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«Eine Demokratie sans public ist tot»

Interview in der Baslerzeitung (BaZ) veröffentlicht am 27.4.2018

https://bazonline.ch/schweiz/standard/eine-demokratie-sans-public-ist-tot/story/25643620?track

«Eine Demokratie ‹sans public› ist tot»

Die Zürcher SP-Nationalrätin Jacqueline Badran fordert Mediengutscheine zur Stützung der Presse

BaZ: Es war ein harter Abstimmungskampf über die No-Billag-Initiative. Was bleibt von der Debatte?
Jacqueline Badran: Das Hauptargument war ja, die SRG sei zu gross, sie dränge die Privaten auf die Seite und müsse dringend reformiert werden. Man hat die Medienkrise den öffentlich-rechtlichen Sendern angehängt. Aber die eigentliche Medienkrise, die findet beim geschriebenen Wort statt. Die SRG war der falsche Feind der Initianten und die Frage des laufenden gigantischen Strukturwandels wurde elegant umschifft. Es gibt eine Medienkrise, und die hat nichts mit der SRG zu tun. Die Medienlandschaft stirbt einen langsamen Tod.

Woran erkennt man das?
Die Symptome sind ein Wegbrechen der Werbeeinnahmen, die ganzen Rubrikeninserate für Jobs und Wohnungen waren jahrzehntelang eine Einnahmengarantie. Die sind nun aber ins Internet abgewandert. Gewisse Verlage haben sich diese Portale zurückgekauft, weigern sich aber, mit diesen Einnahmen die Zeitungen querzufinanzieren, wie sie es früher gemacht haben. Und der ganze Rest der Werbung geht zunehmend an Google und Facebook, die nichts in Journalismus investieren. Hinzu kommt die Gratiskultur und damit die abnehmende Bereitschaft der Konsumenten, für guten Journalismus zu bezahlen.

Und wie reagieren die Verlage?

Die reagieren logischerweise auf der Kostenseite: Redaktionen werden zusammengelegt, sogenannte «Mäntel» für überregionale Teile kreiert, um noch mehr Leute einzusparen, es kommt zu Auslagerungen von ganzen Abteilungen ins Ausland wie das Korrektorat der NZZ und eingekaufte Inhalte. Das sind aber alles bloss Notwehrmassnahmen. Das kann man eine Zeit lang machen. Irgendwann leiden die Vielfalt und die Qualität. Wir sind jetzt an dem Punkt, an dem die Zitrone ausgepresst ist. Tamedia hat in der Westschweiz fast 80 Prozent Marktanteil, in der Deutschschweiz haben wir weitgehend Gebietsmonopole.

Soeben wurde die Basler Zeitung an Tamedia verkauft.
Die Konzentration geht weiter: Jetzt lesen die Zürcher, die Berner und die Basler den gleichen Inland-, Kultur-, Ausland- und Sportteil der Tamedia. In St.Gallen und der Innerschweiz haben wir ein Gebietsmonopol der NZZ und im Mittelland der AZ Medien. Alles das Gleiche. Das ist nicht gut für die Demokratie.

Was bedeutet die Medienkrise für die Qualität?
Ich merke es jeden Tag, dass die Journalisten weniger von einem Thema gelesen haben und verstehen, logisch, weil sie sich um immer mehr unterschiedliche Dossiers kümmern und immer schneller produzieren müssen. Das Tempo im Journalismus ist hoch, es bleibt kaum mehr Zeit, etwas genau abzuklären. Das merkt man dann im Blatt und online. Es zählen Klicks statt Qualität. Das alles kann nicht im Interesse des Journalismus und schon gar nicht der Politik sein. Es muss etwas passieren. Strukturwandel kann man geschehen lassen, wenn es sich um normale Konsumgüter handelt. Bei den Medien ist das aber anders, das sind keine «nice to have»-Produkte, die man auch im Ausland billig herstellen und importieren kann. Wir brauchen Massenmedien, weil Politik durch Medien an die Bevölkerung vermittelt werden muss. Medien schaffen Öffentlichkeit, damit das, was politisch passiert, überhaupt an die Leute gelangt, sei es als Berichterstattung, aber auch einordnend und kommentierend. Medien haben eine Aufpasserfunktion gegenüber der Politik. In Zeiten von Fakenews und Manipulationsversuchen braucht es mehr unabhängige Qualitätsmedien denn je. Demokratie und Aufklärung funktionieren ohne Medien nicht. Punkt.

