Portrait in der Schweizer Illustrierten
18. Februar 2017Portrait publiziert in der Schweizer Illustrierten vom 18.2.2017
https://www.schweizer-illustrierte.ch/stars/schweiz/jacqueline-badran-ehemann-privat-politik-sp
von Jessica Pfister
«Victor ist mein Happy Hormon»
Bei ihrem Mann wird Kämpferin Badran zum Teenager
Sie war die schärfste Gegnerin der Unternehmenssteuerreform III – und hat gewonnen! Wie SP-Nationalrätin jacqueline Badran dem Tod entkommen ist und bei wem die Kämpferin ganz sanft wird.
Sie gönnt sich keine Pause! «Soll ich etwa wellnessen gehen?», fragt Jacqueline Badran, 55. «Ich muss meinen Mitarbeitern Löhne zahlen!» Die SP-Nationalrätin sitzt in ihrem Büro im Zürcher Kreis 4. Am Wochenende hat sie einen der grössten Siege ihrer Politkarriere errungen – und gegen die gesamte bürgerliche Elite gewonnen. Einer ihrer 28 Mitarbeiter steckt den Kopf zur Tür herein: «Herr Projer vom Schweizer Fernsehen ist am Telefon.» Badran drückt ihre Muratti aus und raunt mit kratziger Stimme in den Hörer: «Projer, was wollen Sie? Eine ‹Arena› nach dem Nein zur Unternehmenssteuerreform? Nur wenn Sie mich ausreden lassen, gopfertami!»
Unerschrocken, impulsiv, direkt, bis es weh tut – so beschreiben Badrans Kollegen im Nationalrat die SP-Frau. «Ich trage mein Herz auf der Zunge. Und manchmal rege ich mich halt auf!» Dann fährt sie sogar der eigenen Bundesrätin an den Karren. Wie in ihrer ersten Sessionswoche vor fünf Jahren, als sie Simonetta Sommaruga drohte, eigenhändig Unterschriften gegen eine Abschaffung der Lex Koller zu sammeln.
Auch wenn die stets Stiefel tragende Politikerin bisweilen forsch auftritt: Der Erfolg gibt ihr recht. Fast im Alleingang setzte sie durch, dass Ausländer in der Schweiz weiterhin kein Land kaufen dürfen. Und am wuchtigen Nein zur Unternehmenssteuerreform III hat Badran einen grossen Anteil. Als Kämpferin für den Mittelstand schimpfte sie bei zahlreichen TV-Auftritten gegen Steuergeschenke an Grossunternehmen, verteilte bis am letzten Tag vor der Abstimmung vor dem Coop Flugblätter. «Ich wollte nicht nach Bern, weil ich es dort glatt finde. Eine gerechte Immobilien- und Steuerpolitik – das ist meine Mission.»
32 Jahre Beziehung, 25 Jahre Ehe
Wer sich mit Badrans Biografie auseinandersetzt, merkt schnell, dass bei ihr das Wort «Gerechtigkeit» keine Floskel ist. Schon in der Primarschule stellt sich das grosse Mädchen mit den wallenden Haaren schützend vor die Schwächeren. Und verteidigt selbst SVPler Fredi Heer, als dieser an einem 1.-Mai-Fest von Linksaktivisten attackiert wird. «Ich bin eigentlich ein extrem harmoniebedürftiger Mensch», erzählt Badran am Feierabend bei einem Cappuccino im «Nordbrüggli».
Unweit ihrer Lieblingsbeiz im urbanen Zürich Wipkingen lebt die kinderlose Politikerin mit ihrem Mann Victor, ihrem «Lieblingsmenschen», in einer Eigentumswohnung mit Sicht auf den Prime Tower. «Victor ist mein Happy Hormon.» Wer die beiden zusammen sieht, weiss, was sie damit meint. An der Seite des gebürtigen Holländers, einer Velokurier-Legende, wirkt Badran so sanft wie ein verliebter Teenager – und das nach 32 Jahren Beziehung und 25 Jahren Ehe! «Wir gehören einfach zusammen», sagt Victor Badran, 53, der den Namen seiner Frau angenommen hat.
Kennengelernt haben sich die beiden am Coca-Cola-Automaten an der Uni Zürich, wo beide Biologie studierten. «Er hat mich erobert», sagt Badran und strahlt. Auf ihrer Dachterrasse schaut die Politikerin im Sommer «mit kindlicher Freude» den Bohnen und Zucchetti beim Wachsen zu. Doch genauso gern schlägt sie sich die Nächte mit Statistiken zur Steuerpolitik um die Ohren. «Ich will die Dinge wirklich verstehen.» Deshalb habe sie auch noch Wirtschaft studiert. Die Uni und die HSG hat sie selbst finanziert: als Skilehrerin im Engadin, Eisenlegerin auf dem Bau und Ticketabreisserin im Kino.
Aufgewachsen ist Badran dort, wo normalerweise keine Linken herkommen – am Zürichberg. «Umgeben vom guten alten Freisinn.» Ihr Vater, ein christlicher Libanese, arbeitet sich zum vermögenden Textilfabrikanten empor. Doch das Leben in der Schweiz, wo die Familie wegen der Mutter wohnt, gefällt ihm nicht. Als Jacqueline zwölf Jahre alt ist, kehrt er allein in seine Heimat zurück – und verliert dort im Bürgerkrieg sein Vermögen. Die Mutter arbeitet sich bei Bally von der Kassiererin zur Chefsekretärin hoch. «Und das als Alleinerziehende in den 60ern!», sagt Badran. Das Leben am Zürichberg ermöglicht ihr Stiefvater, ein italienischer Graf. Trotzdem: «Ich bin in einer Welt aufgewachsen, wo man geleistet hat, nicht geprotzt.»
Badrans Nachbarn waren Ärzte und Anwälte, die auch mal unentgeltlich gearbeitet haben, ohne dies an die grosse Glocke zu hängen. «Wäre der Freisinn heute noch so – ich wäre Mitglied!» Stattdessen tritt sie 1991 der SP bei. Ein Credo hat Badran von der damaligen FDP übernommen: «Wer privilegiert aufwächst, muss umso mehr für die Gesellschaft leisten.»In ihrem Fall heisst das, arbeiten bis zur Selbstaufgabe. Sie rackert fünf Jahre lang ohne Ferien und nur zwei Stunden Schlaf pro Nacht, um ihre Softwarefirma aufzubauen. Sie hört auf, Basketball zu spielen, obwohl sie Score-Leaderin der Nati B war.
Dann, zwölf Tage nach ihrem vierzigsten Geburtstag, stürzt die Crossair-Maschine mit Badran an Bord bei Bassersdorf in den Wald. 24 Menschen sterben, Badran überlebt. Es ist nicht das erste Mal, dass sie einen Schutzengel hat. Jahre zuvor buddelte sie sich aus einer Lawine, als Dreijährige wäre sie im Tessin fast ertrunken. «Meine SP-Kollegin Min Li Marti nennt mich unzerstörbar.» Eine Therapie hat sie danach keine gemacht – «dafür jedem, der mich fragte, von der Nahtoderfahrung erzählt». Noch heute zuckt sie zusammen, wenn ein Flugzeug über ihrem Kopf durchfliegt.
Beim Einkaufen mit Victor im Quartierbioladen nimmt Badran das Handy aus der Tasche. «Du schaust zu oft auf deine Mails», sagt er. «Ich weiss», sagt sie sanft, liest und ruft aus: «Economiesuisse will die Steuerreform aufteilen. Huere Bschiss!» Badrans nächster Kampf steht vor der Tür.