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Niemand sollte allein gelassen werden: Ein Manifest für die Erweiterung der wirtschaftlichen Massnahmen gegen die Corona-Krise

In den letzten Wochen habe ich über 1’700 Mails und Zuschriften erhalten von Menschen mit wirtschaftlichen Existenznöten. Ich bin entsetzt über das Ausmass der Sorgen und ich bin sehr betrübt darüber, dass ich nicht mehr jede einzelne Zuschrift persönlich beantworten kann. Aber das schaffe ich rein zeitlich gar nicht und bitte deshalb um Verständnis. Aber jedes einzelne Mail wird gelesen und gespeichert.

 

Wir haben wohl das erste Mal in der Geschichte eine „Wirtschafts-Krise der Kleinen“ – der Unsichtbaren. Normalerweise haben in Wirtschaftskrisen zuerst die Grossen Probleme wie zum Beispiel die Banken oder bei Währungskrisen, die Exportbranche wie die Maschinenindustrie. Erst mit Verzögerung wird es für die Kleinen schwer, wenn Aufträge ausbleiben, wenn Jobs verloren gehen und deshalb weniger ausgegeben wird in Restaurants, beim Coiffeur oder im Blumenladen.

 

Nun ist es umgekehrt. Es sind die kleinen Läden, die geschlossen wurden; die kleinen Restaurants und Bars, die Coiffeur- und Kosmetiksalons, die Yogalehrerin kann keine Stunden mehr geben; die Physiotherapeutin hat keine Kunden mehr; der Koch auf Abruf hat keinen Catering-Aufträge mehr an Anlässen wie Konzerten oder Businesskongressen; die Grafikerin hat keine Aufträge mehr weil die Eventszene auf Nullruntergefahren wurde, der Tontechniker ebenso wie der Taxifahrer. Der Bierbrauer kann keine Restaurants und Anlässe mehr beliefern, ebenso der Getränkehändler, die Blumenhändlerin, die Eventagentur. Die Malerin kann nicht mehr in Wohnungen oder im Altersheim streichen gehen; der Gärtnerin wurde einen dreimonatigen Auftrag einen Hotelgarten umzugestalten gestrichen. Die Liste ist endlos.

 

Hunderttausende von Kleinen Firmen unter 50 Angestellten und Hunderttausende von Selbständigen hat es getroffen; nicht die Banken, (noch) nicht die Konzerne.

Diese vielen – in der Politik fast unsichtbaren Branchen und Selbständigen – haben einiges gemeinsam. Die betroffenen Branchen:

 

  • sind äusserst kleinteilig und segmentiert – ein filigranes Geflecht von Bestellenden, Lieferenden und Unterliefernden
  • sind eher Margenschwach mit vielen Geringverdienenden ohne Reserven
  • haben Einnahmeausfälle und nicht aufgeschobene Einnahmen wie zum Beispiel wenn die Maschinen- oder Bauindustrie wegen Konjunktur-Flaute schwächelt. Niemand trinkt im Restaurant nach der Krise doppelt so viel Bier. Keiner schneidet sich die Haare doppelt so oft und niemand nimmt dann zwei Jahresabos fürs Fitnessstudio. Und ein abgesagter Anlass ist ein abgesagter Anlass.
  • (Laden-, Studio, Restaurant-) Mieten bilden bei den meisten einen überdurchschnittlich hohen Anteil an den Fixkosten.

 

In der Politik gibt es vermutlich parteiübergreifend Konsens für die Ziele der wirtschaftlichen Massnahmen:

 

  • Sicherung von Existenz und Einkommen

 

  • Erhalt von Arbeitsplätzen und der Strukturen, damit nach der Krise wieder alles unmittelbar weitergehen kann.

 

  • Anders gesagt: keine Massenkonkurse, keine Massengänge in die Sozialhilfe.

 

 

 

Der Bundesrat hat gehandelt, schnell und entschlossen.

Er hat die Kurzarbeit erweitert (auch auf InhaberInnen und deren angestellte Ehepartner, sowie Inhaberähnliche) und die Karenztage eingestellt. Er hat die Bezugsberechtigung für Erwerbsausgleich erweitert auf Betreuende Eltern, auf Personen in Quarantäne und auf direktbetroffene Selbständige. Er hat neu auch Kredite zum Nulltarif zugänglich für alle und für jeden Fall gemacht.

Damit hat er versucht, die Realwirtschaft und die Banken zu stabilisieren. All das ist gut und richtig.

 

Nur hat es drastische Lücken und fehlende Instrumente. Diese schnell zu schliessen, dafür kämpfe ich weiter.

