Kolumne #Korrigendum: Biodiversitätsinitiative – Gegnerschaft mit Extremismus der besonderen Art
1. September 2024Publiziert in der Sonntagszeitung am 1.9.2024
Kolumne: Badrans #KorrigendumExtremismus der besonderen Art
Nicht die Biodiversitätsinitiative ist extrem, sondern untätig zu bleiben.
Extrem sei sie, die Biodiversitätsinitiative. Und sie würde die Ernährungssicherheit gefährden. Wie ist es möglich, dass die Gegner der Initiative die Tatsachen in ihr Gegenteil verkehren können?
Das erste Mal wurde ich während meines Biologiestudiums in den 80er-Jahren mit der Bedrohung durch rasant abnehmende Biodiversität konfrontiert. Angesichts der krassen Abholzungsgeschwindigkeit des tropischen Regenwalds war es ein Muss, den Biodiversitätspapst, Harvard-Professor E. O. Wilson, zu lesen. Seither hat sich ein wissenschaftlicher Konsens etabliert: Der menschengemachte Artenschwund ist neben der Klimaerhitzung das mit Abstand grösste Problem unserer Zeit. Seither sind Millionen Tier- und Pflanzenarten ausgestorben. Geschätzt wird, dass 150 Arten aussterben – pro Tag! (Etwa 50 Arten werden neu entdeckt oder entstehen). Das ist extrem irreversibel.
Bei uns in der Schweiz ist ein Drittel aller Tier- und Pflanzenarten gefährdet oder bereits ausgestorben. Das ist extrem lebensbedrohlich. Denn nur Ökosysteme mit Artenvielfalt sorgen für fruchtbare Böden, Filterkapazitäten für sauberes Wasser und unbelastete Nahrungsmittel. Das bedeutet auch, dass Artenvielfalt geradezu die Voraussetzung ist für Ernährungssicherheit und nicht deren Bedrohung, wie von den Initiativgegnern behauptet wird. Ohne Bienen, denen es sehr schlecht geht, keine Obstkulturen. Um nur das offensichtlichste Beispiel zu nennen.
Die breit abgestützte Biodiversitätsinitiative ist fast schon zu moderat, fordert sie doch lediglich mehr Flächen, Mittel und Instrumente für eine Trendumkehr. Dass dies möglich ist, beweist die Revitalisierungen der Gewässer, die zu einer Erholung der Amphibien- und Libellenvielfalt führte.
Dass die Initianten recht haben mit ihrem Anliegen, wurde einmal mehr 2021 im Biodiversitätsbericht bestätigt. Darin wurde festgehalten, dass der Schutz in 75 Prozent der «Biotope von nationaler Bedeutung» ungenügend sei. Das veranlasste den Bundesrat dazu, einen indirekten Gegenvorschlag auszuarbeiten. Diesen hat der Nationalrat in jahrelanger Parlamentsarbeit abgeschwächt und konkretisiert. Ganze zwei Gegenvorschläge des Nationalrats hat der Ständerat unter Federführung der Bauernlobby abgewürgt. Ein zweiter Gegenvorschlag sah eine totale Ausklammerung von Massnahmen innerhalb der Landwirtschaft vor. Nur noch der Siedlungsraum wäre betroffen gewesen. (Daraufhin wurden die aufgestockten Gelder für den Artenschutz wieder gestrichen.) Das abzulehnen, ist das extreme Gegenteil von problemlösungsorientiert.
Extrem ist es, das Megaproblem zu ignorieren.
Parallel dazu hat Mitte-rechts die während der Trinkwasser- und Pestizid-Initiativen hoch und heilig versprochene Ausweitung der Biodiversitätsflächen in Ackerflächen um 3,5 Prozent zuerst verschoben, dann sistiert – und kürzlich ganz abgeschossen. Das ist extrem unredlich.
Gleich steht es um die biodiversitätsschädigenden Subventionen. Die Eidgenössische Forschungsanstalt WSL fand in einer Studie 160 direkte und indirekte Subventionen, die für die Artenvielfalt schädlich sind, in Höhe von insgesamt 40 Milliarden Franken. Die Bereitschaft von Mitte-rechts, auch nur eine einzige dieser Subventionen zu streichen, ist gleich null.
Extrem ist die dramatische Situation des Artenschwunds. Extrem ist es, das Megaproblem zu ignorieren und nichts zu tun, sondern im Gegenteil, noch einfacher noch mehr Artenvielfalt zerstörende Pestizide zuzulassen, wie die Mitte-rechts-Mehrheit der Wirtschaftskommission vor zwei Wochen beschlossen hat.
Wenn die Mitte-rechts-Mehrheit dermassen herumwütet und sich als unfähig erweist, Probleme zu lösen, läge es an den Medien, dies den Menschen aufzuzeigen. Allein schon deshalb, damit sich die Stimmbevölkerung vor Abstimmungen eine eigene Meinung bilden kann. Stattdessen werden wir mit unsinnigen Meinungsbeiträgen abgefüttert wie letzthin in der «NZZ am Sonntag», wo Naturschutz in die sozialromantische Ecke gestellt und gefragt wurde, welche «Natur» wir eigentlich erhalten möchten. Möchten? Wie wenn der Schutz unserer Lebensgrundlagen ein freiwilliger Akt wäre und nicht ein Imperativ.
Wenn die Mitte-rechts-Mehrheit im Parlament nicht mal den mildesten Kompromiss umsetzen will, ist es extrem wichtig, dass die Bevölkerung diese Form von Extremismus korrigiert.