Dauerbrenner News Kommentare – ein Lösungsvorschlag
31. Dezember 2012Seit Jahren schon sind die Kommentare auf den Online-Plattformen von Newsanbietern ein Dauerthema – insbesondere bei PolitikerInnen, Parteien und JournalistInnen. Viele Kommentare sind irrelevant, hetzerisch, mit falschen Angaben, diffamierend, kurz: qualitativ unter jedem Hund. Unerträglich, ist doch eine direkte Demokratie auf einen einigermassen zivilisierten Diskurs angewiesen.
Kürzlich Twitterte sogar der Satiriker Viktor Giacobbo:
Neuen Auftrieb hat die Debatte durch das Auffliegen von bezahlten Kommentatoren durch die Werbeagentur gegen die Abzokker-Initaitive, die die Debatte unter falscher Identität manipulieren sollten (Tages-Anzeiger: http://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/Wie-Gegner-der-Abzockerinitiative-die-Debatte-manipulieren/story/22791059 ). Neu daran ist eigentlich nur, dass die Personen bezahlt werden sollten. Dass aber Kommentare bestellt werden, die SVP Schulungen dafür macht und Textbausteine zur Verfügung stellt, die SP aktive Genossen aufruft Kommentare zu schreiben, ist kein Geheimnis. Dass viele unter falscher Identität schreiben ist schon lange Realität.
Konrad Weber veröffentlichte heute (31.12.2012) einen Blog (#kommentargate) in dem er sich klar für eine Beteiligung der JournalistInnen resp. Autoren an den Kommentaren aussprach.
Die Verlage müssen sich dringend etwas einfallen lassen, wollen sie tatsächlich etwas zur Qualität der politischen Debatte beitragen. Ich kann Konrad Weber nur unterstützen und folgendes Ergänzen:
1. Authentifizierung
Authentifizierung – hier die Prüfung der behaupteten Identität – kann auf verschiedene Weise geschehen: Mit erforderlicher Registration (und späterem Login), via facebook Identität oder gar nicht. Eine Identifikation des Kommentators würde sicher zu einer Qualitätssteigerung führen, denn die Gewissheit zumindest einer Redaktion bekannt zu sein, erhöht die Hemmschwelle zumindest für diffamierende Kommentare. Ich plädiere unterdessen klar für eine Registrationspflicht und zwar mit einer unter Angabe eines überprüfbaren Namens mit Adresse und nicht nur eines E-Mailaccounts. In kommenden Zeiten von Paywalls ist diese Hürde ohnehin kleiner werdend.
2. Kuratieren – redaktionelle Relevanzselektion
Kommentare müssen kuratiert werden, das heisst redaktionell ausgewählt werden. Dies kann prä- oder postmoderatetd sein, also vor oder nach Aufschaltung geschehen. Wie ist nicht so wichtig, hauptsache die Kommentare unter der Gürtellinie verschwinden. Entscheidend ist jedoch, dass in einem zweiten Schritt besonders relevante Kommentare ausgewählt und gesondert dargestellt werden – wie das z.B. die Tageswoche macht. Was gar nicht geht, sind user generierte Auswahlverfahren, so wie das der Tages-Anzeiger mit den „Beliebtesten Kommentare“ macht. Das ist nichts anderes als self fulfilling prophecy, also ein sich selbst verstärkendes Bewertungsmuster, wobei die frühen Kommentare systembedingt bevorzugt werden. Insbesondere greifen hier bei der Auswahl nicht Qualitätsmerkmale, sondern wie gut ein Kommentar eine unterschwelliges Meinungsgefühl wiedergibt. Und weiter: sie sind einfach manipulierbar. Sorry, geht gar nicht, abschaffen!
Hier können wir auch viel von den US-Qualitätesmedien lernen. Zum Beispiel Forbes wählt nicht nur spannende Kommenare aus, sondern die Autoren involvieren sich in die Debatte.
3. Mitdiskutieren: Autoren und Betroffenen Raum geben
Wobei wir schon bei dem nächsten Thema sind. Die Zukunft der News besteht unter anderem darin, dass sie interaktiver und dialogischer werden. Aber ausgerechnet Autoren und Betroffene (also Personen über die Berichtet werden oder im Artikel vorkommen resp. zitiert werden) bleiben aussen vor. Das ist schade, denn gerade dies täte der Qualität gut. Gerade weil in den Artikeln aus Platzgründen vieles weggelassen werden muss, könnte hier Raum geschaffen werden für Ergänzungen und Vertiefungen eines Themas. Dazu bräuchte es zudem mehr verfügbare Zeichen in den Kommentarspalten.
Am 8.8. 2012 schrieb Constantin Seibt im Tages-Anzeiger einen viel beachteten Artikel ( Der rechte Abschied von der Politik). Innert eines halben Tages wurde der Artikel (lang und eher komplex) 280 mal kommentiert. Zum Schluss hatte er 423 Kommentare.
Interessant an der Geschichte war aber, dass die relevanten Kommentare sich via Twitter auf die Plattform von Ronnie Grob verschoben. Es war auch auf dieser Plattform wo sich der Autor selbst (also Constantin Seibt) einschaltete und die Kommentare kommentierte. Der wirklich spannende Diskurs fand also an einem völlig anderen Ort statt. (und auch ich konnte mich mal wieder so richtig austoben).
Also bitte liebe Qualitäts-Medien: Authentifizieren, Kuratieren und Raum für echte Debatten schaffen. Sonst bleibt es unerträglich.