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Kolumne #Korrigendum: BVG-Reform – Knorz statt Problemlösung

Kolumne #Korrigendum –
publiziert in der Sonntagszeitung 18.8.2024

https://www.tagesanzeiger.ch/bvg-reform-knorz-statt-problemloesung-377902066903

Knorz statt Problemlösung

 

«Wir haben Reformbedarf im BVG. Aber nicht so.»

Peng! Die 13. AHV-Rente soll also durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer finanziert werden. So der Bundesrat. Komplett entgegen den Antworten in der Vernehmlassung, die eine Lohnbeitragserhöhung oder eine Mischform wollten. Wieso erstaunt mich das nicht wirklich? Seit Jahrzehnten wird der AHV eine Lohnbeitragserhöhung verwehrt [ausser in der letzten grossen Steuerreform (STAF), womit sich Mitte-rechts die Zustimmung der Linken zu neuen Steuerprivilegien ans Kapital erkaufte].

An jedem Lohnbeitragsfranken, der in die AHV fliesst, verdienen 92 Prozent der Beitragszahlenden, weil sie mehr AHV bekommen als sie je einbezahlt haben. Nur die 8 Prozent Höchstverdienenden sind Nettozahler. Mitte-rechts mag diese starke Umverteilung von oben nach unten nicht ausstehen, obwohl das gerade die Pointe an der AHV ist. Denn die Lohnbeiträge sind für die Pensionskassen (fürs BVG) reserviert, weil an jedem Lohnfranken, der dorthin fliesst, drei Personenkreise verdienen: die Privatassekuranz, die Finanzwirtschaft und die Gutverdienenden.

Die Versicherungsgesellschaften dürfen nämlich gesetzlich garantiert (!) bis zu 10 Prozent der Bruttoerträge (nicht Nettoerträge) des Pensionskassengeschäfts als Gewinn einbehalten. Das nennt man «Legal Quote» – ein typischer Trick in der Politik, Dinge so zu benennen, dass sie niemand versteht. So erzielen die Pensionskassen über 8 Milliarden Franken reine Gewinne, die wir alle mit unseren Beiträgen finanzieren. Würde wenigsten das Nettoprinzip (also unter Abzug der Kosten) angewandt, wären die Gewinne nur gut 2 Milliarden Franken. Jeglicher Versuch, als Reformelemente die Nettomethode anzuwenden oder die Quote zu senken, ist im Parlament gescheitert.

Die Finanzwirtschaft hat unsere Vermögensverwaltungskosten, an denen sie wacker verdient, in den letzten zehn Jahren von 3,5 Milliarden Franken auf gut 7 Milliarden Franken mehr als verdoppelt. Die Journalisten Daniel Schlumpf und Mario Nottaris schätzen die Kosten in ihrem Buch «Das Rentendebakel» unter Zuzug verdeckter Gebühren die Kosten gar auf 20 Milliarden. Jeglicher Versuch, diese Kosten korrekt zu bemessen oder gar zu senken (z. B. Kosten für Broker), wurde im Parlament abgeschmettert.

Eine dysfunktionale Fehlkonstruktion

Zuletzt ist das BVG auch ein Konstrukt, das vor allem für Gutverdienende gebaut ist, nicht nur steuerlich. 40 Prozent der Pensionskassenrenten fliessen an das reichste Fünftel und nicht einmal 2 Prozent an das ärmste Fünftel der Rentnerinnen. Zwar wird durch die (richtigerweise) proportionale Gestaltung des Koordinationsabzugs in der BVG-Reform dieser Systemfehler etwas korrigiert und die Situation für Teilzeitbeschäftigte und Geringverdienende vermeintlich verbessert, weil sich der versicherte Lohn so erhöht. Aber trotzdem bekommen genau diese Personen tiefere Renten und zahlen dafür erst noch mehr.

Tatsache ist, dass wir 66 Milliarden Franken an Lohnbeiträgen ins BVG schieben, jetzt sollen 2,1 Milliarden dazukommen. (Zum Vergleich: In die AHV schieben wir nur 35 Milliarden Franken Lohnbeiträge, plus 13 Milliarden Franken aus Staatskasse und Mehrwertsteuer). Aus diesen gigantischen Summen, die wir Jahr für Jahr an die Pensionskassen zahlen, erhalten wir eine mittlere Rente von 1700 Franken. (Zum Vergleich: Aus der AHV beträgt die mittlere Rente 1800 Franken.) Und jetzt fragen Sie sich, wohin denn dieses viele Geld fliesst? Wie gesagt: Zur Versicherungs- und Finanzwirtschaft, zu den Bestverdienenden.

Wir haben Reformbedarf im BVG. Aber nicht, «weil wir immer älter werden». Die Reserven der Pensionskassen für das Alterungsrisiko sind mit über 110 Milliarden Franken gut gefüllt. Wir haben kaum Reformbedarf im BVG, weil die Jungen für die Alten mitzahlen. Seit 2023 zahlen im Gegenteil die Rentenbeziehenden für die Aktivgeneration im BVG. Wir haben Reformbedarf, weil das BVG in vielen Bereichen eine dysfunktionale Fehlkonstruktion ist und dazu noch ein Selbstbedienungsladen der Versicherungs- und der Finanzwirtschaft.

Damit wir das BVG, also die zweite Säule, so reformieren und zu dem umbauen können, wofür es ursprünglich gedacht war, nämlich ein Zwangssparsystem für Menschen, die von allein nicht an Aktien- und Obligationenmärkten teilhaben können, müssen wir klipp und klar Nein sagen zu diesem vorliegenden Geknorze, das nicht einmal die vordergründigsten Probleme löst.

Bundesbern muss dringend gesagt werden, dass das so nicht mehr akzeptiert wird.