Unternehmenssteuerreform 3 – ein Streitgespräch in der NZZ
28. Januar 2017Erschienen in der NZZ am 27.1. 2017
https://www.nzz.ch/schweiz/streitgespraech-zur-steuerreform-alle-wollen-fuer-den-mittelstand-sprechen-ld.142116
Die Reform der Firmensteuern ist umstritten. Für die Befürworter ist sie nötig zur Sicherung der Steuererträge und des Wohlstands. Für die Gegner ist es ein überladenes Paket zulasten der Bevölkerung.
Die Reform der Firmensteuern ist stark umstritten. Für die Befürworter ist sie nötig zur Sicherung der Steuererträge und des Wohlstands. Für die Gegner ist es ein überladenes Paket zulasten der Bevölkerung.
Die Kantone sind praktisch geschlossen für die Steuerreform. Was gibt Ihnen, Frau Badran, die Gewissheit, es besser zu wissen?
Jacqueline Badran: Wir brauchen eine Reform. Und unterschiedliche Kantone sollen unterschiedliche Instrumente benutzen können. So weit der Konsens. Aber man ist zu weit gegangen. Die Befürworter sagen immer, wir seien im internationalen Wettbewerb. Das ist nur bedingt der Fall. Wichtiger ist der interkantonale Wettbewerb, und den hat man zusätzlich ohne Not angeheizt. Wieso soll es klug sein, sich gegenseitig Steuersubstrat nicht nur abzunehmen, sondern auch noch zu vernichten? Gerade die grossen Kantone sind sehr einfach erpressbar durch die Steuerpolitik der kleinen Kantone. Die Kantone wurden ruhiggestellt, weil der Bund ihnen eine relativ grosse Kompensation zahlt. Und die Kantone foutieren sich um die Gemeinden, die wesentlich stärker betroffen sind als die Kantone. Und viele Kantone wurden unter Druck gesetzt von bestimmten Branchen.
Ruedi Noser: Da die Kantone heterogen sind, muss man ihnen verschiedene Steuerinstrumente zur Verfügung stellen. Das Parlament hat Bremsen eingebaut, so dass eine Nullbesteuerung nicht möglich ist. Und nach internationalen Gepflogenheiten sollte man nicht unter einen Gewinnsteuersatz von etwa 10 bis 12 Prozent gehen, um nicht als verpönt zu gelten. Der interkantonale Steuerwettbewerb ist nach unten begrenzt. Längerfristig wird der internationale Wettbewerb immer mehr über den Steuerfuss statt über spezielle Privilegien gehen. Die vorliegende Reform ermöglicht der Schweiz den Übergang für die nächsten zehn bis fünfzehn Jahre, ohne dass viele der bisher privilegierten Firmen die Schweiz verlassen müssen.
Badran: Ich gehe mit vielem einig. Man braucht für den Übergang gewisse Instrumente. Aber hier wurde überladen auf Kosten des Mittelstands.
Wie würden Sie die Vorlage anders machen?
Badran: Den Eigenkapitalzinsabzug braucht es nicht. Man weisst nicht, was er kosten wird, und er pervertiert unser Steuersystem. Wieso sollen wir Finanzierungsgesellschaften, die reine Steuervermeidungsvehikel sind, nochmals ein Steuervermeidungsinstrument obendrauf packen? Der Sonderabzug für Forschung und Entwicklung ist übertrieben, weil die Firmen nur davon profitieren, wenn es ihnen gut geht. Zudem ist die Beschränkung der Steuerreduktion mit den neuen Privilegien auf ein Maximum von total 80 Prozent zu hoch. Basel-Stadt setzt die Beschränkung auf 40 Prozent an, das hätten wir gerne auch für die Bundesvorlage gesehen. Zudem fehlt eine Gegenfinanzierung, zum Beispiel in Form einer höheren Besteuerung der Dividenden. Jetzt passiert die Gegenfinanzierung über die Lohneinkommen. Der Mittelstand zahlt zusätzliche Gewinne von finanzstarken Konzernen. Seit 1998 ist das Kapital steuerlich laufend entlastet worden. Es reicht.
