Zurück zur Übersicht

Zur Rentenreform (E-Maildebatte in der NZZ a.S.)

Sieht so ein Kompromiss aus? Wenn Jacqueline Badran und Christian Wasserfallen über die Reform «Altersvorsorge 2020» diskutieren, fliegen sofort die Fetzen

«Sie machen Klientelpolitik, garantiert nicht wir!»

Die E-Mail-Debatte

Jacqueline Badran

Es sieht gut aus für die Rentenreform. Bundesrat Alain Berset hat klugerweise gewagt, was sich viele vor ihm nicht trauten: ein Paket zu schnüren und die AHV und das BVG, die erste und die zweite Säule, gemeinsam zu reformieren. Jetzt hat der Ständerat aus der Kompromissvorlage von Berset einen weiteren referendumssicheren Kompromiss geschnürt: Flexibilisierung des Rentenalters, Senkung des Umwandlungssatzes bei gleichzeitigem Halten des Rentenniveaus, deutliche Verbesserung bei der AHV vor allem für Ehepaare sowie eine gesicherte Finanzierung. O. k. – die SP musste Bitteres schlucken. Ich kann aber damit leben, weil die Gesamthöhe der Rente nicht angetastet und der demografischen Entwicklung trotzdem Rechnung getragen wird. Bleiben Sie bei Ihrer Opposition und fordern trotzdem weiterhin Rentenalter 67?

Christian Wasserfallen

Gleich vorneweg: Die Reform ist leider ein anachronistisches Paket, das die grundlegenden Probleme in keiner Art und Weise löst. Das Rentenalter 65 für Frau und Mann ist eine absolute Selbstverständlichkeit. Hier zu sagen, man müsse «Bitteres schlucken», ist verfehlt. Damit bin ich bei der gesellschaftlichen Komponente der Diskussion. Heute finanzieren im Schnitt 3,5 Arbeitstätige eine Person im Ruhestand. Ab 2030 sinkt dieses Verhältnis dramatisch ab, nämlich auf zirka 2 Erwerbstätige pro Rentner. Das gibt in den nächsten 30 Jahren Finanzierungslücken für die AHV in dreistelliger Milliardenhöhe. Und was will Bundesrat Berset mit der versammelten Linken? Die AHV-Renten um weitere 1,4 Milliarden Franken pro Jahr erhöhen und so den Fehlbetrag vergrössern! Das verstösst krass gegen den Generationenvertrag.

Jacqueline Badran

In der Schweiz läuft gar nichts ohne die Grossmütter. Sie betreuen nicht nur ihre Enkelkinder, sondern auch noch gleichzeitig ihre betagten Eltern. Sie sparen unserer Volkswirtschaft so Milliarden an Kosten – jährlich! – und ermöglichen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Dass die Frauen dafür ein Jahr früher in Rente gehen dürfen, wäre eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Trotzdem schlucken SP und vor allem die Frauen die bittere Pille. Die Renten sind mit der Reform übrigens bis 2030 gesichert. Das Gleichgewicht zwischen Einnahmen und Ausgaben ist gewahrt. Jetzt nichts zu tun, das wäre ein krasser Verstoss gegen den Generationenvertrag! Die FDP dagegen gefährdet mit ihrer Unausgewogenheit die Reform. Wollen Sie wieder ein Debakel an der Urne erleben wie 2010 und 2004?

Christian Wasserfallen

Sie argumentieren wieder sozialdemokratisch wie eh und je. Sie missachten meine Altersgruppe total und blenden aus, dass es einen Generationenvertrag gibt. Wenn ich 2046 mit 65 in Rente gehen werde, ist nichts mehr übrig in der AHV, wenn es so weitergeht. Ich rechne heute nicht mehr mit einer AHV-Rente und empfehle allen Jungen, sich mit der dritten Säule abzusichern. Sie sind mir noch die Antwort schuldig geblieben, wie Sie die gewaltigen demografischen Probleme der Altersvorsorge lösen wollen. Sorry, aber die vorgesehene Erhöhung von 70 Franken pro Monat und Rentenbezüger bei der AHV sind unnötig und völlig verfehlt. Sie wollen wohl in neo-sozialistischer Klientelpolitik vor den Wahlen Geschenke verteilen. Wer aber heute die AHV-Renten ausbaut, der lebt auf Kosten der Jungen, die im Vergleich mit der älteren Bevölkerung sowieso viel weniger Vermögen besitzen. Sie tragen damit aktiv zu einer ungerechteren Verteilung der Volksvermögen bei. Das war in der solidarisch aufgebauten AHV eigentlich einmal ganz anders abgemacht.

Jacqueline Badran

Sie glauben ja nicht ernsthaft, dass die SP die AHV nicht sichert? Das ist eines ihrer Kernanliegen schlechthin! Aber wo ist die FDP des Ausgleichs geblieben? Ich vermisse sie. Wo bleibt die Gestaltungskraft der FDP? Sie verhindern alles, statt konstruktive mehrheitsfähige Vorschläge einzubringen, und Sie verlieren dabei auch noch: Energiewende, Raumplanung, Zweitwohnungen, Grüne Wirtschaft, AIA . . . Keiner Ihrer FDP-Innenminister hat eine Reform der Sozialwerke geschafft. Und jetzt missgönnen Sie uns die unsere? Und werfen uns Klientelpolitik vor, weil wir die volkswirtschaftlich eminent wichtige Kaufkraft und ein würdiges Leben im Alter sichern wollen? Hallo? Stehen Sie hin und sagen Sie vor den Wahlen, dass Sie Rentenalter 67 wollen, um so die hohen Gewinne der Pensionskassen zu sichern – auf Kosten der Kaufkraft. Sie machen Klientelpolitik, garantiert nicht wir! Die FDP wird immer radikaler, kompromissunfähiger und mutiert zum Juniorpartner der SVP.

Christian Wasserfallen

Die SP ist im Bereich der Altersvorsorge die allerletzte Partei, welche von Kompromissen reden darf. Das ist zynisch. Sie haben mit einer unheiligen Allianz bereits im Parlament eine AHV-Revision abgewürgt, quasi als Juniorpartnerin der SVP! Zudem haben Sie die dringend nötige Senkung des Umwandlungssatzes bei der beruflichen Vorsorge mit einem Referendum verhindert. Und Sie weichen aus: Es geht um dreistellige Milliardenbeträge. Wenn wir heute nicht dringend das Rentenalter flexibilisieren, den Umwandlungssatz senken und die individuelle Vorsorge durch höhere steuerfreie Beträge verbessern, leben wir auf Pump bei meiner Generation. Wer künftig bis 70 arbeiten will und kann, der soll das dürfen, wer sich mit 62 (und vor dem ordentlichen Rentenalter 65) pensionieren lassen will, soll die Möglichkeit dazu haben. Wir wollen aber nicht mehr Lohnabgaben zulasten der Werktätigen und keine höhere Mehrwertsteuer, die Sie ja sonst stets als ungerecht bezeichnen. Das ist ganzheitliche Politik im Bereich der Altersvorsorge – und keine neo-sozialistische Vogel-Strauss-Politik mit Verteilung von unnötigen Wahlgeschenken.

 

 

Zum Originalbeitrag:

MaildebatteNZZaS-Rentenreform-2015-09-13

 

 

zurück weit