Aber es wurde doch noch nie so viel gelesen wie heute, einfach in Gratismedien wie 20 Minuten.
20 Minuten ist nicht Information, sondern Desinformation.

Das müssen Sie aber erklären. Warum?
Weil da der Inhalt anders ausgewählt wird. Die Aufgabe der klassischen vierten Gewalt – zu der ich die BaZ, den Tages-Anzeiger, die NZZ, die SRG und auch den Blick, aber eben 20 Minuten nicht zähle – ist die öffentliche Debatte. Diese fundamentale Aufgabe von Medien in einer rechtsstaatlichen Demokratie wird nicht von Klickmedien erreicht, die nicht der Wahrhaftigkeit verpflichtet sind und Informationen nicht hinsichtlich der Relevanz aussortieren. Dort landet dann das Hinterteil von Kim Kardashian auf der Frontseite, was nun wirklich nichts zur Debatte beiträgt. Diese fundamentale Aufgabe wird auch nicht von Nischenplayern wie der Wochenzeitung erfüllt, weil es eine gewisse Grösse braucht.

Alle diese Zeitungen wollen Sie fördern. Sie verlieren aber jedes Jahr Leser. Was bringt die Förderung von Zeitungen, wenn sie nicht gelesen werden?
Ich mag das Wort «fördern» nicht. Es geht darum, diese Medien existenzsichernd zu finanzieren, weil die anderen Einnahmen weggebrochen sind und nicht mehr zurückkommen. Es ist wie in anderen Bereichen auch. Wir finanzieren das Opernhaus Zürich mit Millionen, obwohl das bloss «nice to have» für vielleicht zwei Prozent der Bevölkerung ist. Die Medien sind wichtiger – «Service Public» pur – und es braucht einen Beschluss dafür wie für das Opernhaus, für Schulen, Spitäler und Infrastruktur.

Sind die Medien auch noch wichtig, wenn sie nur noch von einer Minderheit konsumiert werden?
Ja. Es geht ja auch nur eine Minderheit an die Urnen. Das ist äusserst bedauerlich, aber eine Tatsache. Es ist eine Pflicht der Gemeinschaft, zumindest den Zugang zu qualitativ hochstehenden Informationen zu ermöglichen. Bei Fernsehen und Radio garantiert das die SRG, beim geschriebenen Wort garantiert das niemand mehr. Medien sind eben kein Konsumgut, das man haben kann oder nicht.

Ihr Vorschlag ist, dass die Bevölkerung entscheiden kann, wer eine Finanzierung erhält.
Im Bereich Radio und Fernsehen kann man das System der Haushaltsteuer, bei allen Fehlern, die es hat, vorerst beibehalten. Beim geschriebenen Wort werden wir nicht darum herum kommen, die Zeitungen und Onlinemedien auf eine gesicherte Grundlage zu stellen. Weder der Werbemarkt noch der Lesermarkt bringen die nötigen Einnahmen. Wir können aber nicht zulassen, dass die Medien sterben oder wie im Fall von 20 Minuten banalisiert werden. Wenn es Heerscharen von Jugendlichen gibt, die glauben, sie seien mit 20 Minuten und Blick am Abend informiert, dann läuft etwas schief, das brandgefährlich ist. Es steht das Vertrauen in die rechtsstaatlichen Strukturen auf dem Spiel, fehlender Zugang zu Qualitätsmedien macht Menschen anfällig auf Manipulation. Was ist dann die «res publica» noch ohne Qualitätsmedien? Eine Demokratie «sans public» ist tot.