Noser: Wenn man 26 unterschiedliche Kantone mit unterschiedlichen Steuersystemen hat und diesen Steuerinstrumente geben will, muss man akzeptieren, dass die Kantone dies unterschiedlich auslegen. Selbstverständlich kann der Kanton Basel-Stadt die Entlastung durch die neuen Steuerprivilegien überdurchschnittlich stark begrenzen, wenn er den Gewinnsteuersatz auf 13 Prozent senkt. Aber der Kanton Zürich, der den Satz nur auf 18 Prozent senkt, muss dann vielleicht bei den neuen Instrumenten weiter gehen, um konkurrenzfähig zu bleiben. Die neuen Instrumente müssen so wirken, dass die bisher privilegiert besteuerten Firmen nicht plötzlich viel mehr zahlen, sonst würde es relativ viele Abgänge geben. Frau Badran will keinen Steuerföderalismus mehr.
Badran: Das ist einfach nicht wahr. Es geht nicht um die Abschaffung des Steuerföderalismus. Es geht darum, dass man immer mehr Instrumente eingebaut hat. Die Patentbox ist okay. Aber man hat das Steuerprivileg noch ausgeweitet auf Software. Die Profiteure sind jene Firmen mit lizenzierbarer Software, wie SAP und Microsoft. In der Stadt Zürich sind jedes Jahr 800 Firmen hinzugekommen, keine ist privilegiert besteuert. 2005 kamen noch 81 Prozent der Steuererträge der juristischen Personen vom Finanzsektor, heute ist das Klumpenrisiko zum grossen Glück kleiner, und wir sind bei 30 Prozent. Viele Firmen aus der IT-Branche sind ohne Privilegien gekommen. Wir geben diesen jetzt ohne Not noch ein grosses Zuckerstück.
Noser: Frau Badran redet gegen die Interessen des Kantons Zürich. Ich würde mich freuen, wenn SAP und Microsoft von den geplanten Steuerprivilegien profitieren, denn die Bedingung dafür ist, dass die Entwicklung in der Schweiz stattfindet. Wenn Zürich vom Finanzplatz unabhängiger werden will, ist es wichtig, die grauen Zellen in innovativen Tätigkeiten im Kanton zu placieren. Zudem wollen wir, dass international erfolgreiche Firmen auch ihre Steuern in Zürich zahlen. Weil wir die Lizenzbox bis jetzt nicht haben, finden Ausweichmanöver statt. Dies wird weiterhin stattfinden, weil andere Länder wie England, Belgien und Holland die Lizenzbox haben und diese vermutlich globaler Standard wird. Wenn man eines der geplanten Instrumente herausstreicht, werden die Kantone vermutlich mit dem Steuersatz noch weiter hinuntergehen. Und dies gäbe einen grösseren Ausfall. Eine neue Vorlage nach einem Nein vom 12. Februar wird dazu führen, dass vor allem die grossen Kantone noch schlechter dastehen als jetzt.
Doch hat der Kanton Zürich nicht etwas falsch gemacht, wenn kurz nach der Präsentation seiner Vorlage grosse Städte starke Kritik üben?
Noser: Ich verstehe, dass man als betroffener städtischer Finanzvorstand Respekt vor der Ausgangslage hat. Aber aus meiner Sicht ist die Vorlage mehrfach gegenfinanziert. Die Kantonsregierung geht davon aus, dass selbst bei einem Ja zur Steuerreform etwa 20 bis 25 Prozent der bisher privilegiert besteuerten Firmen abwandern werden. Ich glaube nicht daran. Die Versuchung, zum Beispiel nach England zu gehen, ist sicher in den nächsten zwei bis drei Jahren nicht so gross. Die Versuchung, nach Irland zu gehen, das in EU-Verfahren verwickelt ist, ist auch nicht so gross. Und es wird kaum jemand mit grosser Fahne nach Dubai oder Singapur gehen . . .
. . . aber widerspricht dies nicht Ihrer These, wonach bei einem Volks-Nein zur Schweizer Reform Abwanderungen ins Ausland drohen?
Noser: Ich glaube, die anderen Staaten werden korrigieren. Zurück zur Gegenfinanzierung im Kanton Zürich. Von 2013 bis 2015 sind die Unternehmenssteuern im Kanton um 300 Millionen Franken gestiegen und damit um mehr, als es nun im Kanton mit der Vorlage Ausfälle gibt. Zudem haben wir durch den kommenden internationalen Austausch von Informationen über Finanzkunden viel mehr Selbstdeklarationen, was zusätzliche Erträge bringt. Der Bürger wird 2019, wenn die Steuerreform in Kraft tritt, nicht einmal jene Delle sehen, von der man nun redet. Da würde ich fast eine Garantie geben.
