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Publiziert im «Solidarisch», Nr.25, Februar 2021

Zur «Trinkwasser-Initiative» und zur «Pestizid-Initiative» (Abstimmungen vom Juni 2021)

Ohne Trinkwasser können wir nicht leben, ohne Pestizide schon

Wussten Sie, dass die Hälfte der Menschheit, die Hälfte ihres Lebens damit verbringen, Trinkwasser zu suchen und zu transportieren? Ich weiss das seit über 40 Jahren, als uns das mein Geographielehrer erzählte. Seither sage ich jeden Tag, wenn ich das erste Mal einen Wasserhahn benutze, danke. Es ein grosses Privileg, dass wir hier in der Schweiz Trinkwasser von bester Qualität jederzeit und überall beziehen können. Umso erschreckter war ich, als ich erfuhr, dass ausgerechnet hier bei uns das Grund- und Trinkwasser durch Pestizide und Nährstoffe bedroht ist. Mehr als eine Million Menschen in der Schweiz trinken heute pestizidbelastetes Wasser. Obwohl ich zu den gut informierten gehöre, hätte ich nie gedacht, dass das ausgerechnet im Wasserland Schweiz so sein könnte.

Da Bundesbern – trotz fleissigen Vorstössen unsererseits – kaum reagiert hat, haben besorgte Bürgerinnen gleich zwei Initiativen lanciert. Die «Trinkwasser-Initiative» verlangt Direktzahlungen nur noch an Landwirtschaftsbetriebe, die keine Pestizide und keine prophylaktischen Antibiotika einsetzen und ihre Tierbestände mit dem auf dem Betrieb produzierten Futter ernährt werden können (senkt Tierbestände, damit Gülle, damit grundwasserbelastetes Nitrat). Die «Pestizid-Initiative» verlangt, dass der Einsatz von Pestiziden in der landwirtschaftlichen Produktion, in der Verarbeitung landwirtschaftlicher Erzeugnisse und in der Boden- und Landschaftspflege verboten werden. Ebenso dürfen keine Lebensmittel, die synthetische Pestizide oder mithilfe solcher hergestellt worden sind, eingeführt werden.

Nun ist es schon so, dass uns in der Schweiz die inländische Nahrungsmittelproduktion mit den eher hohen Tier- und Naturschutz Standards wichtig ist. Immerhin nahm am 27. September 2017 mit 78.6 Prozent der Stimmbevölkerung eine überwältigende Mehrheit die Verankerung der «Ernährungssicherheit» in der Verfassung Artikel 104a an. Und für das hohe Produktionsniveau einheimischen Gemüses und Früchte braucht es vorderhand noch Pestizide. Denn seit Jahren werden Innovationen in der Schädlingsbekämpfung (z.B. mechanische) nicht vorangetrieben. Aber wir haben die Pflicht inländische Produktion und Trink- und Grundwasserschutz in Einklang zu bringen.

Die Bauernlobby in Bundesbern ist stark. Ebenso gibt es viele ParlamentarierInnen, die unangenehme Realitäten nicht wahrhaben wollen. Deshalb weigerte sich das Parlament einen Gegenvorschlag zu den Initiativen zu erarbeiten. Und nicht nur das. Bundesbern stellt sich quer, wenn es um das Vorsorgeprinzip im Grund- und Gewässerschutz geht. Und dies obwohl bei dem Pestizid Chlorothalonil, das seit Jahrzehnten eingesetzt wird, erst viel später krebserregende Abbauprodukte gefunden wurden, die jetzt im Grundwasser lagern. Deshalb verlangen die Trinkwasserversorger und die Wissenschaft in der Schweiz, dass alle Produkte im Einzugsgebiet von Fliess- und Grundwasser mengenmässige Beschränkungen zu erlassen sind, auch bei vorderhand als unbedenklich eingestuften Pestiziden. Weil auch die Oberflächengewässer grossflächig durch Mikroverunreinigungen und Nährstoffe (vor allem Nitrat) belastet sind, verlangen sämtliche Fachkreise eine Reduktion der Nährstoffbelastung.

Die Agrarlobby glaubt, sie könne die beiden Initiativen also ohne Gegenvorschlag mit dem Argument, sie seien zu «extrem» abtun. Mit Verlaub, extrem ist wenn wir Produktionsbedingungen zulassen, die unser Wasser, unseren Lebensraum und unsere Gesundheit auf Jahrzehnte hinaus gefährden. Denn Wasser kann durch nichts, aber auch gar nichts ersetzt werden.

So bleibt uns nichts anderes übrig, als die beiden Initiativen zu unterstützen. Denn es ist ganz einfach: Ohne sauberes Wasser können wir nicht leben, ohne Pestizide schon.