Das ist doch zu einfach. Auch Leser von Gratismedien können richtig abstimmen.
Sie gehen einfach unqualifiziert an die Urne. Und die Debatte hat nicht mit ihnen stattgefunden. Sie verwechseln eine Abstimmung über Gesetze und Verfassungsartikel mit einem «Like» oder einem «Daumen hoch» auf Facebook. Das was wir auf einen Abstimmungszettel schreiben, ist aber keine Befindlichkeitsäusserung, sondern Ernst.

Wie funktioniert dieses Modell der Medienfinanzierung?
Es gibt zwei Möglichkeiten. Erstens, man finanziert einzelne Projekte, seien es Recherchen oder einzelne Gefässe. Dann machen wir das so wie die Forschungsfinanzierung mit dem Schweizerischen Nationalfonds. Dann haben wir aber eine Bürokratie und lange Verfahren. Ich zweifle, dass das im Journalismus sinnvoll ist.

Und zweitens?
Ich finde, man sollte die Institutionen finanzieren, also die Zeitungen. Dafür gibt es zwei Bedingungen: Die Zeitungen dürfen keinen übermässigen Gewinn machen, zum Beispiel nicht mehr als zwei oder drei Prozent, weil sie ja mit öffentlichen Geldern unterstützt werden. Zweitens müssen sie gewisse Qualitätsstandards einhalten, also 20Minuten zu finanzieren, das geht gar nicht. Man könnte den Zeitungen, die das erfüllen, direkt Geld vom Staat schicken. Man müsste grosse kommerzielle Player wie Tamedia aufteilen, damit sichergestellt wird, dass dieses Geld nicht als Dividende bei den Eigentümern landet. Der Tages-Anzeiger und andere Zeitungstitel des Konzerns wären dann beispielsweise in einer separat gehaltenen Stiftung.

Aber?

Es wäre dann halt so, dass irgendjemand über ziemlich viel Geld bestimmt. Die andere Möglichkeit wäre, dass jeder im Land einen Mediengutschein erhält, zum Beispiel in der Höhe von 250 Franken pro Jahr, den er für eine Zeitung seiner Wahl einsetzen könnte. Auch da bräuchte es eine Einschränkung des Gewinns und natürlich müssten genauso Qualitätskriterien eingehalten werden.

Was wäre der Vorteil?

Der Gutschein ist zweckgebunden und müsste für wertvollen, guten Journalismus eingesetzt werden, aber frei wählbar. Ein Gutscheinsystem würde Qualitäts-Journalismus belohnen und verhindern, von Klicks und irrelevanten Aufreger-Stories abhängig zu sein. Auch die Abhängigkeit von jenen, die Werbung schalten, würde sofort kleiner, das wäre ebenfalls ein positiver Effekt. Der Wettbewerb wäre nicht ausgeschaltet, die Medien hätten eine solide Finanzierung und damit hätten wir eine bessere Medienlandschaft.

An den Gebietsmonopolen und dem Einheitsbrei ändert sich aber nichts.
Am Gebietsmonopol nicht, aber am Einheitsbrei früher oder später schon, weil zum Beispiel die Luzerner genug haben von einem Mantel, der ausSt. Galler oder Aargauer Perspektive geschrieben wurde, sondern spezifische Informationen wollen, die relevant sind für sie. Es passieren in der Bundespolitik viele Dinge, die in einer Region wichtig, in einer anderen bloss Nebensache sind. Die geografisch riesigen Mäntel haben das Problem, dass sie niemandem gerecht werden. Das ist nicht lösbar. Mit einem Mediengutschein haben regionale Inlandredaktionen eine neue Chance.

Wie soll das funktionieren?
Es würden neue Redaktionen entstehen, die Inland wieder regionaler abhandeln würden. Sie könnten auch auf eine Bezahl-Schranke verzichten und so Reichweite erzielen, weil die Finanzierung der Inhalte mit der Unterstützung gesichert ist. Bezahl-Schranken haben ja noch bei niemandem in der Schweiz wirklich funktioniert. Dann besteht wieder die Hoffnung, dass auch Junge nicht nurKatzenkontent und Promi-Stories konsumieren, sondern das, was für ihre demokratische Mitbestimmung wichtig ist. Im Vorbeigehen bekommen sie das Allgemeinwissen, das sie heute in der Schule nicht mehr lernen, aber für das Leben brauchen.

