Kolumne #Korrigendum – Milliarden für die Autobahn: Vorwärts in die Vergangenheit
13. Oktober 2024Milliarden für die Autobahn: Vorwärts in die Vergangenheit
Die autofixierte Oldschool-Politik verhindert den glasklaren Weg in die Zukunft mit intelligenten Mobilitäts- und Siedlungslösungen.

In den Fünfziger- und Sechzigerjahren feierte die Sozialdemokratie das Auto regelrecht ab. Jedem seinen Kühlschrank, sein Häuschen, sein Auto: Dieser Leitsatz begleitete die Hochlohnpolitik, die zum Aufstieg einer kaufkräftigen Mittelschicht führte. Das Auto wurde zum Symbol für die Befreiung der Arbeiterschaft.
Fortan konnten die Lohnabhängigen einfacher die Arbeitsstelle wechseln, weil sie nun mobil waren. Diese neue Mobilität erlöste Angestellte auch vom Zwang, in der Nähe ihrer Arbeitsplätze wohnen zu müssen. Man baute Einfamilienhäuser, also reine Wohn- und Schlafstätten in den Agglomerationen, dann kamen die Einkaufszentren. Letztlich verband man dies alles durch Strassen und Autobahnen mit den Arbeitsorten. In vielen Städten wurden die Häuser in den historischen Zentren aufgekauft – mit dem Ziel, diese abzureissen und die Autobahnen mitten in die Städte zu führen.
Ölkrise in den 70er-Jahren dämpft Autoeuphorie
Die Medien feierten mit der Bevölkerung jede Einweihung eines Autobahnabschnitts, jede Einführung eines neuen Autotyps war ein Grossanlass. Auto und Autobahn wurden zu Sinnbildern des Fortschritts. Spazierfahrten mit dem Auto statt Wandern wurde zur weitverbreiteten Sonntagsbeschäftigung, was den Namen «Sonntagsfahrer» hervorbrachte.
Erst die Ölkrise in den 70er-Jahren dämpfte die Euphorie. An den autofreien Sonntagen gingen wir auf den Autobahnen picknicken, Rollschuh laufen und spazierten über die mehrspurigen Nationalstrassen. Das war grossartig. Und es führte zu einem Umdenken. Plötzlich ging es nicht mehr darum, die Arbeiterschaft zu befreien, sondern die Volkswirtschaft von der Ölabhängigkeit der arabischen Opec-Staaten.
Unterdessen hatte die enorm starke Autoindustrie das Auto aber als Lifestyleprodukt und Statussymbol etabliert. Und die Medien lebten ein gutes Stück von Inseraten der Autoindustrie.
Gefährlich, schädlich und unglaublich teuer
Aber auch die Wissenschaft hat nicht geschlafen und das Auto als das enttarnt, was es ist: das in jeder Beziehung ineffizienteste Verkehrsmittel. Es ist mit Abstand der grösste Platzfresser; es ist für das Individuum und die Volkswirtschaft am teuersten, mit riesigen negativen externen Effekten. Was Energieverschleiss und Umweltschäden angeht, belegt das Auto Platz eins: Lärm, Klimaschäden, Feinstaub, bodennahes Ozon, 20’000 Tonnen Reifenabrieb pro Jahr (Hauptquelle für Mikroplastik in unserer Umwelt) – um nur einige zu nennen. Das Auto hat dabei einen Wirkungsgrad pro transportierter Person von lächerlichen 3 bis 4 Prozenten, steht 95 Prozent der Zeit unproduktiv herum und kostet dabei noch. Kein Unternehmer, der bei Trost ist, würde sich je eine solch bizarr ineffiziente Maschine zulegen.
Die Gesellschaft spaltete sich in diejenigen, die das Auto über alle Massen verherrlichten, und die, die es verteufelten. Exemplarisch dafür steht der Kampf gegen die 1955 lancierte Idee des Zürcher Expressstrassen-Y; ein Bauwerk, das die Autobahnen hätte verbinden sollen, indem es den Fern- und Agglomerationsverkehr mitten in der Stadt aufgenommen hätte. Mehrere Volksinitiativen dagegen wurden in den Siebzigerjahren abgelehnt. Erst letztes Jahr wurde diese absurde Planungsleiche vom Parlament aus dem Netzbeschluss gestrichen.
Es gäbe so viel Schlaueres zu realisieren
Das Beispiel zeigt exemplarisch, wie unfassbar dumm der jetzt geplante Milliarden-Autobahnausbau ist. Wenn die Autobahnen ausgebaut werden, die Flaschenhälse in den Städten aber naturgemäss bleiben, staut sich der Verkehr eben vierspurig statt zweispurig vor den Städten. Wieso in aller Welt sollte man 5 Milliarden Franken in die Infrastruktur für diese dumme Maschine Auto stecken, ohne ein einziges Stauproblem zu lösen?
Dermassen autofixierte Politik ist so was von «old school». Dieses «Vorwärts in die Vergangenheit» bedeutet, dass der Investitionsfranken für die Zukunft fehlt. Dabei gäbe es in Zukunft so viel Schlaueres zu realisieren: die Dezentralisierung der Arbeitsplätze, der Bau «moderner Altstädte», in denen man wohnt, arbeitet, einkauft und seine Freizeit gestaltet. Die Lastwagen weg von der Autobahn, also den Güterverkehr auf die Schiene und unter die Erde bringen, Schnellstrassen für Velos bauen, hochfrequente Sammeltaxidienste anbieten, Bestellbusse in den Dörfern, Pilotprojekte für intelligentes Staumanagement. Und und und. Also alles, was die Wissenschaft und Verkehrsexperten seit Jahrzehnten entwickeln und vorschlagen.
Wir können diesen glasklaren Weg in die Zukunft noch länger verzögern. Das kommt uns aber sehr teuer zu stehen – und löst kein einziges Problem.
An alle Handwerksleute und sonstigen Menschen, die auf das Auto angewiesen sind: Mehr Autobahn bringt euch definitiv nicht weniger Stau, sondern weniger Autobenutzende, also alle, die auf klügere Infrastrukturen umsteigen.