Badran: Der Freisinn macht nichts anders, als zu sagen, «wir müssen, weil wir müssen». Er sagt nie, «wir wollen». Und dies seit Jahren. Dies ist der autonome Nachvollzug der von Menschen gemachten Sachzwänge. Die Steuervermeidung als leistungsfreies Geschäftsmodell kann doch nicht im Sinn des Freisinns sein. Die Alternative ist, auch mal Rückgrat zu zeigen und in den internationalen Organisationen wie der OECD für mehr Balance zu kämpfen. Schliesslich beziehen die Konzerne auch Leistungen, für die sie auch angemessen zahlen sollen.
Noser: Es gibt in den internationalen Gremien sehr viele Mitspieler. Man hat sich in der OECD darauf geeinigt, dass eine vernünftige Besteuerung der Unternehmen nicht unter etwa 10 Prozent der Gewinne liegt. Die Schweiz profitiert derzeit noch von Steuerzahlungen vieler Firmen, die nach OECD-Standards unter Druck kommen, an einem anderen Ort zu zahlen. Novartis zahlt zum Beispiel in der Schweiz mehr Steuern, als das Unternehmen hier Umsatz macht. Etwa die Hälfte der Gewinnsteuer-Erträge des Bundes kommt von derzeit noch privilegiert besteuerten Firmen; das sind Gewinne, die sie im Ausland erwirtschaften und in der Schweiz besteuern. Wenn wir diese Hälfte einfach in der Welt verteilen, wird dies den Mittelstand in der Schweiz stark treffen. Mit dem vorliegenden Reformpaket können wir dieses Steuersubstrat mindestens noch die nächsten zehn bis fünfzehn Jahre in der Schweiz halten. Machen wir die Reform nicht, stehen fünf Milliarden Franken Steuererträge zur Diskussion . . .
Badran: . . . diese fünf Milliarden werden immer so heraufbeschworen. Die Mineralölsteuer alleine bringt fast gleich viel wie diese fünf Milliarden. Diese zahlt der Mittelstand. Von den derzeit 24 000 privilegiert besteuerten Gesellschaften zahlen 15 000 null Steuern, und 5000 zahlen bis zu 10 000 Fr. Steuern, also weniger als jeder Mittelständler. Der Staat wird von den natürlichen Personen finanziert. Man soll nicht immer so tun, als ob man von diesen Firmen abhängig wäre. Es ist eine strategische Nullnummer, sich vom globalen Finanzkapital abhängig zu machen. Das führte zu einem stagnierenden Bruttoinlandprodukt pro Kopf.
Noser: Das ist ein Argument für ein Ja zur Steuerreform, denn genau dies wird geändert. Mit der Reform wird nur Forschung und Entwicklung in der Schweiz gefördert. Trotzdem ist die SP dagegen.
Badran: Weil das Paket überladen ist und eine Gegenfinanzierung fehlt. Die Finanzierung des Staats ist massiv arbeits- und konsumbelastet. In der Stadt Zürich machen alleine die kantonalen Entlastungen beim Kapital 300 Millionen Franken aus. Wir sind völlig ausgeartet mit der Entlastung von Unternehmen. Niemand will ein Unternehmen von hier vertreiben. Und es ist eine Frechheit, zu behaupten, bei einem Nein gingen alle.
Noser: Sämtliche Kosten der Unternehmen werden auf die Konsumenten umgewälzt. Auch die Unternehmenssteuern zahlt am Ende der Konsument, weil die Firmen am Ende alle Kosten ins Produkt hineinrechnen.
Badran: Das ist absurd. Dann wären ja alle Preissetzer. Ein Teil zahlt der Eigentümer. Wir haben laufend Rekordausschüttungen an Dividenden. Und von diesen Dividenden gehen 75 Prozent ins Ausland.
Noser: Für die Firmen sind auch dies Kosten, die sie am Ende auf die Preise umwälzen. Zudem haben sich die Steuereinnahmen von juristischen Personen stärker entwickelt als die Wirtschaftsleistung, und jene der privilegierten Firmen sind sogar noch mehr gewachsen.
Badran: Erstens haben die Einnahmen aus den Gewinnsteuern in den letzten sechs Jahren stagniert. Und zweitens muss man die Zahlen relativ sehen zu den Gewinnen. Die Steuererträge sind gemessen an den Gewinnen massiv gesunken.
Noser: Viele dieser Gewinne von internationalen Firmen sind im Ausland entstanden und versteuert worden.