 

Erhalt der Einkommen, Existenzsicherung

 

  1. Zehntausende Selbständige fallen aus den Maschen, weil sie nur indirekt betroffen sind, z.B. Physiotherapeutinnen und Taxifahrer haben kein Berufsverbot, aber wegen der Kontaktvermeidung keine Kunden. Die Grafikerin, der Fotograf, der Getränkelieferant, und viele Zuliefernde der betroffenen Branchen haben ebenso keine Einnahmen mehr. Damit ist das Ziel der Existenzsicherung aller und der Strukturerhaltung nicht erreicht. Hier muss schnell der Kreis der Bezugsberechtigten in der EO ausgeweitet werden auf alle, die auch indirekt betroffen sind. Auch Menschen mit Arbeit auf Abruf. Niemand darf alleine gelassen werden. Ebenso muss der Bemessungsgrundlage für die Entschädigung verbessert werden (Bruttoeinkommen und nicht Reingewinn) und auf mehrere Jahre ausgeweitet werden (um Einkommens-Schwankungen zum Beispiel wegen getätigter Investitionen auszugleichen). Dazu muss der Bund aus den allgemeinen Steuermittel einen namhaften Betrag in die EO einschiessen.

 

  1. Die Kurzarbeit für ALV-Pflichtige wurde erweitert auf Temporär-Angestellte, auf Befristete und auf Lehrlinge (80% vom Lohn), sowie auf Inhaberinnen, Inhaberähnlichen und deren Ehegatten. die letztere Gruppe bekommt neu eine Kurzarbeitspauschale von 3320.- Franken. Das ist respektlos gegenüber allen KMU Inhabern und nicht existenzsichernd, verfehlt also das Ziel.  Hier muss nachgebessert werden. Auch InhaberInnen und co sollen gleich viel erhalten wie alle anderen auch (evtl. mit einem Lohndeckel) – schliesslich zahlen sie auch auf dem vollen Lohn ALV-Beiträge.

 

Arbeitsplatzsicherung, Strukturerhalt

Hier sind eigentlich die Kredite (null Prozent Zins, Höhe max: 10% vom Umsatz, keine Gebühren) vorgesehen. Das ist richtig, weil es die Strukturen der Grossen KMU, der Konzerne und der Banken stabilisiert und sichert.

Völlig untauglich ist dieses Instrument für die keinen Läden (Coiffeur, Buchhandlung, Restaurant, Fitness-Studio etc. usw) und die Selbständigen (Yogalehrerin, Malerin, Grafikerin, Lichttechniker, etc. usw). Wieso sollten sie ihre laufenden Kosten mit Krediten decken? Sie sind Margenschwach und bräuchten lange um dies zurückzuzahlen, wenn sie es überhaupt schaffen. Sie haben nicht aufgeschobene Einnahmen, sondern nicht wiederkommende Einnahmenverluste. Und sie haben hohe Mieten als Fixkostenblock.
Zudem lösen Kredite das Problem nicht, sondern verschieben sie in die Zukunft: Auf Massenverschuldung folgen Massenkonkurse. Im Weiteren sind die heutigen Schulden die nicht getätigten Investitionen von morgen. Kurz: Eine schuldenfinanzierte Bezahlung der laufenden Kosten ist volkswirtschaftlicher Wahnsinn.

Deshalb kämpfe ich für einen Erlass der Mieten (und nicht etwas Senkung oder Stundung). Auch die Immobilieneigentümer haben sich am Risiko zu beteiligen und ihre Verantwortung in der Krise wahrzunehmen, zumal sie in den letzten 20 Jahren ordentlich von überhöhten Renditen und massiven Wertsteigerungen ihrer Immobilien, sowie Steuersubventionen profitiert haben.

 

 

Was können Sie tun?

Sie können helfen: Erzählen sie ihre Geschichte auf den sozialen Medien; schreiben sie Leserbriefe; schreiben sie den Medien; schreiben sie dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECCO) und erzählen sie von Ihrer Not. Machen sie sich sichtbar.

Jetzt wo das Parlament auch geschlossen ist, hilft nur öffentlicher Druck.

 

Lassen sie den Kopf nicht hängen. Ich verspreche Ihnen, ich werde es auch nicht. Gemeinsam können wir die Verbesserung der wirtschaftlichen Massnahmen zur Existenzsicherung aller hinbekommen, ohne dass sich alle gleich verschulden müssen. Keiner und keine sollte alleine gelassen werden.

 

Einer für Alle, alle für Einen. So steht es im Parlamentsgebäude.

 

Ihre Jacqueline Badran

 

PS: Sie wollen einen Mieterlass: Dann unterzeichnen und verbreiten Sie diese Petition:

https://act.campax.org/petitions/mieterlass-fur-gewerbe-kmu-warend-des-lockdowns?

 

PS: sind sie Ladenbesitzerin oder haben eine Dienstleistung und wollen sich für die Zukunft Einnahmen sichern z.B. mit einem Geschenkgutschein, Jahresabos usw.

Diese Plattform habe ich mit meiner Nationalrats-Freundin Mattea Meyer ins Leben gerufen:

https://www.hilf-dem-gewerbe.ch/

 

PS: Sind sie in Not, zum Beispiel alleinerziehende Mutter ohne Einnahmen

Hier kann es Direkthilfe geben:

https://www.icareforyou.ch/zaemefueralli/