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Genossenschaften als Kulturgut (Kolumne «Wohen»)

Publiziert als Kolumne in der Zeitschrift «Wohnen» im April 2015

Genossenschaften als Kulturgut

Ha, ich bin der Zeit voraus. Eigenlob stinkt, sagt man, stimmt. Und trotzdem bin ich etwas stolz darauf, dass ich bereits vor Monaten über Morgarten berichtete. Lange bevor der Historiker-Streit angefangen hat über unsere schweizer Mythen im Jubeljahr 2015 von Morgarten, Marignano und dem Wienerkongress. Erinnern Sie sich? Ich hatte berichtet, dass die Schweiz-Werdung mit der Schlacht bei Morgarten begann. Dort ging es um einen Bodennutzungsstreit zwischen der Genossame respektive Korporation Schwyz gegen das Kloster Einsiedeln unter Habsburgischer Schirmherrschaft. Gewonnen hat das Prinzip des Gemeinnutzes gegen das Prinzip des klerikal-feudalen Grossgrundbesitzes.

Korporatives Staatsverständnis

Was ich nicht erzählt hatte, war, dass dieses korporative und von Pragmatismus geprägte Staatsverständnis sich über die Jahrhunderte bis heute tief in alle Lebensbereiche hinein zieht. Beispielsweise waren die Entschädigungen aus den Sold- und Bündnisverträgen mit den Franzosen nicht einer schmalen aristokratischen Herrschaftsschicht vorbehalten. Die Gelder wurden an die Bürger und Bauern verteilt als Gegenleistung für ihre Wahlstimmen und der Aristokratie gewährten Privilegien der Ämter. Entscheidend am schweizerischen Modell war, dass der Staat genossenschaftlich gedacht war. Das korporative Verständnis implizierte, auch strittige Fragen und Konflikte über Verfahren des Aushandels zu klären. Durch urkundlich gesicherte Kooperationsverträge und wechselseitige Hilfsverpflichtungen gelang es, adlige sowie kirchliche Ansprüche und Zuständigkeiten zu verdrängen.

Es ist kein Zufall, dass heute unsere Alpwirtschaft, die Milchverwertungsorganisationen, ja unsere Coop und Migros, gewichtige Teile des Bank- und Versicherungswesens genossenschaftlich und unsere Wasser- und Stromversorgung, Bildung, Gesundheits- und Sicherheitsversorgung gemeinnützig-staatlich organisiert sind. Niemand muss auf essenzielle Güter Gewinn an Privateigentümer abliefern. Und niemand sollte jemanden anderen übervorteilen können. Das ist das Wesen von Gemeinnutz.  In der ganzen Schweiz existieren noch heute Korporationen und Burger-Gemeinden, die weit bis ins 13. Jahrhundert hinein zurückzuverfolgen sind.

So auch die Korperation und Genossame Wollerau, die in der SVP Hochburg und Steueroase des Kantons Schwyz liegt. Die ältesten Dokumente führen bis ins Jahr 1290 zurück. Heute steht im umfassenden Buch von und zu der Genossame Wollerau folgendes, dass ich Ihnen nicht vorenthalten möchte, da es alles auf den Punkt bringt:

„Der Grundstein zur Korperation wurde im Mittelalter aus dem Bedürfnis und der Notwendigkeit heraus gelegt, in Frieden und Solidarität das gemeinsame Land und dessen Nutzen miteinander zu teilen sowie mit wachem Gemeinsinn und mit Verantwortung den Zusammenhalt unter den Bürgern zu stärken. Die Zukunft steht uns offen, wenn wir weiterhin gemeinschaftlich denken und zu handeln verstehen, Im Geiste unserer einst verantwortlich handelnden Vorfahren und im Sinne der Geschichte und unserer Gegenwart, die wir zu meistern haben. – Der Genossenrat. „

Ist das nicht wunderschön?

Kein Mythos

Wenn von rechts behauptet wird, dass schweizerische Mythen der Vergangenheit handlungsanleitend für die heutige Politik sein müssen, dann sollten es tief verankerte Prinzipien erst recht sein. In dieser Logik müsste die Rechte konsequent für einen starken öffentlichen Dienst und für die gemeinnützige Bewirtschaftung von Boden und Immobilien eintreten. Sie tut aber das Gegenteil. Sie propagiert Privatisierungen, wo der Nutzen essenzieller Güter in die Hände einiger weniger fliessen soll. Sie steht ein für die Privilegien-Wirtschaft, in der eine bestimmte Klasse bevorteilt wird, wie zum Beispiel bei der Pauschalbesteuerung, der privilegierten Dividendenbesteuerung oder bei den Konzern-Privilegien. Und sie wehrt sich nicht gegen die Börsenkotierung unserer Immobilien und den Ausverkauf unserer Heimat. Kurz: Ausgerechnet die Rechte unterstützt die modernen Landvögte.

Und das, obwohl die Vergangenheit uns lehrt: Der Gemeinbesitz ist Grundlage unserer politischen Kultur seit den Anfängen. Genossenschaften sind Kulturgut. Und das ist kein Mythos, sondern kann als erwiesen angesehen werden.