Streitgespräch zu den Mietrechts-Vorlagen: Es ist so hinterlistig
21. Oktober 2024«Niemand verliert sein Zuhause» – «Du bist so listig»
Soll das Untervermieten erschwert werden und das Kündigen bei Eigenbedarf erleichtert? Hauseigentümer-Präsident Gregor Rutz ist dafür, Mieterverbands-Vorständin Jacqueline Badran dagegen. Ihr Aufeinandertreffen ist heftig.
Gleich zweimal stimmt das Schweizer Stimmvolk am 24. November übers Mietrecht ab: Zum einen wollen die Bürgerlichen die Hürden für das Untervermieten von Wohnungen erhöhen. Zum anderen wollen sie Kündigungen aufgrund von Eigenbedarf erleichtern. (Hier erfahren Sie alles Wichtige zu den Vorlagen)
Angeführt werden die Befürworter von SVP-Nationalrat Gregor Rutz, der den Hauseigentümerverband präsidiert. Eine seiner prominentesten Gegnerinnen ist Jacqueline Badran, SP-Nationalrätin und Vorstandsmitglied des Mieterverbands. Dieser hat gegen die Beschlüsse des Parlaments das Referendum ergriffen.
Frau Badran, Sie bezeichnen die beiden Mietvorlagen als einen «Frontalangriff der Immobilienlobby auf den Kündigungsschutz». Warum so heftig?
Badran: Weil es das ist. Es gibt keinen Handlungsbedarf im Mietrecht. Doch die Vermieter wollen leichter Kündigungen aussprechen können. Jedes Mal, wenn sie eine Wohnung neu vermieten, können sie mit der Miete hochgehen. Dass dies gesetzeswidrig ist, ist ihnen egal.
Herr Rutz, ist dies das Ziel der Übung?
Badran: Komm, gibs zu!
Rutz: Wir stimmen über zwei Vorstösse ab, die eine überblickbare Tragweite haben. Ich habe mich gewundert, dass der Mieterverband überhaupt das Referendum ergriffen hat.
Badran: … das hättet ihr gerne durchgeschmuggelt, gäll …
Rutz: Wir wollen Präzisierungen im Recht vornehmen, die für alle hilfreich sind. Nicht nur die Vermieter, auch die Mieter und Untermieter profitieren. Wir sollten die Diskussion sachlich und entspannt führen. (Badran lacht)
Erklären Sie uns bitte, auf welchem Weg auch Mieter und Untermieter profitieren.
Rutz: Die Untermiete führt beispielsweise wegen der Vermietung auf Airbnb immer wieder zu Problemen. Ständig neue Personen im Treppenhaus und deren Lärm belasten die Nachbarn. Es ist zudem nicht in Ordnung, wenn Mieter so auf Kosten der Vermieter überhöhte Profite herausschlagen.
Badran: (lacht noch viel lauter) Grossartig, Gregor! Es gibt keine Evidenz, dass über Untermiete viele Airbnb-Vermietungen stattfinden. Stattdessen sind die Wohnungsbesitzer selbst für den grossen Teil des Airbnb-Angebots verantwortlich.
Rutz: Falsch. Bei der klassischen Untermiete kennen die Untermieter heute meist die zugrunde liegenden Mietverhältnisse nicht. Sie zahlen oft mehr, als sie eigentlich müssten. Wenn neu schriftlich das Einverständnis der Vermieter vorliegen muss, wird solchen Missbräuchen ein Riegel geschoben.
Badran: Was die Befürworter dieser Vorlage hier angeblich verhindern wollen, ist heute schon verboten. Nur darf die Information des Vermieters heute auch mündlich oder per E-Mail erfolgen. Neu bräuchte es dazu die physische Unterschrift des Mieters. Wer versäumt, diese auf dem korrekten Weg einzuholen, kann innert eines Monats rausgeworfen werden. Das ist die gleiche Strafe, wie wenn man die Miete nicht bezahlt oder mit der Wohnung nicht sorgfältig umgeht.
Eine ausserordentliche Kündigung wegen eines Formfehlers. Ist das fair, Herr Rutz?
Rutz: Jacqueline Badran übertreibt wieder einmal masslos. Spätestens, wenn ein Mieter seinen Vermieter mündlich informiert, teilt dieser ihm mit, dass er eine Bestätigung mit physischer Unterschrift einholen muss. Wenn aber jemand seinen Vermieter gar nicht fragt, ist das bereits heute nicht in Ordnung. Niemand verliert sein Zuhause, wenn er nicht betrügen will.
