zürich die Immobilienpreise steigen, steigen sie danach in Winterthur und dann in Frauenfeld. Man kann also nicht sagen, das Problem betreffe nur Zürich.

In den Städten wohnen auch gut verdienende Expats, die hohe Mieten bezahlen.
Die Ex-Pats spielen über einen Dominoeffekt auch eine Rolle: Auch, weil sie die Miete von den Steuern abziehen dürfen. Die Immobilienbranche sagt immer: Ex-Pats sind nur an teuren Gegenden wie dem Zürichberg ein Problem. Aber wenn sie dort den oberen Mittelstand verdrängen und dieser wiederum den Mittelstand, dann sind die Mieten im Thurgau plötzlich auch viel höher.

Aber gegen die inländische Spekulation hilft die Lex Koller nicht.
Das stimmt, dort braucht es andere Massnahmen. Aber wenn wir wenigstens das mobile Kapital draussen halten können, dann ist das schon etwas.

Ihr Engagement für die Lex Koller begann bereits 2007. Sie waren damals noch Zürcher Gemeinderätin und hatten praktisch alle Parteien und Verbände gegen sich.
Die Politiker in Bern hatten überhaupt keine Einsicht und hielten das Gesetz für einen alten Zopf. Aber Barbara Marty Kälin, die damalige Präsidentin der Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie, hörte mir zu und trug das Anliegen in die Kommission. Danach verschwand es aber erst einmal in der Schublade.

Wie holten Sie es wieder raus?
Indem ich einen Präzedenzfall schuf. Der Bundesrat darf seine Meinung nämlich nicht ändern, ausser es gibt einen entsprechenden Parlamentsauftrag, den ich erst konstruieren musste. Aufgrund dieser Motion durfte der Bundesrat dann sagen: Ja, wir beurteilen die Situation jetzt so wie ihr, die Welt hat sich verändert.

Hat sich die Welt des Immobilienmarktes in diesen Jahren denn verändert?
Das Argument dient natürlich auch dazu, dass man nicht sagen muss: Oh, wir haben uns geirrt, wir dachten, es ginge um die Ferienwohnungen. Allerdings gibt es die erste börsenkotierte Schweizer Immobilienfirma erst seit dem Jahr 2000. Und nach dem Internetcrash, der Finanzkrise und der Eurokrise setzte man wieder vermehrt auf Immobilien. Dasselbe gilt für Globalisierungsgewinner aus China und Russland. So wurden Milliarden in den Immobilienmarkt gepumpt. In diesem Sinn hat sich schon auch viel verändert.

Davon mussten Sie auch die SP überzeugen, sie wollte die Lex Koller ursprünglich abschaffen. Haben Sie damals ein wenig das Vertrauen in Ihre Partei verloren?
Überhaupt nicht. Sie kamen erst einfach zu einer anderen Beurteilung. Es heisst in der Lex Koller zwar nirgends „Ausländer“, sondern Personen im Ausland, was ein fundamentaler Unterschied ist. Trotzdem hatte das Gesetz ein wenig den Geruch von „Blut und Boden“. Aber wenn man nachschaut, was wirklich darin steht, dann heisst es: „Die Verhinderung der Immobilie als blosse Kapitalanlage.“ Da müsste doch jeder Sozialdemokrat frohlocken! Aber ich habe Verständnis, dass es ein wenig Zeit brauchte, um hinter diesen Vorhang zu blicken und zu erkennen, dass die Lex Koller nicht ausländerfeindlich ist.

Auch die Immobilienbranche brauchte Zeit und hat das Revival der Lex Koller lange verschlafen. Hat man Sie zu wenig ernst genommen?
Nein, ich habe den Ball extra flach gehalten: Schlafende Hunde soll man nicht wecken. Bei National- und Bundesratsentscheiden für die Verschärfung der Lex Koller sagte ich deswegen nichts zu den Medien. Und bestimmt hat die Branche das Thema auch aus Selbstsicherheit unterschätzt.

Warum ist Ihnen das Thema so wichtig?
Weil es völlig aus dem Fokus geraten ist. Dabei hat die Schweiz diesbezüglich eine lange Tradition. In den Gotthelf-Büchern ist die Macht über den Boden ein zentrales Thema. Gemeinschaftliche Nutzung statt Grossgrundbesitzer und Landvögte. Das ist tief in der Schweiz verwurzelt und deshalb verstehe ich nicht, warum sich dieses Bewusstsein in den letzten Jahren einfach aufgelöst hat.

Warum hat es sich aufgelöst?
Eine gewisse Marktgläubigkeit hat sich durchgesetzt. Und das Immobiliengeschäft wurde auch viel komplexer. Wer versteht denn schon die einzelnen Aspekte der Subprime-Finanzkrise? Logischerweise zieht man sich dann zurück und denkt: Das wird der Markt schon regeln.

Trotzdem glaubten Sie daran, die Lex Koller retten zu können?
Ja. Ich wusste, dass es nur eine Frage der Zeit ist. Ich glaube an die Aufklärung und daran, dass sich ein gutes Argument letztlich durchsetzt. Sonst würde ich keine Politik machen.

Also machen Sie sich keine Sorgen über die noch ausstehende Debatte im Ständerat?
Doch, ich mache mir grosse Sorgen. Die Ständeräte werden von den Lobbys ja derart unter Druck gesetzt. Die Verbände arbeiten mit falschen Argumenten. Dass Nestle dann nicht mehr hier bauen dürfte beispielsweise. Dabei darf jede ausländisch beherrschte Firma in der Schweiz Immobilien kaufen – solange es ihrem Eigenbedarf dient und sie hier einen Steuersitz hat. Natürlich sind die Bürgerlichen verunsichert, wenn Verbände, die ihnen nahe stehen, vor dem Gesetz warnen. Aber ich hoffe, dass sie sich nicht beeinflussen lassen.

Und wenn doch?
Dann wird wohl eine Volksinitiative unumgänglich. Diese wäre vermutlich gut zu gewinnen.

Sie vertrauen darauf, dass die Bevölkerung die komplexen Zusammenhänge des Immobilienmarktes versteht?
Absolut. Das verstehen die Leute intuitiv, denn sie sind ja betroffen. Jeder suchte schon einmal eine Wohnung, jeder überlegte sich schon einmal: Kann ich mir vielleicht auch einmal Wohneigentum leisten? Und jeder hat schon gesehen, dass die Preise steigen und steigen. Aber die Politiker, von denen viele in Einfamilienhäusern in Dörfern wohnen, ticken natürlich anders. Wer von denen war denn in den letzten 20 Jahren mal auf Homegate? (Tagesanzeiger.ch/Newsnet)

(Erstellt: 07.05.2014, 14:47 Uhr)