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Zur «Service-Public-Initiative» (E-Mail-Debatte in der NZZ a.S.)

Die E-Mail-Debatte
publiziert in der NZZ a.S. vom 22.5.2006
«Die Initiative ist vermutlich gut gemeint, aber total konfus»

Gregor Rutz

Liebe Frau Badran; die Diskussionen zur Initiative «Pro Service public» sind so verwirrend und konfus wie die Initiative selber. Linke Politiker sagen Nein, weil sie nicht wollen, dass der Service public eingeschränkt wird. Die Bürgerlichen lehnen die Initiative ab, weil sie keinen weiteren Ausbau des Service public wollen. Nationalrat, Ständerat und Bundesrat lehnen die Initiative durchwegs ab. Doch auch die Argumente der Befürworter sind gegensätzlich und widersprüchlich. Fazit: Diese Initiative ist so konfus, dass man ihr schlicht nicht zustimmen kann. Und wir brauchen dringend eine fundierte Diskussion zum Service public – in den verschiedensten Bereichen. Die technische Entwicklung macht viele staatlichen Leistungen überflüssig und ermöglicht gleichzeitig Wettbewerb und Innovation. Dies müssten wir Politiker vermehrt beherzigen – statt Heimatschutz und Bemutterungspolitik zu betreiben.

Jacqueline Badran

Wie schön, dass wir für einmal gleicher Meinung sind, werter Herr Rutz. Ja, die Initiative ist vermutlich gut gemeint, aber total konfus und handwerklich miserabel gemacht. Sie erreicht das Gegenteil von dem Beabsichtigten. Wird sie angenommen, gibt es keine einzige Poststelle und keine einzige saubere SBB-Toilette zusätzlich, im Gegenteil. Das Verbot von Quersubventionierungen wird die öffentlichen Dienste mehr als schwächen. Zum Beispiel kann die Postfinance den unrentablen Hauslieferdienst der Post in den Randregionen nicht mehr querfinanzieren. Das kann doch niemand wollen.

Gregor Rutz

Immerhin sind wir uns nicht nur über die wirre Formulierung der Initiative einig, sondern auch darüber, dass sie letztlich einen Ausbau des Service public anstrebt. Dies muss man all jenen sagen, welche meinen, ein Ja zur Initiative führe primär zur Senkung der Chefgehälter, während das eigentliche Tätigkeitsfeld der betroffenen Bundesbetriebe eingeschränkt würde. Noch einmal: Wir brauchen dringend eine kritische Diskussion zum Service public. Telekommunikation, Postdienstleistungen, Rundfunk – all diese Bereiche sind einem enormen und raschen technischen Wandel unterworfen, der viele Staatstätigkeiten überflüssig macht. Wir müssen für die Kunden und Konsumenten denken und nicht Heimatschutz betreiben. Mehr Wettbewerb führt zu besserer Qualität von Produkten und Dienstleistungen sowie zu tieferen Preisen. Dieser Diskussion sollte sich auch die SP stellen.

Jacqueline Badran

Und schon ist es vorbei mit der Einigkeit. Die Initiative führt zum Gegenteil von dem, was sie will. Sie führt zu einem Abbau und einer Verteuerung des Service public. Wenn die SBB-Immobilien nicht mehr 300 Millionen Franken jährlich für den Ausbau des Schienennetzes abliefern dürfen, werden unweigerlich die Billettpreise steigen. Dasselbe gilt für die Päckli- und Brieftarife, wenn die Postfinance nicht mehr quersubventionieren darf. Das macht diese Initiative zu einem Unding. Ganz uneinig sind wir bei ihren Privatisierungsgelüsten. Wir haben damals an der HSG gelernt, dass private Monopole und private Oligopole, wo wenige Anbieter einen Markt beherrschen, die schädlichsten Wirtschaftsformen sind. Grundgüter gehören darum ins Volkseigentum. Das sieht übrigens Ihre wie unsere Basis genau gleich.

Gregor Rutz

Es geht hier weder um «Privatisierungsgelüste» noch um Grundgüter, welche ins Volkseigentum gehören. Es geht schlicht um die Fragen des technologischen Wandels und der Notwendigkeit staatlichen Wirkens. Ist es im Sinne des Erfinders, dass die Post Raclette-Öfeli, Staubsauger und Kinderspielzeug verkauft? Ist es wettbewerbsverzerrend, wenn sich die Post im Versandhandel engagiert, die entsprechenden Bestellungen – im Gegensatz zu privaten Unternehmen – dann aber portofrei zustellt? Ist es nicht fragwürdig, dass die Swisscom in allen Tätigkeitsfeldern Marktanteile von weit über 50 Prozent hat und sich auf diese Weise private Anbieter vom Leibe hält? Wie viel Wettbewerb haben wir noch, wenn sich Swisscom und SRG mit Ringier zusammenschliessen, um eine gemeinsame Werbevermarktung zu betreiben? Hier geht es am Schluss nicht mehr um die Frage des Service public, sondern vielmehr um Wettbewerbsverzerrung und um Planwirtschaft. Und damit müssen wir nun echt aufhören – das ist von vorgestern.

Jacqueline Badran

Einverstanden, der technologische Wandel hat grossen Einfluss. Genau deshalb müssen wir unseren öffentlichen Dienstleistern Spielraum geben, damit sie ihren Grundauftrag erfüllen können. Es ist ja nicht so, dass diese nicht im Wettbewerb stünden. Man mag sich über Kinderspielzeug in Poststellen aufregen. Betriebswirtschaftlich gesehen nutzt die Post einfach ihre teuren Flächen besser aus und versucht so, den massiven Mengenrückgang bei Briefen und Paketen sowie beim Zahlungsverkehr am Schalter zu kompensieren. Und für allfällige Wettbewerbsverzerrungen haben wir schliesslich den Preisüberwacher. Nein, die Initianten von «Pro Service public» würden sich besser den echten Problemen und der Abzockerei zuwenden. Zum Beispiel den Machenschaften des Finanzkapitals, das private Monopole wie die Cablecom mit Fremdkapital gekauft hat, um dann den Kredit in der Bilanz der gekauften Firma zu parkieren und zwei Jahre später mit Milliardengewinnen weiterzuverkaufen. Kein Risiko, keine Leistung, und den Kaufpreis bezahlen die eingeschlossenen Kunden. Was für ein Irrsinn! Die Initiative löst kein einziges Problem, sondern schafft neue Probleme und zerstört unser austariertes System. Und bei allem Herummäkeln am Service public: Wir haben den besten der Welt. Darum ist die Initiative ohne Wenn und Aber abzulehnen.