Kolumne #Korrigendum: Vom Schmücken mit fremden Federn
9. Oktober 2022Kolumne Badrans #Korrigendum
publiziert am 8.10.222 in der Sonntagszeitung
https://www.tagesanzeiger.ch/vom-schmuecken-mit-falschen-federn-605392126881
Vom Schmücken mit falschen Federn
Politik zwischen Wahrheit und Dichtung: Nicht hinter jeder Vorlage, die angenommen wird, steckt die jeweilige Absenderin oder der jeweilige Absender.
Mehrheiten beschaffen zu können für etwas, von dessen Richtigkeit und Wichtigkeit man überzeugt ist, gehört zu den Glücksmomenten in der Politik. Achtung, Spoiler-Alarm: Dazu muss man manchmal zu einer weitverbreiteten Methode greifen. Man reicht einen Vorstoss oder einen Antrag nicht selbst ein, sondern gibt ihn jemandem aus einer anderen Partei. Diese Taktik wird eher von links angewendet, da unsere Anliegen oft allein deshalb reflexartig abgelehnt werden, weil sie von links kommen. Ein Absenderproblem eben. Aber auch Mitte-rechts muss manchmal so vorgehen, wenn es beispielsweise um Verschärfungen des Arbeitsrechts geht oder um Verbesserungen bei sozialen Anliegen. Natürlich bindet man das den Journalisten nicht auf die Nase. Obwohl man dabei andere mit falschen Federn schmückt. Das macht nichts. Im Gegenteil: Man freut sich still und leise, etwas bewirkt zu haben.
Anders sieht es aus, wenn sich Politiker selbst mit falschen Federn schmücken. Dann macht man die Faust im Sack und ärgert sich. Ich schliesse keinesfalls aus, dass mir das auch schon passiert ist. Nicht mit böser Absicht. Aber vielleicht liest man einen Expertenbericht, einen guten Artikel, führt ein Gespräch mit Politikerinnen, und bald einmal hat man das Gefühl, es sei die eigene Idee gewesen – und deshalb auch der eigene Erfolg. Oder die Medien, die eine Vorliebe für «starke Figuren» haben, dichten den Erfolg jemandem an. Beispielsweise wurde der Erfolg der SP beim Referendum gegen die Stempelabgabe mir allein zugeschrieben. Was Unsinn ist, denn sonst hätte die Vorlage in der Romandie nicht ein ähnlich gutes Resultat erzielt. Der Erfolg in der Politik hat fast immer mehrere Mütter und Väter.
Im Kontext der Energiewende ist das in letzter Zeit oft passiert. So hat die Fraktionschefin der Grünen in einem Interview behauptet, Bundesrätin Simonetta Sommaruga hätte keine Strategie. Sie untermauerte diese Aussage von den Journalisten unwidersprochen damit, dass die Grünen Frau Sommaruga sogar nachhelfen mussten mit der (übrigens sehr guten, unter Mitwirkung und der strategischen Erweiterung von SP-Nationalrat Roger Nordmann entstandenen) parlamentarischen Initiative des grünen Nationalrats Bastien Girod, die die notwendige Verlängerung der Investitionsbeiträge für alle Arten von Anlagen der erneuerbaren Energie verlangt. Nur – Achtung Spoiler-Alarm – die Initiative Girod war deckungsgleich mit dem sich in Vorbereitung befindlichen Mantelerlass von Frau Sommaruga und wurde in der parlamentarischen Bearbeitung eins zu eins mittels Copy/paste aus der Vernehmlassungsvorlage zum Energiegesetz umgesetzt.
Der Vorschlag für die Erhöhung derGrimsel-Staumauer wurde von Nordmann Kollege Rösti untergejubelt, um die Mehrheiten im Nationalrat abzusichern.
Ein anderes Anschauungsbeispiel ist die soeben in der Herbstsession verabschiedete dringliche «LexSolar». Der «Tages-Anzeiger» zeichnet in einem sehr spannenden Artikel den «Politkrimi aus dem Bundeshaus» nach. «In nicht einmal drei Wochen krempeln zwei Männer und eine Frau per Notgesetz die Schweizer Energiepolitik um», heisst es dort. Im Artikel wird höchst informativ die Geschichte erzählt, wie vor allem die Ständeräte Ruedi Noser (FDP) und Beat Rieder (Mitte) ein dringliches Gesetz für den alpinen Solarausbau eingebracht haben, Ständerätin Lisa Mazzone (Grüne) als Deal für die Zustimmung die Solarpflicht auf grossen Dächern aushandelte und Nationalrat Albert Rösti (SVP) noch dem Wasserkraftausbau mit der Erhöhung der Grimsel-Staumauer Schub gab.
An der Geschichte ist vermutlich nichts falsch, nur – Achtung, Spoiler-Alarm: Sie ist nicht ganz vollständig. Am 2. Juni 2022 – also Monate vor dem Beginn des «politischen Coups» – veröffentlichte die SP ein weitgehend unbeachtetes Positionspapier zur Versorgungssicherheit mit Gas und Strom mit 16 kurz- und mittelfristigen Massnahmen. Geschrieben von SP-Nationalrat Nordmann. Darin wird unter anderem konkret verlangt: 1. Ein dringliches Bundesgesetz für den schnellen Bau von 3 GW Photovoltaik in alpinen Hochlagen. 2. Solarpflicht auf grossen Dächern und Neubauten 3. Einführung eines «nationalen» Interesses für die 15 Wasserkraft-Projekte (Stausee-Erhöhungsprojekte) des runden Tisches. Voilà, alles da.
Am 30. Juni schickte Nordmann diese Vorschläge an den Präsidenten (FDP) der Energiekommission des Nationalrats. Die Vorschläge zog er dann zurück, als Noser nach der Sommerpause in der ständerätlichen Kommission aktiv wurde. (Einzig SP-«Energiepolitiker ausser Dienst», Peter Bodenmann, der im Tagi-Krimi auch prominent vorkommt, jubelte wegen der Nordmann-Vorschläge in seiner «Weltwoche»-Kolumne und ernannte ihn flugs zum Stromgeneral.)
Und – noch ein Spoiler-Alarm: Der Vorschlag für die Verankerung der Erhöhung der Grimsel-Staumauer kam aus der Verwaltung – und wurde von Nordmann umgehend Kollege Rösti untergejubelt, um die Mehrheiten im Nationalrat abzusichern. So ist die Sache mit den fremden Federn und dem Politleben zwischen Wahrheit und Dichtung.