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Finanzplatz Hunger

Der globale Finanzplatz trägt Mitschuld an der Preisexplosion für Nahrungsmittel und somit an der beschämenden Tatsache, dass der Hunger auf der Welt dramatisch zunimmt – ein nicht hinnehmbarer Dauer-Skandal.

Es ist eine schier unerträgliche Schande: Alle 5 Sekunden stirbt ein Kind unter 10 Jahren an Hunger, 18’000 Kinder täglich. 850 Millionen Menschen sind klinisch unterernährt. 75 Millionen Menschen können sich nicht selber ernähren und hängen ausschliesslich von der humanitären Hilfe des World- Food-Programms ab. Das ist die sich täglich abspielende Tragödie, die wir kaum mehr wahrnehmen und die kaum eine Medienmeldung wert ist.

Nun sind auch noch die Preise für Grundnahrungsmittel explodiert. Allein der Preis von Reis – Hauptnahrungsmittel für Milliarden von Menschen – hat sich im letzten Jahr verdoppelt. Für Menschen, die 80% ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben müssen, kommt dies einem Todesurteil gleich. Mit jedem Prozent Preissteigerung der Lebensmittel sind 18 Millionen Menschen mehr vom Hungertod bedroht, schätzt die Welternährungsorganisation. Kein Wunder empfangen wir Bilder von Revolten in Haiti, Mali, Mexiko. Allein in Haiti haben 6 von 9 Millionen Menschen keinen Zugang zum Nahrungsmittelmarkt mehr.

Die, die sich noch betroffen fühlen von solchen Meldungen, fragen sich hilflos wie so etwas möglich ist. Weshalb steigen die Preise so drastisch? Haben wir nicht genug Nahrung auf der Welt, so dass alle satt werden können? Wir könnten bei bestehender Anbaufläche sogar fast doppelt so viele Menschen ernähren wie zur Zeit auf unserer Erde leben. Und trotzdem verhungern Millionen von Menschen. Dies ist schreiend ungerecht denken wir und fühlen uns angewidert und unangenehm ohnmächtig.

Wir schauen Hilfe suchend auf die internationale Gemeinschaft: Weltbank, Internationaler Währungsfonds, UNO-Welternährungsprogramm – alle haben sich seit Jahrzehnten auf die Fahne geschrieben, Armut und Hunger auf der Welt zu bekämpfen. Die Gründe für Hunger auf der Welt sind komplex und die supranationale Steuerungsfähigkeit marginal. Deshalb passiert Jahrzehnt für Jahrzehnt eigentlich nichts, keine Entschuldung, keine Kürzung der 350 Milliarden Agrar-Exportsubventionen der EU, damit Drittwelt-Länder eine Chance bekommen, konkurrenzfähig zu sein. Nichts passiert.

Für die aktuelle Preisexplosion gibt es verschiedene Gründe: schlechte Ernten, gestiegene Preise für Dünger und Energie, Lagerhortungen und Exportzölle als Folge, die Veränderung der Konsumgewohnheiten in den Schwellenländern hin zu mehr Fleischkonsum (bereits die Hälfte der weltweiten Nahrungsproduktion wird für Tierfutter verwendet), sowie die Verlagerung der Verwendung von Nahrungsmitteln für Agrar-Triebstoffe, die hoch subventioniert wird. So wird zum Beispiel ein Drittel des Mais in den USA für Bio-Ethanol verwendet; 13 Prozent der Agrarproduktion in Brasilien wird für Agrar-Triebstoffe verwendet.

Zu dieser neuen Dimension kommt ein weiterer Aspekt: Die Finanz-Akteure haben seit dem Börsencrash im Jahr 2000 den Agrarmarkt entdeckt. Gemäss Weltbank ist rund 30% der Preisexplosion für Reis und Getreide auf Spekulationen an der «Chicago Mercantile Exchange» (CME, Agrar-Rohstoff Börse in Chicago) zurückzuführen.
Seit dem Jahr 2000 hat sich das gehandelte Volumen (gemessen am Wert) verachtfacht. Das ist gigantisch. Dabei werden vor allem «Futures» gehandelt. Vereinfacht gesagt sind dies Kontrakte, die den Käufer berechtigen, zu einem fixierten Zeitpunkt in der Zukunft für einen bestimmten Preis ein bestimmtes Produkt (z.B. 100 Tonnen Weizen) zu kaufen. Für diesen Vertrag zahlt der Käufer einen festgelegten Preis – eine Art Versicherungsprämie. Dies macht Sinn, zum Beispiel für einen grossen Mehlproduzenten. Dieser kann sich so gegen stark schwankende Preise absichern und besser kalkulieren. (Diese Logik gilt übrigens auch für andere Optionen, wie zum Beispiel Öl oder auch Aktien). Neuartig ist aber, dass nicht nur richtige Agrarmarkt-Teilnehmer wie Verarbeiter, Händler, Produzenten etc. an dieser Börse handeln, sondern auch reine Finanzakteure wie «Hedge-Funds» oder institutionelle Anleger. Deren Interesse liegt nicht in einem Absicherungsgeschäft, sondern in spekulativem Gewinn. Verschärfend wirkt, dass dafür viel Fremdkapital genutzt wird. Nach der US-Immobilienkrise ist noch mehr Geld in die CME geflossen. Die Preisschwankungen eines Jahres, z.B.zwischen 2005 und 2006, waren gleich gross wie zur Zeit während einer Woche!

Es ist ein Elend anzusehen, wie einige wenige Leute durch blosse Spekulation und ohne volkswirtschaftliche Wertschöpfung reicher und reicher werden und währenddessen viele Millionen Menschen zu Schaden kommen und zwar bis zum Hungertod. Jean Ziegler nennt dies Mord. Da ist ihm ohne Wenn und Aber beizupflichten.

Ist wirklich alles möglich, gibt es keine Grenzen mehr? Appelle an das eigenverantwortliche ethische Handeln sind in solchen Zusammenhängen nur noch zynisch. Wes Geist ist denn dieses Geld? Pure Gier und blanke Unverantwortlichkeit. Der Glaube an die Selbstregulierung der Märkte ist ignorant und dumm. Eigentlich ist eine Lösung in diesem Fall sehr einfach: solche Geschäfte gehören für marktfremde Akteure schlicht verboten. Wer aber soll das durchsetzen? Die jeweiligen Länder-Aufsichtsbehörden können ein Verbot kaum durchsetzen und sowohl Weltbank als auch UNO-Organisationen sind zu schwach. Voraussetzung wäre zudem, dass man das Problem ja als solches anerkennen müsste und diese Einsicht ist durchaus nicht gegeben.

Uns einfachen Konsumenten bleibt deshalb nur eines: lokal produzierte Produkte kaufen oder solche, die in direkter Partnerschaft zwischen Handel und Lieferanten hergestellt werden (vieles von Coop, Max Havelaar usw.), also unter Ausschaltung der Termingeschäfte und der über die Börse festgelegten Preise.

Angesichts dieser Tragödie sind solche Massnahmen zu wenig.

Publiziert im Stadtblatt Winterthur, Mai 2008