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Vom Wohlstand profitiert vor allem eine kleine Minderheit

Gerhard Schwarz schreibt in der NZZ über eine aktuelle Studie des Dachverbandes der Schweizer Wirtschaft, Economiesuisse:

«Der Staat lebt von einer kleinen Minderheit»
Ansätze zu einer ganzheitlichen Betrachtung der Umverteilung

Dort ist zu lesen, dass der Staat in der Schweiz zu 57% von den Unternehmen und dem “reichsten” Fünftel der Bewölkerung finanziert wird. Die reichsten 20% der Steuerpflichtigen bezahlen 35% der Steuereinnhamen. Die NZZ interpretiert dies als “hohe Zwangssolidarität”. Sie folgert, alles sei mehr als gerecht und man dürfe Unternehmen und die Bezüger hoher Einkommen nicht vergrämen.

Man freut sich zudem über die „ganzheitliche Betrachtung“. Wirklich ganzheitlich?

Den Steurn und Abgaben liegen Vermögen und Einkommen zugrunde. Wenn man die redistributive Wirkung eines Steuersystems untersucht, dann darf man erwarten, dass die Ausgangsverteilung mit in die Betrachtung fliesst. Besonders dann, wenn man den „integralen Ansatz“ der Studie lobt, wie Gerhard Schwarz dies tut. Wenn diese nämlich ungleich verteilt sind, gibt es absolut keine Brisanz an dem Befund, dass die 20% Reichsten 35% des Steueraufkommens berappen.

Vom Wohlstand profitiert nur eine kleine Minderheit: Stark ungleich verteilte Vermögen und Einkommen in der Schweiz

In der Schweiz besitzen 0.19% der Steuerpflichtigen 20% des Vermögens. Rund 5% der Steuerpflichtigen (nicht der Bevölkerung! – sonst wäre es noch ungleicher) besitzen 50% des Vermögens. Auf die reichsten 10% entfallen rund zwei Drittel des Nettovermögens. (Da diese Daten aus den 1990er Jahren stammen, dürfte es heute noch etwas schiefer verteilt sein).

Beim Einkommen sieht es auch nicht wirklich nett aus. Der Anteil der einkommensschwächsten 10% der Bevölkerung am Gesamteinkommen beträgt gerade mal 2.4% und ist nur noch in den USA niedriger (1.9%). Die reichsten 10% der Bevölkerung verfügen über rund einen Viertel des Einkommens, und 5% der Bevölkerung konzentrieren gar 15% der Einkommen auf sich. (Auch diese Daten dürften sich seit den 1990ern nochmals deutlich verschärft haben).

Dass solche Verteilungen wie sie der sogenannte Markt hervorbringt, das Ergebnis einer effizienten Ressourcenallokation ist, wird in der politischen Debatte stillschweigend, ja fast schon unantastbar axiomatisch angenommen. Dem Markt wird dabei noch die Aufgabe zugeteilt, Leistungsgerechtigkeit herzustellen, was er unbestrittenermassen grundsätzlich nicht kann. Der Markt – und insbesondere oligopolistische Märkte wie wir sie immer häufiger vorfinden – produziert einen wesentlichen Anteil an reiner Umverteilung von unten nach oben.

Ich würde gerne die Economiesuisse und Gerhard Schwarz sehen, wie sie ins Schwitzen geraten, wenn sie solche Verteilungen von Vermögen und Einkommen mit “Leistungsgerechtigkeit” zu erklären versuchen. In einer äusserst rollenteiligen Wirtschaft ist es schwierig den Leistungsbeitrag eines Einzelnen zu definieren und erst recht zu messen. Deshalb ist es verständlicherweise simpler, einfach zu proklamieren, dass solche Einkommens- und Vermögensverhältnisse das Ergebniss von der Leistung eines jeden einzelnen ist und demnach gerecht. Diese Haltung lässt eine distributive Marktkritik gar nicht erst zu und mit einer solchen Perspektive sind Redistributionen über Steuern, die extrem ungleiche Ausgangsverteilungen leicht korrigieren, natürlich stossend.

Dann wird auch verständlich wieso in der politischen Debatte auf der rechten Seite die Meinung vorherrscht: „Alle Profitieren von den Reichen“ – wie Gerhard Schwarz weiter die Ergebnisse der Steuerstudie bewertet.

Angesichts der beschriebenen Ausgangsverteilungen und dem Faktum, dass die Wirtschaft seit Jahren boomt und die Reallöhne seit über 10 Jahren nicht gestiegen sind, ist diese Interpretation mehr als fragwürdig.

Je unklarer es ist, welchen Beitrag der Einzelne in einer arbeitsteiligen Gesellschaft zur gesamtwirtschaftlichen Produktion beiträgt, desto klarer müssen politische Verteilungsziele sein.

Aber nein. Die Gewerkschaften müssen den Bedarf an Minimallöhnen mühsamst legitimieren und begründen wieso die Arbeitnehmer auf der untersten Stufe der Leiter diese verdient hätten. Sozialhilfeempfänger müssen über jeden Franken und jeden Bedarf Rechenschaft ablegen. Jede steuerliche Redisitribution wird öffentlich debattiert und immer häufiger zum gnädigen Akt der Reichen erklärt, denen wir dankbar zu sein haben.

Ist es eine Eigenart unserer Zeit, dass eine Vermögens- und Einkommenskonzentration, wie sie in der Schweiz herrscht, nicht legitimiert zu werden braucht?
Woher kommen diese? Sind diese wirklich “verdient” worden? Ist der Leistungsbeitrag an die Wirtschaft von diesen Gruppen tatsächlich soviel höher?

Doch gerade die Vermögenskonzetration ist für ein auf dem Wettbewerbsgedanken beruhenden Wirtschaftsystem von besonderer Bedeutung. In einer am Leistungsprinzip orientierten Gesellschaft sollten Startbedingungen nicht nur formal gleich sein, sondern auch material. Machtpositionen sind systemwidrig. Dies ist der urliberale Gedanke.

Nein – die meritokratische Gesellschaft kann ihre Versprechen nicht einlösen. Eine distributive Marktkritik ist nötig und legitim. Dazu sind die Vermögens- und Einkommensverhältnisse offen zu legen (was heute keineswegs der Fall ist). Eine Gesellschaft braucht verbindliche moralische Werturteile, die von allen ihren Mitgliedern legitimiert und handlungsleitend sind. An diesen Werturteilen sind die Ergebnisse der Marktdistribution zu messen.

Zum Skandal werden dann nicht die ungleichen steuerlichen Belastungen, sondern die unglaublich ungleichen Vermögensverteilungen. Wenn der sogenannte “Markt” solche Verteilungen hervorbringt wie wir sie in der Schweiz haben, hat der Staat korrigierend einzugreifen. Und dies hat er sowohl bei den Spielregeln als auch redistributiv beim Endergebnis über die Steuern und Abgaben zu tun.
Tut er das nicht, sorgt er selbst dafür, dass die Grundwerte erodieren, von denen eine liberale und gerecht sein wollende Gesellschaft lebt.