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Zur Werte-Dabatte (E-Mail-Debatte in der NZZa.S.)

Zur Werte-Debatte: Die Rechte hält sich selber weder an die christlich-abendländischen noch an die aufklärerischen Werte, die sie lauthals fordert und zu verteidigen vorgibt.
publiziert in der NZZ a.S. vom 23.10.2016
Die E-Mail-Debatte
«Das Christentum war lange Zeit extrem fanatisch»

Gregor Rutz

Unser Land zeichnet sich aus durch Toleranz und religiösen Frieden. Die Kirchenhoheit liegt bei den Kantonen, was den verschiedenen Mentalitäten und Kulturen Rechnung trägt. Religionsfreiheit, aber auch persönliche Freiheit sind elementare Werte unserer Verfassung. Doch heute sind wir zunehmend mit Personen konfrontiert, die unsere Gesetze ablehnen. Sie stellen ihre religiösen Regeln über alles andere. Dies führt zu gefährlichen Spannungen. Es wird hier kein «Religionskonflikt herbeigeredet», wie es Ihr Parteipräsident behauptet. Im Gegenteil: Dieser Konflikt ist in vollem Gange – und wir müssen schauen, dass wir unsere Rechtsordnung durchsetzen und unsere christlich-abendländischen Werte schützen können. Macht Ihnen dies keine Sorge?

Jacqueline Badran

Doch, sehr. Alles, was mit Fanatismus zu tun hat, lässt mich schaudern. Egal, ob er religiös aufgeladen ist oder politisch wie bei den aufkeimenden Neonazis. Ich bin froh, dass bei uns Religion mehrheitlich Privatsache ist. Es sind die politisch aufgeladenen Religionsinterpretationen, die uns Sorgen bereiten. Der politische Islam oder krasse evangelikale Strömungen. Insofern wäre ich vorsichtig mit dem Begriff «Religionskonflikt». Definieren Sie doch die christlich-abendländischen Werte. Die Diskriminierung der Frauen oder das Verbot von Verhütung oder Homosexualität im Katholizismus meinen Sie ja kaum. Es sind die Werte der Aufklärung, die uns zusammenhalten und die ich verteidigen will: Freiheit, Gleichheit, Solidarität, den demokratischen säkularen Rechtsstaat, die Würde von Mensch und Natur.

Gregor Rutz

Die Trennung zwischen Kaiser und Gott, also zwischen religiösem und weltlichem Bereich, ist eine Errungenschaft des Christentums. Der Staat schreibt keine Weltanschauung mehr vor, die Kirche verzichtet umgekehrt auf Gebietsansprüche und unmittelbare politische Geltung. Diese Unterscheidung macht der Islam nicht: Religiöse Gesetze sind allem übergeordnet, die islamische Gesetzesordnung betrachtet sich als vollständig, so dass weltliche Gesetze überflüssig werden. Das ist der entscheidende Unterschied. Für mich gibt es da nur eine Antwort: Wer unsere Rechtsordnung nicht beachten will, hat in der Schweiz nichts verloren. Das müssen wir durchsetzen – um die Werte der Aufklärung bewahren und stärken zu können!

Jacqueline Badran

Es ist noch nicht so lange her, dass wir Kreuzzüge, Inquisition und Hexenverbrennungen in Europa hatten. Das Christentum war lange Zeit extrem fanatisch. Noch viel weniger lang ist es her, dass religiös motivierte Gesetze unseren Alltag bestimmten: mit Verboten von Konkubinat, Homosexualität oder Fristenlösung, mit dem alten Familienrecht, wo der Mann Herr über die Frau war und die Frau seine Unterschrift brauchte, um arbeiten zu dürfen. All das habe ich noch erlebt. Und wer hat all diese religiös motivierten Unfreiheiten verteidigt? Es war Ihre SVP. Blocher hat das neue Eherecht wie ein Besessener bekämpft. Und wer hat für die Befreiung von all diesen antiaufklärerischen Absurditäten gefochten? Wir, die SP. Ich finde es reichlich verlogen, wenn ausgerechnet Sie jetzt für eine Distanz des Staats zur Religion werben. Kommt dazu, dass Sie mit Minarett- und Burkaverboten Scheinlösungen für sehr ernsthafte Probleme – existierende Wertekonflikte und drohende Parallelgesellschaften – präsentieren. Genau damit konstruieren Sie einen Religionskonflikt.

Gregor Rutz

So ein Unsinn. Die Zuwanderung von immer mehr Muslimen stellt uns vor die Frage, wie wir mit unseren freiheitlichen Werten umgehen. Ich will die christlich-abendländische Kultur stärken und keine religiöse Weltordnung, wie es der Islam vorsieht. Unsere Gesetze gelten für alle, die in der Schweiz leben – unsere Rechtsordnung ist konsequent durchzusetzen! Es ist bedenklich, dass die SP alle dahingehenden Vorstösse ablehnt. Gegenüber Intoleranz darf man nicht tolerant sein. Um Parallelgesellschaften zu verhindern, müssen wir die lasche Asyl- und Ausländerpolitik verschärfen. Wir müssen wieder funktionierende Grenzkontrollen einführen. Wir müssen die Zuwanderung stoppen und aufhören, mit «Integrationsprojekten» immer noch mehr Ausländer in die Schweiz zu holen! Die Konflikte sind nicht konstruiert – sie bestehen. Lösen können wir sie nur, wenn wir den Zuwanderern klipp und klar sagen, was in unserem Land gilt!

Jacqueline Badran

Eine islamistische Weltordnung ist selbstverständlich eine Horrorvorstellung. Unsere Rechtsordnung ist ohne Wenn und Aber durchzusetzen. Ich selbst bin Mitglied der reformierten Kirche. Nicht weil ich religiös wäre, sondern weil ich viele von deren Werten teile, wie die Würde und Gleichheit des Menschen sowie die Demut vor der Natur (oder Schöpfung). Danach versuche ich – und ich glaube auch die SP – zu leben. Ihre Partei nicht. Die SVP unterstützte in Zürich eine Initiative zur Abschaffung der Unternehmenssteuer an die reformierte Kirche. Die SP war dagegen. Sie wollen aus der Menschenrechtskonvention austreten, welche die Menschenwürde vor Staatswillkür schützt. Sie torpedieren nachweislich und ständig die Gleichheit vor dem Gesetz (oder Gott) und schaffen Privilegien. Es wäre Zeit, dass die Medien das einmal aufzeigen. Und wenn Sie weniger Zuwanderung wollen, damit wir weniger Wertekonflikte haben, dann helfen Sie, Armut und Krieg zu bekämpfen, statt Waffenexporte nach Saudiarabien zu befürworten und Diktatoren und Steuerbetrüger zu schützen, die ihr Geld hier bunkern. Sie halten sich weder an aufklärerische noch an christliche Werte. Das ist Bigotterie. Ihre Partei macht in der realen Politik genau das Gegenteil von dem, was sie phrasenmässig stets herunterbetet (sic!).