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Löhne rauf – Mieten runter! Zur Mindestlohndebatte. (Medienspiegel)

«Horrormieten, nicht Mindestlöhne fegen das Kleingewerbe weg»

Publiziert im «Work» 1. Mai 2014

Mindestlöhne würden dem Gewerbe das Genick brechen, behauptet der Gewerbeverband. Blödsinn, schreibt die Zürcher Gewerblerin Jacqueline Badran.

In der Nähe meiner Firma in Zürich gibt es einen Blumenladen mit wundervollem Sortiment, liebevoll arrangiert. Das Haus, in dem der Laden eingemietet ist, wurde vor wenigen Jahren verkauft. Geschätzt wurde es auf 800 000 Franken. Ausgeschrieben wurde es für ein Mindestgebot von 1,6 Millionen Franken. Schliesslich ging es für 3,8 Millionen Franken an eine Genfer Milliardärin, die für ihren in Zürich studierenden Sohn eine Bleibe suchte. Für den Blumenladen bedeutete dieser Handwechsel: 500 Franken mehr Miete im Monat – und keinen Lagerraum mehr.
Also mehr Miete für weniger Fläche. Das kommt einer Mietzinserhöhung von 30 Prozent gleich. Einfach so, ganz ohne Gegenleistung, ohne Investition und ohne Renovation. Die Geschäftsführerin des Blumenladens hat zwei Angestellte. Sie sagte mir, sie würde denen lieber 250 Franken mehr Lohn pro Monat zahlen anstatt der Milliardärin mehr Miete.

Gigantische Umverteilung

So geht es vielen im Gewerbe: Meine Coiffeuse zum Beispiel muss für «ihren» kleinen Salon stolze 3200 Franken Miete im Monat aufwerfen. Ihr Vorgänger hatte noch 1000 Franken bezahlt. Auch sie würde statt mehr Miete definitiv lieber sich und ihrer Angestellten einen Tausender pro Monat mehr zahlen. Das sind keine Einzelfälle. Diese Entwicklung hat System: Auch an der Zürcher Bahnhofstrasse haben höhere Mietzinsen das Kleingewerbe weggefegt. Der Lederladen, die Bäckerei Kleiner, der Blumenladen, der Goldschmied, die Apotheke – sie alle mussten gehen. Nicht wegen zu hoher Lohnforderungen, sondern wegen tödlicher Mietzinsverdoppelungen. Die Immobilienbranche nennt das «Ertragsoptimierungen». Auch im Kreis 4, an der Zürcher Langstrasse, leiden die Beizer und das Gewerbe an den massiv gestiegenen Mieten. Nicht die Mindestlöhne würden die Wirte an den Abgrund treiben, wie dies der Wirteverband behauptet. Sondern die Horrormieten.

Hier findet nachweislich eine gigantische Umverteilung von den Löhnen zu den Kapitaleinkommen der Immobilieneigentümer statt. Stark betroffen sind genau jene Branchen, von denen der Gewerbeverband behauptet, sie müssten ihre Betriebe aufgeben oder ihre Leistungen verteuern, sollte die Mindestlohninitiative am 18. Mai durchkommen: die Gastro- und Detailhandelsbranche. Was der Gewerbeverband dabei systematisch unterschätzt, ist die Fähigkeit der Wirtschaft, sich an neue Gegebenheiten anzupassen. Auf höhere Löhne kann das Gewerbe mit Effizienzsteigerungen reagieren, mit höheren Preisen oder tieferen Gewinnen. Oder es kann anderswo Kosten einsparen. Der Handlungsspielraum ist viel grösser, als ihn die Initiativgegner darstellen.

Politik zum Heulen

Und schon sind wir wieder bei den Mieten, einem zunehmend belastenden Kostenblock für genau jenes Gewerbe mit Tieflöhnen. Die Annahme der Mindestlohninitiative hätte mit Sicherheit zur Folge, dass sich das Gewerbe endlich gegen die massiv überteuerten Ladenlokale wehren müsste.
Statt die Mieten als gegebenen Kostenblock anzusehen. Ein Beizer wäre dann vielleicht nicht mehr bereit, 8200 Franken Miete für sein knapp 100 m2 grosses Restaurant zu zahlen. So, wie es ein Wirt bei mir im Quartier machen muss. Es ist zum Heulen, dass der Gewerbeverband die massiv
gestiegenen Mieten fürs Gewerbe nie anprangert. Dass er sich umgekehrt aber heftig gegen höhere Löhne stemmt.

Eigentlich müsste der Gewerbeverband nicht an hohen Mieten interessiert sein, sondern an kaufkräftigen Menschen. Also an höheren Löhnen. Logisch wäre demnach, wenn Gewerbeverbandschef Hans-Ulrich Bigler mit den Gewerkschaften fordern würde: «Mieten runter – Löhne rauf!» Das wäre nämlich im Interesse der Gewerblerinnen und Gewerbler, die Bigler zu vertreten vorgibt.

 

Und hier wieder ein gelebtes Beispiel:

Andys Tierhüsli wegen Mieten vor dem aus:

http://www.20min.ch/schweiz/zuerich/story/26663922