Kolumne #Korrigendum: Zur Hetze in der Energiepolitik
25. September 2022Kolumne #Korrigendum
publiziert in der Sonntagszeitung
25.9.2022
https://www.tagesanzeiger.ch/was-sommaruga-alles-richtig-macht-687298420134
Kolumne: Badrans #Korrigendum
Was Sommaruga alles richtig macht
Die Medien bieten einer beispiellosen Diffamierungskampagne der SVP gegen die Energieministerin Raum, statt dass sie aufklären.
Die SVP wendet regelmässig das gleiche Drehbuch an: «Wir gegen alle anderen.» Das zeigte sich in der Corona-Krise exemplarisch: Benenne einen Feind (Alain Berset), schiebe ihm die Schuld zu («Diktator») und lenke so vom eigenen Unvermögen ab (Härtefallgelder für das Gewerbe). Jetzt ist Bundesrätin Simonetta Sommaruga der Feind, sie und die Linke seien schuld an der Energiekrise. Es wäre Aufgabe der Medien, dies zu enttarnen. Stattdessen geben sie einer beispiellosen perfiden Kampagne der SVP gegen die Bundesrätin und die SP medialen Raum.
Grossflächig gewährt man den SVP-Exponenten Interviews (klar – das gibt Klicks) oder übernimmt in Kommentaren deren Narrativ. Der «SonntagsBlick» etwa titelte: «Simonetta Sommaruga ist nicht alleine schuld». Wie bitte? Schuld an der Energieverknappung ist in erster Linie einmal Putin. Dazu kommen der Ausfall von 50 Prozent der französischen AKW und der mangelnde Regen, was der Wasserkraft zusetzt. Diese Ereignisse treffen auf einen sogenannt liberalisierten Strommarkt, der sich dadurch auszeichnet, dass er den Stromhandelspreis von den Gestehungskosten entkoppelt hat und faktisch an den Gaspreis (den teuersten Strom) gekoppelt hat. Das ist das Gegenteil von einem Markt, weil ein Marktpreis sich immer dadurch definiert, dass er alle Produktionskosten eines Gutes in ein einziges Signal vereint: den Preis. Die Preisexplosion hat also in erster Linie mit einem seit Jahrzehnten komplett verfehlten Strommarktdesign zu tun unter der rein ideologischen Prämisse «Liberalisierung und Privatisierung», auch für Güter wie Strom, die per se nicht marktfähig sind.
Die SP hat den Öl-, Gas- und Uran-Ausstieg und dafür den Ausbau der erneuerbaren Energien seit 1982 (!) im Parteiprogramm. Entsprechend hat Energieministerin Sommaruga genau das beschleunigt, denn für sie hat die Versorgungssicherheit mit einheimischen Erneuerbaren oberste Priorität – nicht erst seit Amtsantritt. Dass sie dabei eine glasklare Strategie hat und ein beispiellos gutes und vorausschauendes politisches Handwerk pflegt, wird medial fast komplett unterschlagen.
«Niemand hat je zuvor die Konflikte zwischen den legitimen Anspruchsgruppen mit teilweise diametral gegensätzlichen Interessen so entkrampfen können wie Frau Sommaruga.»
Erster Punkt ihrer Strategie: Sicherstellung der Investitionen in den Ausbau der Erneuerbaren. Bei Amtsantritt erbte Sommaruga von ihrer Vorgängerin die Revision des Stromversorgungsgesetzes. Aus bürgerlicher Sicht brauchte es damals vor allem die volle Marktöffnung und keine weitere Finanzierung der Erneuerbaren – und das setzte die bürgerliche Mehrheit dann auch durch. Dies, obwohl allen Experten längst klar war, dass in der EU die Liberalisierung und bei uns die Teilliberalisierung komplett dysfunktional (zum Beispiel keine Investitionen, weil der Handelspreis weit unter den Gestehungskosten liegt) und umfassend gescheitert war. Das «Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien» wurde 2021 (also weit vor der aktuellen Krise) verabschiedet und beinhaltet Zielwerte für den Ausbau der einheimischen erneuerbaren Energie sowie Finanzierungsinstrumente und Massnahmen für den Winterstrom. Der Erlass wurde vom Ständerat zuerst mutwillig verschleppt und erst jetzt, in der Krise – dafür umso lauter und radikaler –, behandelt. Pikantes Detail: Die Marktöffnung wurde aus dem Gesetz gekippt. 20 Jahre nach dem gewonnenen Referendum der Linken und Gewerkschaften zur Strommarktliberalisierung kommen auch die Marktgläubigen zur Einsicht.
Ihr zweiter strategischer Punkt: Beschleunigung der Verfahren und Abbau der Bürokratie. Dazu hat sie lange vor der jetzigen Krise zig Änderungen auf Verordnungsstufe vorgenommen wie etwa die Abschaffung der Planvorlagepflicht, die Bewilligungsfreiheit von Solaranlagen auf Flachdächern und vieles mehr. Dazu hat sie Anfang Februar eine «Beschleunigungsvorlage» in die Vernehmlassung gegeben, die Bewilligungsverfahren für grosse Wasser- und Windkraftanlagen massiv entschlacken und beschleunigen will.
Dritter Punkt: konkrete Projekte voranbringen. Am runden Tisch Wasserkraft mit Energiewirtschaft, Schutzverbänden und den Kantonen wurden sage und schreibe 15 grosse Wasserkraftprojekte ausgewählt, die möglichst bald realisiert werden sollen, zusammen mit entsprechenden Ausgleichsmassnahmen im Interesse von Biodiversität und Landschaftsschutz. Niemand hat je zuvor die Konflikte zwischen den legitimen Anspruchsgruppen mit teilweise diametral gegensätzlichen Interessen so entkrampfen können wie Frau Sommaruga.
Die SVP, die seit Jahrzehnten den Ausbau der Erneuerbaren und den Öl- und Gasausstieg torpediert, dafür die groteske Strommarktliberalisierung verlangt hat, lenkt von ihren eigenen Fehlern ab und baut nicht zum ersten Mal eine Feindfigur Sommaruga auf. Indem die Medien dieser Hetzkampagne noch eine Plattform bieten, statt kopfschüttelnd richtigzustellen, machen sie sich zu Gehilfen.