Das ist doch eine illusorische Idee, in Bundesbern wird lieber an kleinen Pflästerli gebastelt, statt an grossen Ideen.
Politik ist oft die Kunst des indirekten Weges. Das Mediengesetz kommt ja bald in die Vernehmlassung. Das wäre eine Möglichkeit. Der beste Partner für diese Idee wäre der Verlegerverband. Doch der vertritt meistens nicht die Interessen aller Verleger, sondern bloss von Tamedia.

Der Verlegerverband wehrt sich gegen eine staatliche Unterstützung.
Die sagen, sie wollten keine Staatsmedien sein, ohne sich die Möglichkeiten einer Finanzierung genau anzuschauen – ausser natürlich die zig Millionen Vertriebsverbilligung, Gratis-Inhalte der SRG und SRG-Gebühren für Medientalks, die sie annehmen. Das ist falscher Stolz. Mir scheint, das hat mit der Führung zu tun. Verbandspräsident Pietro Supino und seine Tamedia haben den Journalismus ja längstens verlassen. Er führt faktisch einen Werbekonzern, der sich nebenbei noch eine Tageszeitung leistet, vor allem weil der Tages-Anzeiger eine glaubwürdige Marke für die Werbeaktivitäten ist. Der Journalismus ist dann noch ein möglicher Werbekanal unter vielen unter dem Konzerndach, dessen Bedeutung für das Funktionieren der Demokratie bleibt auf der Strecke. Die anderen Verleger sind hingegen Publizisten. Die müssen unbedingt überleben, finde ich – auch wenn alle in der FDP sind.

Mindestens die Redaktionen sind sicher nicht FDP-nah.
Bei der NZZ würde ich das bezweifeln, aber bei allen anderen vielleicht… Aber die wirklich linken Journalisten, die muss man mit der Lupe suchen. Die Linken haben gar nichts mehr, der Tagi ist auch nicht mehr links. Das hindert mich nicht, die Finanzierung der Presse zu fordern.

Dafür ist mindestens die SRG ziemlich links, das ist wissenschaftlich erwiesen.
Journalisten sind Akademiker, und die sind nun mal eher grün oder sozialdemokratisch.

Das ist nur eine mögliche Erklärung. Müsste man bei der öffentlich-rechtlichen SRG nicht Gegensteuer geben?
Sie verlangen Gesinnungskontrolle? Ich bezweifle, dass die Statistik überhaupt stimmt.

Nein, aber eine Personalpolitik, welche der Debatte dient. Zurück zu Ihrer Idee: Der Vorschlag mit den Gutscheinen ist reichlich kompliziert.
Überhaupt nicht. Mein Vorschlag ist eigentlich nichts Neues, sondern ähnlich wie Betreuungsgutscheine zur Finanzierung von Krippenplätzen. Statt dass Institutionen Geld erhalten, erhalten die Eltern ein Recht auf einen Krippenplatz und den Gutschein, den sie einsetzen können, wo sie wollen.

Und wenn der Gutschein verfällt, was passiert dann mit dem Geld?
Dann kommt der Betrag in einen Topf und wird nach einer bestimmten Formel ebenfalls verteilt, unter Einhaltung der erwähnten Bedingungen. Mit dem Gutscheinsystem haben wir eine Nachfragefinanzierung, eine gesicherte Belohnung für ein gutes Produkt. Genau das wollen wir, weil wir es brauchen. Sonst riskieren wir, dass Google und Facebook den hiesigen Journalismus einfach plattmachen. Sich dem Fakt zu verweigern, dass die Qualitäts-Medien in ihrer Existenz bedroht sind, wäre gefährlich.

Das Interview wurde vor dem Verkauf der BaZ geführt, eine Frage dazu allerdings nachträglich eingefügt. (Basler Zeitung)

Erstellt: 27.04.2018, 09:34 Uhr