Badran: Du bist so listig. Mit diesen Vorschlägen bestraft ihr die 99 Prozent anständigen Mieter. Was nämlich noch dazukommt: Die Vermieter dürften neu eine Untermiete ablehnen, wenn diese mehr als zwei Jahre dauern soll. Eine alte Frau, deren Mann gestorben ist und die einen Studenten aufnehmen will, könnte das oft nicht mehr tun. WGs, die ebenfalls über Untermietverträge organisiert sind, könnten verunmöglicht werden. Die Hauptmieter müssten dann kündigen, weil sie sich die Miete nicht mehr leisten können.
Rutz: Längere Untermieten werden mit dieser Gesetzesänderung nicht ausgeschlossen. Der Vermieter kann sie nach wie vor zulassen. Und die meisten Vermieter sind an langfristigen, stabilen Mietverhältnissen interessiert.
Badran: Wieso habt ihr die zwei Jahre denn ins Gesetz geschrieben?
Rutz: Hast du eigentlich das Gefühl, der Vermieter will jedes Jahr einen Mieterwechsel organisieren?
Badran: Die Vermieter wollen die Option haben, eine WG rauszuschmeissen, wenn sie ein lustiges Expat-Pärchen mit Porsche gefunden haben, das den hohen Mietzins zu zahlen bereit ist. Hunderttausende WGs würden künftig von der Gnade der Vermieter abhängen.
Nebst den Verschärfungen bei der Untermiete will das Parlament auch das Kündigen bei Eigenbedarf erleichtern. Heute ist dafür ein «dringender Eigenbedarf» nötig, künftig soll ein «bei objektiver Beurteilung bedeutender und aktueller Eigenbedarf» reichen. Was bringt das, Herr Rutz?
Rutz: Bei den wenigen Fällen, wo diese Änderung eine Rolle spielen würde, sind die Probleme heute gravierend: Wenn ein Gewerbebetrieb eine neue Liegenschaft erwirbt, um ein grösseres Volumen verarbeiten zu können, kann er diese Liegenschaft heute allenfalls etliche Zeit nicht selbst nutzen. Der Begriff «dringend» wird in der Rechtssprechung zu restriktiv ausgelegt.
Warum?
Rutz: «Dringend» impliziert einen Notfall. Wir wollen jedoch, dass jemand sein Eigentum für sich nutzen kann, wenn es bereits einen guten Grund gibt. Es geht hier um den Schutz des Privateigentums und damit um mehr Rechtssicherheit.
Badran: Alles falsch. Wenn man erstens mehr Rechtssicherheit will, führt man keinen völlig neuen Rechtsbegriff ein. Schliesslich hat man damit noch keine Erfahrung vor Gericht. Zweitens ist der Eigenbedarf an sich nicht umstritten – auch nicht durch den Mieterverband.
Wo ist denn Ihrer Ansicht nach das Problem bei dieser Vorlage, Frau Badran?
Badran: KMU haben oft befristete, unkündbare Verträge. Der Grund ist, dass sie oft für den Ausbau der Räume investieren müssen und Zeit brauchen, um die Investition zu amortisieren. Diese Gesetzesänderung würde diese Garantie kippen, wenn die Liegenschaft verkauft wird.
Rutz: Die Abläufe bleiben gleich, die Fristen bleiben gleich. Das Einzige, was sich ändert, sind die Begrifflichkeiten.
Badran: Die Immobilienlobby verfolgt seit Jahren den Weg, über viele Mieterwechsel die Mieten unerlaubterweise zu erhöhen. Pro Jahr zahlen die Mieter darum 10 Milliarden Franken zu viel.
Rutz: Das sind alles Behauptungen. Das Hauptproblem auf dem Wohnungsmarkt sind die hohe Nachfrage und das tiefe Angebot. Darum steigen die Preise. Die hohe Nachfrage haben wir wegen der Zuwanderung. Das Angebot ist wegen der vielen Einschränkungen limitiert, die das Bauen erschweren. In der Stadt Zürich stehen 75 Prozent der Siedlungsfläche in irgendeiner Form unter Schutz. Die Linken verhindern den Abbau dieser Hürden jedoch.
Badran: Deine Theorie stimmt nicht. Vor der Zinswende der letzten Jahre wurden lange mehr Wohnungen gebaut, als Menschen zugewandert sind. Die Mieten sind trotzdem gestiegen.
«Es gibt sehr anständige Vermieter, aber die sterben leider aus.»
Es sind Wohnungen entstanden, wo kaum Nachfrage bestand. Die Situation in den Zentren hat sich damals schon zugespitzt.
