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Zum Steuerhinterziehungsgeheimnis (E-Maildebatte in der NZZ a.S.)

Publiziert am 8.November 2015 in der NZZ am Sonntag

 

Jacqueline Badran regt sich furchtbar auf, dass das Bankgeheimnis im Inland vorerst weiter gelten soll. Christian Wasserfallen sieht gute Gründe dafür

«Eine Ohrfeige für alle braven mittelständischen Leistungsträger»

Die E-Mail-Debatte

Jacqueline Badran

Das Steuerstrafrecht wird nun vorerst doch nicht angepasst. Das Steuerhinterziehungsgeheimnis im Inland bleibt also bestehen. Ich bin einigermassen konsterniert, dieser Entscheid ist doch ein erneuter Tritt ans Schienbein des breiten Mittelstands. Denn die Ehrlichen zahlen so die Milliarden Steuerausfälle der Unehrlichen. Werter Herr Wasserfallen, können Sie das mit Ihrem Gewissen vereinbaren?

Christian Wasserfallen

Der Mittelstand leidet nicht. Das Gegenteil ist der Fall: Es wollen sich schlicht nicht alle Leute vom Staat ständig in die Bücher sehen lassen. Gerade im Mittelstand gibt es oft komplexe finanzielle Verhältnisse, da kann etwas unabsichtlich falsch deklariert werden, ohne dass dabei ein Missbrauch im Zentrum steht. Eine klar andere Sache ist hingegen der Steuerbetrug mit absichtlichen Motiven. Ihre unnütze Radikalkur führt zu einer generellen Kriminalisierung aller unserer Steuerzahler, und das finde ich masslos übertrieben. Das wertvolle Vertrauensverhältnis zwischen Bürger und Staat sollte man nicht so leichtfertig aufs Spiel setzten.

Jacqueline Badran

Das Gros des Mittelstands hat einen Lohnausweis. Die Steuerbehörde weiss auf Franken und Rappen genau, wie viel jemand verdient, wem er was gespendet und wie viel er für Mobilität und Weiterbildung ausgegeben hat. Der Mensch mit Lohnausweis ist gläsern. Das Vertrauen der Steuerpflichtigen darauf, dass diese Angaben geschützt sind, ist riesig. Die Banken und Kreditkartenfirmen wissen bis ins letzte Detail, wo und wann ich etwas gekauft habe und wofür ich mein Geld ausgebe. Auch da vertrauen wir darauf, dass es keinen Missbrauch gibt. Ihr Argument, wieso die Steuerbehörde bei Verdacht auf absichtliche und schwere Steuerhinterziehung einen Saldo von Bankkonten nicht einsehen darf, erschliesst sich mir nicht. Welches Gut wird damit geschützt?

Christian Wasserfallen

Frau Badran, Sie liefern den perfekten Beweis dafür, dass wir eben gerade keine Änderungen im Steuerstrafrecht benötigen. Sie sagen: «Der Mensch mit Lohnausweis ist gläsern.» Warum sollten wir denn diese Leute zusätzlich unter Generalverdacht stellen? Das ergibt keinen Sinn. Es ist übrigens falsch zu behaupten, dass Steuerhinterziehung in unserem Steuerrecht straflos bleibt. Im Gegenteil. Wer absichtlich Steuern hinterzieht, wird gebüsst, und zwar in der Regel mit dem Einfachen der hinterzogenen Steuer. Geben Sie es zu: Sie sind eine Steuer-Voyeurin und wollen einfach allen in die Bücher gucken, um Stimmung zu machen. Ihnen geht es gar nicht um Gerechtigkeit, sondern um politisches Kalkül.

Jacqueline Badran

Nur findet man ja nicht heraus, ob jemand Steuern hinterzieht. Da nützen Bussen und Nachzahlpflicht nichts, die Sie übrigens letzte Session halbiert haben! Wir reden hier über Milliarden von Franken, die dem Fiskus jährlich entgehen und die die Ehrlichen zusätzlich zahlen müssen. Niemand redet von Generalverdacht. Zumal es für die Einsicht einen richterlichen Entscheid für den Einzelfall brauchte.

Christian Wasserfallen

Aber faktisch wollen Sie doch einfach mehr Kontrolle des Bürgers durch den Staat.

Jacqueline Badran

Nein, es geht nicht darum zu kontrollieren, ob zum Beispiel die angegebenen Autokilometer auch tatsächlich gefahren werden. Oder ob jemand ein paar Stunden schwarz arbeitet. Hier greift ja eben das Vertrauen zwischen Staat und Bürger. Das ist gut so und soll auch so bleiben. Es geht um die Aufhebung vom Unterschied zwischen Steuerhinterziehung und -betrug. Und die Einsicht bei schwerem Verdacht in den Saldo der Bankkonti. Wieso wollen Sie Sozialdetektive – wie ich übrigens auch -, aber kein Einsichtsrecht bei schweren Vergehen, das ja keinesfalls für alle gilt. Immer müssen Sie die Superreichen beschützen. Bei der Ausschaffungsinitiative ist einfacher Sozialhilfemissbrauch ein Ausschaffungsgrund. Von mir aus. Aber Sie, und mit Ihnen SVP und CVP, fanden gleichzeitig, Steuerbetrug, Geldwäscherei, Urkundenfälschung und Insiderhandel – also die Delikte der Vermögenden – seien keine Ausschaffungsgründe. Merken Sie, was Sie tun? Sie schaffen im Rechtssystem eine Zweiklassengesellschaft. Eine für die wenigen sehr Vermögenden, die faktisch andere steuerliche Möglichkeiten haben als die breite Bevölkerung. Und eine für alle anderen, namentlich für den Mittelstand. Statt ständig auf Gesetzesebene Privilegien für eine kleine Schicht zu verteilen, sollten Sie sich auf die ultrabürgerliche Tugend besinnen: Alle sind vor dem Gesetz gleich. Ich kann nicht verbergen, wie degoutant ich das finde. Sie beschützen Betrüger. Solche Politik ist doch unredlich und eine Ohrfeige für alle braven mittelständischen Leistungsträger.

Christian Wasserfallen

Es geht hier nicht um die Superreichen, sondern um alle. Bei der Steuerhinterziehung wird eben gerade kein Unterschied gemacht, wie hoch die betroffenen Beträge sind. Es müssen lediglich bestimmte Kriterien erfüllt sein, damit man gebüsst wird. Anders gesagt: Wenn ein Büezer Steuern hinterzieht, ist es das Gleiche, wie wenn es ein Millionär tut. Gleiches Recht für alle. Damit ist auch klar, dass Ihre abenteuerliche Argumentation scheitert. Zudem können Sie die von Ihnen behaupteten Milliardenausfälle ja gar nicht beweisen – diese basieren auf einer höchst unqualifizierten Grundlage. Der Bundesrat hat das bereits in mehreren Antworten festgehalten, denn es kommt ja beispielsweise auch die Verrechnungssteuer dazu. Ich bleibe dabei: Wir haben in der Schweiz keinen Notstand, der es rechtfertigen würde, alle unter Generalverdacht zu stellen und so das Vertrauensverhältnis zwischen Bürger und Staat zu beeinträchtigen.