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Zur «Milchkuh-Initiative» (E-Mail-Debatte in der NZZ a.S.)

Die E-Mail-Debatte
publiziert in der NZZ a.S. vom 24.4.2016
«Wollen Sie das Auto nun allen wieder wegnehmen?»

Gregor Rutz

Liebe Frau Badran, in Zürich stehen wir nicht nur an Ostern oder Pfingsten, sondern das ganze Jahr im Stau. Ebenso am Gubrist, um Winterthur oder in Wetzikon. Dort kann die Oberland-Autobahn wegen Einsprachen von linker Seite nicht fertig gebaut werden. Nun haben wir zwar Ruhe auf der grünen Wiese, dafür leiden die Anwohner unter den permanent verstopften Dörfern und den Autokolonnen. Diese Staus kosten die Wirtschaft jedes Jahr 2 Milliarden Franken. So kann es nicht weitergehen. Das Geld, welches die Strassenbenützer über Steuern und Abgaben bezahlen, muss endlich zielgerichtet für die Strasseninfrastruktur verwendet werden. Würden wir alle Erträge aus der Benzinsteuer in die Strasse investieren, könnten wir viele Engpässe beheben. Mit der Vorlage zu Finanzierung und Ausbau der Bahninfrastruktur (Fabi) wurden über 6 Milliarden Franken für den öffentlichen Verkehr gesprochen. Für die Strasse verweigert die SP jeden Franken – die SP, die lange dafür kämpfte, dass sich jeder Arbeiter ein Auto leisten kann. Wollen Sie das Auto nun allen wieder wegnehmen?

Jacqueline Badran

Früher bedeutete das Auto eine Form von Freiheit für alle Arbeitnehmer. Heute priorisiert die SP tatsächlich den öffentlichen Verkehr. Zu Recht. Das Auto mit seinem Ottomotor ist komplett ineffizient. Kein Unternehmer würde sich eine Maschine anschaffen, die einen lächerlich kleinen Wirkungsgrad aufweist, die 95 Prozent der Zeit unproduktiv rumsteht und die zudem enorme nicht gedeckte Kosten produziert. Das ist kein kluges Konzept, auch wenn das Auto für viele Menschen einen sehr hohen emotionalen Wert hat. Deswegen unterstützen wir auch den neuen Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrs-Fonds (NAF). Das ist das Pendant zum Fabi-Fonds für den öffentlichen Verkehr. Er bekommt bisheriges und zusätzliches Geld, ist unbefristet und wird auf Verfassungsstufe festgelegt. Sie sollten zufrieden sein.

Gregor Rutz

Der Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrs-Fonds hat gute Ansätze, ist aber noch völlig ungenügend. Er soll zu einem grossen Teil über neue Steuern finanziert werden. So enthält er eine weitere Erhöhung der Benzinpreise um 4 Rappen pro Liter. Es ist mir ein Rätsel, wie Politiker aus FDP und CVP solch einer Vorlage völlig unkritisch zustimmen können. Die Milchkuh-Initiative gilt ebenfalls unbefristet und ist auf Verfassungsstufe – sie verhindert aber eine weitere Benzinpreiserhöhung. Gleichzeitig können sämtliche Projekte, die der NAF umfasst, realisiert werden. Dies ist nötig – denn bei aller Sympathie für den öffentlichen Verkehr: Weder Bauernhöfe noch Migros-Filialen haben einen Gleisanschluss. Sechzig Prozent der Güter werden auf der Strasse transportiert. Hier muss auch die SP die Realität akzeptieren.

Jacqueline Badran

Neue Einnahmen? Wohl eher längst fällige Anpassung. Der Mineralölsteuerzuschlag wurde seit 1974 nie erhöht, nicht einmal der Teuerung angepasst. Die reale Belastung der Autofahrer hat sich seit 1970 mehr als halbiert. Jetzt soll der Zuschlag von 73,12 Rappen um bescheidene 4 Rappen erhöht werden. Und der Verbrauch der Autos pro Kilometer ist zum Glück endlich zurückgegangen – netto wird also sehr viel weniger bezahlt. Ebenso wurden die kantonalen Strassenverkehrsabgaben seit Jahrzehnten nie erhöht. Der Strassenverkehr deckt seine Kosten bei weitem nicht. In der Stadt Zürich geben wir rund 300 Millionen Franken jährlich für die Strassen aus. Aus allgemeinen Steuermitteln – wie alle anderen Gemeinden! Obwohl die Hälfte der Zürcher Haushalte kein Auto hat. Wir dürfen keinen Landwert in die Parkplatzgebühren einrechnen. Die Gemeinschaft stellt somit gratis enorme wertvolle Flächen zur Verfügung. Eine CO2-Abgabe auf Treibstoffe haben wir auch nicht, trotz Milliarden ungedeckter Kosten wegen der Klimaerwärmung. Zudem verursachen Unfälle jährliche Kosten in Milliardenhöhe. Ihr Jammern entbehrt jeglicher Grundlage und die abstruse Milchkuh- Initiative ebenso. Das sehen sämtliche Parteien auch so – ausser der SVP.

Gregor Rutz

Die Milchkuh-Initiative ist einfach und logisch: Sie trägt dem Verursacherprinzip Rechnung. In den kommenden vier Jahren erwartet der Bund 5 Milliarden Franken mehr Steuereinnahmen. Umso wichtiger, jetzt zu schauen, wohin dieses Geld fliesst! Vergessen Sie nicht: Der öffentliche Verkehr könnte ohne Strasse nicht funktionieren. Rund 75 Prozent der mit dem öffentlichen Verkehr beförderten Personen nutzen die Strasse. Für das Gewerbe ist eine intakte Strasseninfrastruktur lebenswichtig – darum unterstützen etliche Wirtschaftsverbände diese Initiative. Von entlasteten Innenstädten profitieren zudem auch Fussgänger und Velofahrer. Es gibt also wirklich mehr als genug Gründe, Ja zu stimmen!

Jacqueline Badran

Danke bestens. Wir wissen um die Zusammenhänge von Schiene und Strasse. Deshalb unterstützen wir ja auch den bestens ausgestatteten NAF, der den von Ihnen geforderten Ausbau und Unterhalt der Strassen sichert. Dabei gehen wir weit über unsere Schmerzgrenze. Ich hab ja nicht einmal einen Bruchteil der nicht gedeckten Kosten aufgezählt. Denken Sie an den Lärm, der Millionen Menschen plagt. Denken Sie an die massive steuerliche Bevorzugung der Autofahrer mit dem Pendlerabzug, der die Kantone Milliarden kostet. Denken Sie daran, dass die Strassen die grössten Landfresser sind, nicht etwa die Einfamilienhäuser. Autofahrer werden systematisch gehätschelt und sind das Gegenteil von Milchkühen – der Name der Initiative ist eine unredliche Irreführung. Der neue NAF reicht völlig aus und macht die Initiative noch überflüssiger. Deshalb haben ja alle anderen Parteien auch die Nein-Parole beschlossen.