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Zur Energiewende (E-Mail-Debatte in der NZZ a.S.)

Publiziert in der NZZ am Sonntag vom 13. März 2016

 

Für Gregor Rutz ist die Energiestrategie nur eine unehrliche politische Träumerei. Jacqueline Badran ist erbost über diesen Mangel an vorausschauendem Denken

«Die Realität ist umgekehrt: Weltweit werden Kernkraftwerke gebaut»

Die E-Mail-Debatte

Jacqueline Badran

Werter Herr Rutz. Unsere Stromkonzerne melden hohe Verluste, die Handelspreise sind im Keller, und überall klaffen Deckungslücken in Milliardenhöhe bei den Entsorgungs- und Stilllegungsfonds. Die Atomtechnik ist nicht nur technologisch am Boden, es herrscht auch ein finanzieller GAU. Genau davor warnen wir von der SP seit über 35 Jahren eindringlich. Merken Sie langsam auch, dass wir aus der Atomkraft aussteigen und uns von der Auslandsabhängigkeit beim Öl und beim Gas lösen müssen? Und dass die Zukunft den erneuerbaren Energiequellen gehört?

Gregor Rutz

Liebe Frau Badran, unser Land und unsere Wirtschaft brauchen eine funktionierende, sichere und günstige Stromversorgung. Da helfen SP-Träumereien nicht weiter. Weit über ein Drittel des Stroms in der Schweiz stammt aus Kernkraftwerken. Sie haben doch nicht ernsthaft das Gefühl, man könne dies durch Windrädchen und Solarpanels ersetzen? Die sogenannte Energiestrategie, die wir im Parlament diskutieren, will noch mehr staatliche Subventionen. Der Energieverbrauch soll durch Lenkungsabgaben künstlich verteuert werden. Diese Vorlage ist nicht nur falsch, sondern auch völlig überholt: Der Bundesrat ging damals von einem Anstieg der Preise für fossile Energieträger und für Elektrizität aus. Heute ist es genau umgekehrt – Sie erwähnen es ja selbst.

Jacqueline Badran

In der Politik sind wir im Business mit der Zukunft und nicht mit der Vergangenheit. Gerade die Energieinfrastruktur hat enorm lange Investitionszyklen, weshalb jetzt die Weichen zu stellen sind. Innerhalb eines Zeithorizonts von 20 Jahren und mehr werden die Ölpreise massiv steigen und niemand wird in AKW investieren. Die Energiekonzerne können nicht einmal Stilllegung und Entsorgung finanzieren. Um den Zubau von Erneuerbaren und eine gesteigerte Effizienz kommt die Welt nicht herum. Machen Sie also nicht auf Realitätsverweigerung.

Gregor Rutz

Die Realität ist umgekehrt: Weltweit werden Kernkraftwerke gebaut – ausser in der Schweiz und in Deutschland. Die Engpässe, welche wir im Bereich der fossilen Energie früher oder später haben werden, müssen wir auffangen. Wir brauchen genau dann Strom, wenn er aus Wind und Sonne nicht geliefert werden kann. Und Sie meinen, ein Technologieverbot sei ein zukunftsweisender Entscheid? Die heutige Situation ist unsicher: Stromüberversorgung, Preiszusammenbruch und eine enorme Bevölkerungsentwicklung. In solch unsicheren Situationen ist es nicht ratsam, strategische Entscheide für mehrere Jahrzehnte zu fällen.

Jacqueline Badran

Unsinn – vor vier Jahren haben Sie noch über die drohende Stromlücke gejammert. Einzig in England wird eventuell ein AKW gebaut. Und nur deshalb, weil der Staat einen garantierten Abnahmepreis von 12 Rappen für 30 Jahre garantiert, sämtliche Kosten bei einem Unfall und erst noch die Entsorgungskosten übernimmt. Das ist schwachsinnig. Der Strompreiszerfall wird vor allem getrieben durch die groteske Verstromung von Kohle. Dies, weil die pseudo-marktlichen Preise für die Emission von CO2 wegen der Kohlelobby viel zu tief sind. Das sind alles Folgen eines bizarren Marktdesigns in Europa. Es gibt nur ein Erfolgsmodell in der Stromproduktion: ein Markt, der sich an den Produktionskosten orientiert. So wie das die letzten 100 Jahre der Fall war. Da müssen wir wieder hin. Stromproduktion lässt sich nicht wie die Herstellung von Turnschuhen organisieren. Das zeigt die Lage von Alpiq und Axpo und der europäischen Stromkonzerne deutlich.

Gregor Rutz

In etlichen EU-Ländern werden Wind- und Sonnenenergie mit massiven Subventionen unterstützt. So versucht man, den Ausstieg aus der Kernkraft zu bewerkstelligen und den bewährten Produktionsmix zu zerstören. Genau darum subventioniert Deutschland die Kohle so stark – anders wäre ein schneller Ausstieg aus der Kernkraft nie möglich gewesen. Das ist alles so unehrlich und doppelbödig. Diese Markteingriffe führen zu enormen Marktverzerrungen, und die Versorgungssicherheit leidet. Die Folgen tragen Mittelstand, Gewerbe und ländliche Regionen. Wenn wir Wettbewerb und Kostenwahrheit wollen, beerdigen wir die bundesrätliche Energiestrategie lieber heute als morgen. Unrentable Energieproduktion durch Subventionen künstlich am Leben zu erhalten, bringt doch nichts.

Jacqueline Badran

Man merkt, Sie haben sich nicht wirklich mit dem Thema befasst. Durch die Pseudoliberalisierung in Europa hat man die Handelspreise von den effektiven Kosten entkoppelt. Das existiert sonst auf keinem richtigen Markt. Bei extrem langen Investitionszyklen und einem Zwang zur Versorgungssicherheit ist das nicht hinnehmbar. Deshalb müssen wir zurück zu einem System, das sich an den Gestehungskosten orientiert. Und genau das tun wir mit dem Zubau von Erneuerbaren mittels Investitionssicherheit schaffenden kostendeckenden Einspeisevergütungen. Das hat rein gar nichts mit Subventionen zu tun – im Gegensatz zu den Atomkraftwerken, die ihre Kosten noch nie getragen haben. Wie die Causa Alpiq ja beweist.

Gregor Rutz

Erzählen Sie doch nicht so einen Unsinn. Einspeisevergütungen sind staatliche Subventionen für alternative Energieformen, welche völlig unwirtschaftlich sind. Versorgungssicherheit wird so nicht geschaffen. Mittlerweile profitieren aber so viele Branchen vom staatlichen Geldfluss, dass alles salonfähig geworden ist. Unsere Diskussion zeigt einmal mehr: Ein Marschhalt wäre überfällig.