Badran: Nachweislich ist die Belastung der Haushaltseinkommen massiv gestiegen, jene der Unternehmen ist gesunken. Eveline Widmer-Schlumpf hatte das so gesehen, und darum wollte sie eine Gegenfinanzierung über das Kapital und nicht über die Arbeit. Doch das ist das Erste, was das Parlament gekippt hat. Ich bin selber nicht Fan einer Kapitalgewinnsteuer . . .
. . . aber die SP hatte die Kapitalgewinnsteuer gefordert . . .
Badran: Ich kann nur für mich reden. Eveline Widmer-Schlumpf hatte das gefordert. Die Kapitalgewinnsteuer ist schwankend und bürokratisch, und steuersystematisch geht es nicht auf wegen der Vermögenssteuer. Aber eine Erhöhung der Dividendenbesteuerung wäre eine Alternative.
Noser: Selbstverständlich kann man eine höhere Gegenfinanzierung beschliessen, aber diese Gegenfinanzierung geschieht durch natürliche Personen. Das gilt für die Kapitalgewinnsteuer ebenso wie für die Dividendenbesteuerung. Und das belastet dann manche Unternehmer, die von der Steuerreform sonst nicht profitieren.
Die frühere Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf hat diese Woche die Vorlage kritisch kommentiert und dabei auch den Eigenkapitalzinsabzug kritisiert. Ist dies nicht ein Indiz dafür, dass die Vorlage überladen ist?
Noser: In der Vernehmlassungsvorlage hatte Frau Widmer-Schlumpf noch einen weitergehenden Eigenkapitalzinsabzug vorgeschlagen, das Parlament hat dies dann begrenzt. Es geht um Firmen, die relativ viel Eigenkapital haben, und um solche, die viel Eigenkapital in der Schweiz haben und Investitionen im Ausland machen. Dieser Steuerabzug würde dafür sorgen, dass eigenfinanzierte Firmen nicht mehr gegenüber fremdfinanzierten Firmen benachteiligt sind.
Doch der Vorschlag zur Dividendenbesteuerung wurde abgeschwächt.
Noser: Es ist nun ein Minimum von 60 Prozent für jene Kantone drin, die den Eigenkapitalzinsabzug einführen. Die Differenz zu den ursprünglich vorgeschlagenen 70 Prozent macht für den Bund nur 70 Millionen Franken und für den Kanton Zürich 15 Millionen aus.
Badran: Ohne einen stärkeren Anstieg der Dividendenbesteuerung werden viele Unternehmer wegen der Senkung der Gewinnsteuer auf Dividendenzahlungen umstellen. Ich würde mit meiner Unternehmung auch eine Holding machen und von Lohnzahlungen auf Dividende umstellen, weil sich dies massiv lohnt.
Herr Noser, wäre es nicht aus Standortsicht unproblematisch gewesen, das Minimum der Dividendenbesteuerung auf 70 Prozent zu setzen?
Noser: Das ist sehr schwierig. Der Kanton Zürich hatte bei der Einführung der reduzierten Dividendenbesteuerung die Formel für die Firmenbewertung geändert, so dass dies die Reduktion der Dividendenbesteuerung schon wieder kompensiert hatte.
Frau Badran, was passiert bei einem Volks-Nein zur Bundesvorlage?
Badran: Bei einem Volks-Nein passiert gar nichts. Wir haben den Status quo, da wird kein Mensch abwandern. In einem halben Jahr werden wir eine neue Vorlage haben. Die kantonalen und kommunalen Finanzdirektoren sind vorbereitet. Und wir werden weit entgegenkommen, weil wir schnell Sicherheit brauchen.
Noser: Wenn die Schweiz am 12. Februar Ja sagt, wird sie für die nächsten zehn bis fünfzehn Jahre hinaus Rechtssicherheit in Sachen Steuern haben. Wenn wir Nein sagen, wissen wir schon nicht, was 2019 gilt. Die Schweiz hatte international zugesagt, auf 2019 die verpönten Steuerprivilegien abzuschaffen. Ich habe grosse Zweifel daran, dass es gelingt, eine neue Vorlage in dem von Frau Badran genannten Tempo zu bringen. Denn gleichzeitig wird ja auch verlangt, die Städte einzubinden. Das macht die Sache komplizierter. Wahrscheinlicher ist, dass es mindestens zwei Jahre geht, bis eine Vorlage bereitliegt. Die kantonalen Finanzdirektoren werden nicht auf den Bund warten. Dann wird die Diskussion vor allem noch sein, wie viel der Bund den Kantonen zahlt.