Kolumne #Korrigendum: Von der Macht der Worte (Teil 2)
23. Oktober 2022Kolumne #Korrigendum
publiziert in der Sonntagszeitung 23.10.2022
https://www.tagesanzeiger.ch/von-der-macht-der-worte-teil-2-899643475311
Von der Macht der Worte (Teil 2)
Die FDP-nahe NZZ beklagt, dass die Bürgerlichen die Deutungsmacht an die Linken verloren hätten. Ich bekomme fast Mitleid.
«Schlägt das Imperium zurück?», fragte neulich ein NZZ-Journalist in einem Artikel. Er beschreibt, wie die «Elite» der FDP zunehmende Aktivitäten entwickelt, um gegen ihren selbst diagnostizierten «Verlust der Deutungsmacht» gegenüber der Linken vorzugehen. Schliesslich gehe «das Erfolgsmodell Schweiz» vor die Hunde. Auffällig sei, dass «Liberale wieder mehr Zeit und Geld für ihre Sache aufwenden, dass in letzter Zeit neue Stiftungen, neue Institute, neue Medien, neue Institutionen entstanden sind».
Als Beispiel nennt er die Bonny-Stiftung, die auf den langjährigen FDP-Nationalrat Jean-Pierre Bonny zurückgeht, der sich vor allem mit Subventionen für «Erneuerungsgebiete» hervorgetan hat. Im Stiftungsrat sitzen auch der einstige Economiesuisse- und FDP-Präsident Gerold Bührer sowie FDP-Mitglied Etienne Jornod, Präsident des NZZ-Verwaltungsrats.
Die Stiftung lancierte im vergangenen Jahr eine Beilage in der NZZ mit «Reformideen für die Schweiz». Weiter nennt er im Zusammenhang mit der EU-Frage Autonomiesuisse, einen Verbund von Unternehmern, und Kompass/Europa, die Formation des Milliardärs Fredy Gantner. «Leute aus diesem Milieu» finanzierten auch den «Nebelspalter» von FDP-Mitglied und Publizist Markus Somm, der das bürgerliche Lager täglich dazu aufruft, «am Narrativ zu arbeiten».
Weiter wird genannt das neu gegründete Luzerner Institut für Schweizer Wirtschaftspolitik des libertären Ex-NZZ-Feuilletonchefs René Scheu und des Ökonomieprofessors Christoph Schaltegger (getragen von der Stiftung Schweizer Wirtschaftspolitik, in deren Leitungsgremien unter anderem die Industriellen Schindler und Piper sitzen), dessen «unabhängige Wissenschaftlichkeit» man zumindest hinterfragen kann.
Angesichts des übermächtigen «FDP-Imperiums»
scheint die Frage, ob es «zurückschlagen»
müsse, etwas pitoyabel.
Und dann natürlich die PR-Agentur Farner: ehemals die Machtzentrale der Deutungshoheit für bürgerlich-liberale Politik der FDP und quasi Erfinderin der Public Relations in Form von Clubs und Kampagnen. Diese führte neulich eine Influencer-Ausbildung durch, an der der angeblich zur «FDP-Elite» gehörige Ökonomieprofessor Rainer Eichenberger dabei war. Das ist jener Eichenberger, der vor einigen Jahren unwidersprochen in der SRG-Sendung «10 vor 10» sagen durfte, als herauskam, dass 63 Personen mehr Vermögen haben als die halbe Weltbevölkerung zusammen: «Ja, das ist gut für die Weltwirtschaft.» Denn diese Multimilliardäre würden schliesslich sehr viel konsumieren. (So gehen Narrative: Da wird ja jedem sofort klar, dass 63 Personen mehr Schuhe kaufen als die 3,8 Milliarden Menschen zusammen.)
An der besagten Farner-Influencer-Veranstaltung meinte er: «Wieso ist Social Media zum Beispiel nicht voll mit: ‹Klimawandel ist gut, denn so gibt es weniger Kältetote›? Finden solche Gegen-Posts überhaupt statt?» Im Ökonomen-Ranking der NZZ belegt dieser Eichenberger den zweiten Platz. Ob trotz oder wegen solcher Aussagen, bleibt unklar.
Ich hätte ja schon fast Mitleid bekommen, hätte ich mir nicht die weiteren bestehenden Akteure des FDP-Machtkartells vergegenwärtigt. Zu nennen wären da Economiesuisse, die von einem FDP-Regierungsratskandidaten geführte Avenir Suisse oder die von FDP Ständerat Ruedi Noser gegründete SuccèSuisse. Und dann sind da noch die Medien, fast alle fest in FDP-Hand: Gebietsmonopolistinnen wie CH-Media und Somedia, deren Verleger Peter Wanner und Hanspeter Lebrument FDP-Mitglieder sind, das FDP-Parteiblatt NZZ und der mutmasslich der FDP nahestehende Verlagschef von Tamedia.
Die Schlacht um die Narrative gehört zum politischen Kerngeschäft aller Parteien. Und natürlich kann man anmerken, die SP habe ja schliesslich die Gewerkschaften und viele Nichtregierungsorganisationen an ihrer Seite. Angesichts des übermächtigen «FDP-Imperiums» scheint die Frage, ob es «zurückschlagen» müsse, etwas pitoyabel. Die Sozialdemokratie mit der Schlagkraft der Yedi-Ritter auszustatten, ehrt uns natürlich. Angesichts der Übermacht des Darth-Vader-Imperiums ist es doch naheliegender, dass sich die SP im Sternenkrieg um die Deutungshoheit eher im Kampf von David gegen Goliath befindet.
Wie es um das Narrativ des «Erfolgsmodells Schweiz» steht und was der berühmte englische Ökonom John Maynard Keynes damit zu tun hat, folgt im Teil 3 dieser Kolumne. Nur so viel dazu: Vielleicht verhält es sich mit der Deutungshoheit über die Narrative zwischen FDP und SP so wie beim Verhältnis der USA zu England. Denn wie sagte der Brite Keynes so schön zu einem Freund, als er im Begriff war, die Bretton-Woods-Institutionen (Weltbank und Internationaler Währungsfonds) zu gründen, und dafür die Amerikaner brauchte: «They have the moneybags, we have the brains.»