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Zur Entwicklungszusammenarbeit (E-Mail-Debatte in der NZZ a.S.)

Die E-Mail-Debatte
publiziert in der NZZ a.S. vom 5.6.2016
«Hauptziel der Aussenpolitik müssen die Interessen der Schweiz sein»

Jacqueline Badran

In Artikel 54 Absatz 2 unserer Bundesverfassung ist die Pflicht zur Entwicklungszusammenarbeit festgeschrieben. Dort heisst es: «Der Bund . . . trägt namentlich bei zur Linderung von Not und Armut in der Welt, zur Achtung der Menschenrechte und zur Förderung der Demokratie, zu einem friedlichen Zusammenleben der Völker sowie zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen.» Ihre Partei torpediert diesen Verfassungsauftrag, wo sie kann. Friedensförderung und Klimapolitik lehnen Sie ab, die Menschenrechtskonvention wollen Sie kündigen, die Gelder für Entwicklungszusammenarbeit wollen Sie drastisch kürzen, Kredite für die Hilfe vor Ort lehnen Sie ab. Kurz, Sie treten unsere Verfassung mit Füssen.

Gregor Rutz

Bitte, liebe Frau Badran, bleiben Sie bei der Wahrheit. Weder sollen Menschenrechte aufgehoben werden, noch stellt jemand die Verfassung infrage. Im zitierten Verfassungsartikel geht es in erster Linie um die «Wahrung der Unabhängigkeit der Schweiz» – das war früher sogar das einzige aussenpolitische Ziel. Das blenden Sie gerne aus. Neu will der erweiterte Artikel 54 der Bundesverfassung, dass die Schweiz als neutrales, unabhängiges Land auf dem internationalen Parkett Akzente setzt, soweit das möglich ist. Staatsausgaben von derzeit 3,4 Milliarden Franken für die Entwicklungshilfe zeigen, dass man diesem Auftrag enormes Gewicht zumisst. Mir schiene es zielführender, die Ausgaben hier etwas zu reduzieren und dafür Schwerpunkte zu setzen: Weniger ist oft mehr.

Jacqueline Badran

Es werden ja Schwerpunkte gesetzt. Namentlich in Ländern, die uns geografisch nahe sind. Diese werden auch laufend überprüft. Aber ein dauerndes Ändern der Strategie bringt weder Erfolge noch Stabilität. Und von Ausgabenreduktion sollte keine Rede sein. Schliesslich haben sich alle Industrieländer – auch die Schweiz – verpflichtet, 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für die Entwicklungszusammenarbeit auszugeben. Diesen Anteil unterschreiten wir deutlich, und wir liegen damit im Mittelfeld.

Gregor Rutz

Bei über 1200 Projekten in über 100 Ländern von Schwerpunkten zu sprechen, ist gewagt. In die genannten Schwerpunktländer fliesst nicht einmal ein Drittel der Mittel. Wir verzetteln uns zu sehr. Und vergessen wir nicht: Entwicklungshilfe kann kontraproduktiv sein. Die Regierungen der betroffenen Länder hätten die Aufgabe, ihr Land aufzubauen und eine gesunde Volkswirtschaft sicherzustellen. Diese Pflichten werden immer wieder sträflich vernachlässigt, Hilfsgüter dankbar verteilt und das Entwicklungsgeld dann in ganz andere Bereiche investiert. Darum zahlt sich hier nur gut überlegtes Vorgehen aus.

Jacqueline Badran

Niemand sagt etwas gegen mehr Fokus und eine kluge Strategie. Und ich gebe Ihnen recht, dass Länder mit korrupten Diktatoren die Wirkung von Entwicklungsmassnahmen stark einschränken. Deshalb ist auch der Schutz von Diktatoren, die ihr gestohlenes Geld in der Schweiz bunkern, einzuschränken. Ihre Partei wollte das Gegenteil. Aber Entwicklungszusammenarbeit ist ja schliesslich keine Kuschel-Veranstaltung von Gutmenschen. Sie ist knallharte Wirtschaftsaussenpolitik und bezweckt hauptsächlich, neue Absatzmärkte für unsere Exportwirtschaft zu schaffen und wirtschaftliche Beziehungen zu verfestigen.

Gregor Rutz

Von «knallharter Wirtschaftsaussenpolitik» habe ich leider bisher nie etwas bemerkt in Bundesbern. Im Gegenteil: Es brauchte Jahre, bis endlich einmal etwas Druck ausgeübt werden konnte gegenüber Staaten, welche nicht einmal ihre kriminellen Bürger zurücknehmen wollten. Dies scheinen Ihre Parteikollegen nun immerhin eingesehen zu haben. Faktum ist und bleibt aber: Die Entwicklungshilfegelder steigen immer weiter an, ohne dass ein wirklicher Erfolg verzeichnet werden kann – die Migrationsströme sind ja so gross wie noch nie. Und gerade darunter leidet die Wirtschaft – sowohl die einheimischen Betriebe in der Schweiz, weil das Asylwesen Milliardenkosten verursacht und die öffentliche Sicherheit leidet, aber auch die Betriebe in den Herkunftsländern der Migranten, welchen die Arbeitskräfte fehlen, weil alle jungen Männer auswandern. Tolle Wirtschaftspolitik!

Jacqueline Badran

Ich gebe zu, der Entwicklungsstand namentlich in Afrika ist frustrierend. Genau das spricht aber dafür, das die Industrieländer ihre Anstrengungen erhöhen, weil die Menschen dort eine Perspektive brauchen. Entwicklungszusammenarbeit alleine reicht da nicht. Exportsubventionen der EU auf europäische Produkte wie zum Beispiel Fisch oder Hühnerfleisch, welche die lokale Produktion konkurrieren, sind wenig hilfreich. Ebenso beim Rohstoffhandel muss mehr in den Herkunftsländern hängenbleiben. Zudem müssen die Zölle auf verarbeitete Produkte aus Afrika gesenkt werden. Ohne fairen Handel wird das alles nichts. Aber dazu sind die Industrieländer auch über 50 Jahre nach dem Ende der Kolonialzeit nicht bereit. Afrika wird nach wie vor ausgebeutet.

Gregor Rutz

Solche Phrasen bringen uns nicht weiter. Bürgerkriege, Korruption und Staatszerfall in afrikanischen Ländern haben wenig mit Ausbeutung zu tun. Das Risiko ist vielmehr, dass unkontrollierte Geldflüsse aus dem Norden diktatorische Regimes und korrupte Clans am Leben erhalten. Die Entwicklungshilfe zeigt: Bezüglich Aussenpolitik müssen wir ganz grundsätzlich über die Bücher gehen. Und wir müssen das Hauptziel der Aussenpolitik endlich wieder nennen: die Interessen der Schweiz.