Badran: Entscheidend ist Folgendes: In der Verfassung und im Gesetz sind bei uns eine Kostenmiete plus ein Renditedeckel festgeschrieben, also keine Marktmiete, auch in den Städten nicht. Das heisst, dass Angebot und Nachfrage eben nicht bestimmend sein dürften. In der Realität haben die Vermieter das trotzdem eingeführt, ohne einen Buchstaben im Gesetz zu ändern. Bei jedem Mieterwechsel gehen sie 500 oder 1000 Franken hoch.
Das könnte man ja anfechten.
Badran: Aber viele Leute wissen nicht, dass solche Erhöhungen illegal sind. Und wenn sie es wissen, sind sie komplett überfordert. Sie haben ja nach Mietantritt nur einen Monat Zeit, um Beschwerde einzureichen. In dieser Zeit stehen überall noch Zügelkisten rum. Und es ist ihnen oft sehr unangenehm, gegen jene Partei vorzugehen, mit der sie gerade erst einen Vertrag unterschrieben haben.
Rutz: Könnt ihr vom Mieterverband den Leuten denn nicht helfen?
Badran: All diese Gründe haben zur Folge, dass nur 0,2 Prozent aller Anfangsmieten angefochten werden. Aber 100 Prozent aller Anfechtungen haben Erfolg.
Rutz: Jacqueline, ich verstehe nicht, warum du immer davon ausgehst, dass da Spannungen und Streit sind. Dass die Vermieter per se die Mieter über den Tisch ziehen wollen.
Badran: Es gibt keinen Generalverdacht, dass alle bös sind. Wenn der Schreinermeister Rüdisüli ein paar Wohnungen oberhalb des Geschäfts vermietet, ist das kein Problem. Es gibt sehr anständige Vermieter, aber die sterben leider aus. Das Problem sind die Investmentfirmen und die institutionellen Investoren.
Rutz: Hoffentlich können wir uns darauf einigen: Wir brauchen Investoren, die bauen, damit es Wohnraum gibt. Wenn die nicht bauen, gibt es keinen Wohnraum. Dann bist du nicht mehr im Vorstand des Mieterverbands, sondern eines Obdachlosenvereins. Weil das keiner will, brauchen die Investoren Rechtssicherheit und eine gewisse Rendite. Das sind Berufsleute, nicht Wohltäter.
Aber das ist doch in der Schweiz alles gegeben.
Rutz: Richtig. Das Problem ist, dass es teilweise so viele Auflagen gibt, dass Bauen nicht mehr möglich ist.
Badran (winkt mit ausgestreckten Armen vor Rutz’ Gesicht): Dann ändert es doch. Ihr habt überall die nötigen Mehrheiten. Himmel noch mal …
Rutz: Heute sind ganze Strassenzüge und Quartiere unter Schutz, weil sie in ihrem Charakter nicht verändert werden dürfen. Wie willst du da verdichten?
«Es macht mir Bauchweh, dass wir ein Volk von Mietern sind.»
Zurück zu den Abstimmungsvorlagen: Wird da nicht sehr viel Aufhebens wegen juristischer Spitzfindigkeiten gemacht?
Badran: Das sind keine Spitzfindigkeiten, das hat massive Auswirkungen. Die Erhebung kleiner Fehler zu einem ausserordentlichen Kündigungsgrund und die Beschränkung auf zwei Jahre werden zu vielen Kündigungen führen. Beim Eigenbedarf ist es das Gleiche.
Rutz: Es sind für mich auch keine Spitzfindigkeiten, sondern punktuelle, wichtige Anpassungen.
Badran: Es geht hier um das grösste volkswirtschaftliche Gut der Schweiz, nämlich 4,4 Billionen Franken an Bodenwert, auf die die Eigner eine Rendite wollen. Glauben Sie, die schreiben das Gesetz um, weil sie Lust auf juristische Spitzfindigkeiten haben? Glauben Sie, dass wir uns wehren, weil wir so viel Freude an Referenden und Unterschriftensammlungen haben? Nein!
Sechs von zehn Schweizerinnen und Schweizern wohnen zur Miete. Warum sollten sie diesen Vorlagen zustimmen, Herr Rutz?
Rutz: Es sind vernünftige Änderungen, darum ist das Rennen offen. Aber es macht mir Bauchweh, dass wir ein Volk von Mietern sind. Ich wünsche mir, dass es auch für eine mittelständische Familie möglich ist, Wohneigentum zu kaufen.
Badran: Da sind wir uns ausnahmsweise einig.