Kolumne #Korrigendum – Die Medien unterschlagen den Kaufkraftkiller Nr. 1
2. Oktober 2022Kolumne Badrans #Korrigendum
publiziert am 2.10.2022 in der Sonntagszeitung
https://www.tagesanzeiger.ch/die-medien-unterschlagen-den-kaufkraft-killer-nummer-1-245813850859
Die Medien unterschlagen den Kaufkraft-Killer Nummer 1
In der Debatte um die Kaufkraft wird das Wichtigste verschwiegen: Die illegalen Mieten.
Wow, was für eine Session mit zig Sondersessionen. Energiewende, Kaufkraft, Dekarbonisierung (Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative), dazu noch ein Abstimmungskrimi. Ich könnte zehn Kolumnen dazu schreiben. Manchmal ist es jedoch ratsamer, über das zu schreiben, worüber nicht geschrieben wurde. Denn die Macht der Medien besteht auch darin, worüber sie berichten oder eben nicht. Die Massenmedien sind Torwächter darüber, was an die breite Öffentlichkeit gelangt.
Über die Kaufkraft wurde landauf, landab berichtet. Zu Recht. Denn 63 Prozent unserer Wirtschaftsleistung geschieht durch den Konsum der privaten Haushalte. Die Kaufkraft wird durch die steigende allgemeine Teuerung, die Energiepreise und die Krankenkassenprämien erheblich geschmälert. Gerade für Pensionierte macht das bis ins Jahr 2024 eine ganze durchschnittliche Monatsrente aus.
Deshalb hat die SP zusammen mit der Mitte vor Monaten ein Kaufkraftpaket geschnürt. Erstens sollte die Teuerung in der AHV umgehend ausgeglichen werden (in beiden Räten angenommen) und zweitens die Krankenkassenprämienverbilligungen für tiefe und mittlere Einkommen erhöht werden (vom Ständerat an die Kommission geschickt).
Was konsequent untergeht, sind die Mieten,
mit Abstand der grösste Posten im Haushaltsbudget.
Zweiteres entspricht nichts anderem als dem grossen Versprechen und Kompromiss, der bei der Einführung des Krankenversicherungsgesetzes gemacht wurde. Die SP erklärte sich mit einer Kopfprämie einverstanden, solange die Prämienbelastung nicht mehr als 8 Prozent des Haushaltseinkommens ausmacht. Ab dann sollte die Finanzierung aus Staatsbeiträgen erfolgen, so der Deal. Unterdessen liegt die Krankenkassenprämienbelastung, als zweitgrösster Posten im Haushaltsbudget, bei 14 Prozent der Haushaltseinkommen.
Die gleiche rechte Parlamentsmehrheit, die seit Jahr und Tag eine kostenseitige Senkung der Krankenkassenprämien verhindert, steht nun (noch) nicht zum ausgehandelten finanzierungsseitigen Kompromiss. Darüber könnte auch einmal sorgfältig berichtet werden. Zur Erinnerung: Fast alle anderen europäischen Länder haben eine einkommensabhängige Finanzierung der Gesundheitskosten und keine Kopfprämie.
Was aber auch konsequent untergeht, sind die Mieten, mit Abstand der grösste Posten im Haushaltsbudget. Im Februar dieses Jahres wurde eine vom Mieterverband in Auftrag gegebene Studie publiziert, die keine Schlagzeile wert war. Diese zeigt, dass den Mietenden in den letzten 15 Jahren 78 Milliarden Franken zu viel belastet wurde. Allein im letzten Jahr machte das 10,5 Milliarden aus.
Es ist falsch und eigentlich hochnotpeinlich, wenn Journalisten ständig von ‹Marktmiete› schreiben, denn diese ist schlicht verboten, auch wenn sie Realität ist.
Damit wurde eine Studie der Raiffeisenbank bestätigt, die die zu viel verlangte Miete auf 14 Milliarden Franken jährlich bezifferte. Die Mieten hätten wegen der stark gesunkenen Hypothekarzinsen sinken sollen, sie sind aber stark gestiegen. Während die Wohneigentümerhaushalte ihre Wohnkosten erheblich senken konnten, ist bei den Miethaushalten (immerhin rund 60 Prozent aller Haushalte) das Gegenteil passiert. Dies, obwohl Verfassung und Gesetz die Mieten an die realen Kosten binden und nur eine gedeckelte Rendite von (neu) 2 Prozent über Referenzzinssatz erlauben.
Wir haben also ein «Kostenmiete-Plus». Es ist darum falsch und eigentlich hochnotpeinlich, wenn Journalisten ständig von «Marktmiete» schreiben, denn diese ist schlicht verboten, auch wenn sie Realität ist. 10,5 Milliarden zu viel bezahlte Mieten jährlich – also 370 Franken pro Miethaushalt und Monat – ist ein volkswirtschaftlicher GAU und Kaufkraft-Killer Nummer eins. Wäre dies nicht so, könnten die Haushalte die aktuelle Teuerung locker abfedern.
Das Totschweigen dieses Zustands ist jedoch inakzeptabel.
Wenn doch so intensiv über Kaufkraft geredet wird, wieso echauffieren sich die Medien nicht über diesen skandalösen illegalen Zustand? Wieso macht das keine Frontschlagzeilen? Wieso rufen Gastro Suisse, Hotelleriesuisse, der Detailhandel und der Gewerbeverband nicht aus, sie hätten auch gern etwas von dem Kuchen? Wieso erheben die neoliberalen Ökonomen und die Verfechter einer Leistungsgesellschaft die Stimme nicht, weil es sich hierbei um reine leistungsfreie Umverteilungsgewinne von den Mietenden an die Immobilieneigentümer handelt? Von der einen Tasche raus und in die andere hinein, ohne Wertschöpfung! Sagen Sie es mir, ich verstehe es nicht.
Man könnte ganz einfach etwas dagegen tun. Eine periodische stichprobenartige Revisionspflicht (Kontrolle) der gesetzlichen Mietrenditen. So wie wir das von der AHV, der Mehrwertsteuer und den Gewinnsteuern her kennen. Da kommt in jedes Unternehmen alle drei bis sechs Jahre ein Revisor vorbei und prüft, ob alles korrekt abgerechnet wurde.
Entsprechende Vorstösse wurden in den Kommissionen ohne eine einzige Begründung abgelehnt. Sie kommen in der Wintersession in die beiden Räte. Mal schauen, ob bis dann die Medien die rechte Ratsseite fragen, aus welchen guten Gründen sie einen illegalen Zustand beim grössten Posten des Haushaltsbudgets toleriert und diesen volkswirtschaftlichen Super-GAU nicht unterbindet. Die Alternative: Passt doch die Gesetze der Realität an und verlangt eine Marktmiete. Mal schauen, ob das ein Referendum überleben würde. Das Totschweigen dieses Zustands ist jedoch inakzetabel.