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Badran, ohne Filter – Portrait im St. Galler Tagblatt

Portrait publiziert im St. Galler Tagblatt am 18. 2. 2017

http://www.tagblatt.ch/nachrichten/schweiz/Badran-ohne-Filter;art120101,4907675

von Dominic Wirth

Badran, ohne Filter

WIRTSCHAFTSPOLITIKERIN ⋅ Es lag auch an ihrem Einsatz, dass die Linken die Unternehmenssteuerreform III bodigten: Jacqueline Badran, lautstarke Zürcher SP-Nationalrätin und Unternehmerin. Eine Politikerin, wie es sie in Bern nur einmal gibt.

Müde sei sie, sehr sogar, sagt Jacqueline Badran, dann lässt sie sich in ihren Bürostuhl fallen, eine Tasse Kaffee in der einen Hand, eine Muratti, unangezündet, in der anderen. Koffein und Nikotin, das ist so etwas wie ihr Treibstoff, und in diesen Tagen erst recht, denn die haben es in sich. Am Sonntag haben die Linken einen Sieg gefeiert, ihren grössten seit langer Zeit: 59 Prozent Nein zur Unternehmenssteuerreform III. Es war auch ein bisschen der Triumph der 55-jährigen Badran, obwohl sie das nicht gerne hört. Sie hat in Zeitungsinterviews mit Bürgerlichen gestritten und in Fernsehshows, trat an Podien auf und an Delegiertenversammlungen.

Dass die SP am Ende gewann, hat viele Gründe. Einer war die Wucht von Jacqueline Badran, Zürcher Nationalrätin, Unternehmerin und so vieles mehr, dass man gar nicht weiss, wo man anfangen soll. Immer und immer wieder wetterte die 55-Jährige mit der verrauchten Stimme über die Reform. Sie lieferte damit einen der Soundtracks für die linke Kampagne.

Eine Tochter des Zürichbergs

Am Sonntag, als der Sieg noch ganz frisch war, stand Badran im Abstimmungsstudio des Schweizer Fernsehens. Auch einer ihrer Lieblingsgegner war gekommen, Hans-Ulrich Bigler, der Direktor des Gewerbeverbands, der die Ja-Kampagne verantwortet hatte. Man stritt noch einmal herzhaft. Irgendwann, es ging gerade um eine höhere Dividendenbesteuerung und darum, wie sehr das dem Mittelstand schaden würde, war es kurz um Badran geschehen. «Seit wann lebt der Mittelstand von Dividendeneinkünften? Auf welchem Planeten lebst du eigentlich?», polterte sie.

Es war ein typischer Badran-Moment. Sie ist eine begnadete Debattiererin, schlagfertig und so überzeugt von sich und ihren Argumenten, dass sie zuweilen etwas Abschätziges hat, wenn sie in Kampflaune gerät. Und das passiert ihr, die sich als «extrem harmoniesüchtig» bezeichnet, oft. «Ich mache mir jahrelang einen Kopf, investiere unglaublich viel, bis ich etwas verstehe», sagt sie, «wenn ich eine Position errungen habe, dann ist sie auch pointiert.» Bei den Gegnern im bürgerlichen Lager ist Badran gefürchtet; sie sei blitzgescheit und wisse viel, heisst es dort.

Hinter Badrans Bürofenster verschwindet allmählich das Tageslicht aus der Zürcher Innenstadt. Die Politikerin ist zwar immer noch müde, ihre Augen verraten das und die tiefen Furchen rundherum. Doch sie redet jetzt und redet, 15 Minuten schon, 20 vielleicht sogar, den Kaffee hat sie kaum angerührt, nicht einmal die Zigarette brennt. Es geht um vieles, Badran rast von Thema zu Thema und mit beiden Händen durch die Luft. Irgendwann ruft sie: «Es gibt nur eine Lösung: Wir müssen diese ganze Steuervermeiderei verbieten, weltweit, auf OECD-Ebene, fertig.»

Badran ist die Linke, die den Kapitalismus überwinden will. Und sie ist auch: eine Tochter des Zürichbergs. Die Mutter Schweizerin, der Vater ein libanesischer Industrieller, der Stiefvater ein italienischer Graf; die Schulkolleginnen am Mädchengymnasium «FDP-Bildungsbürgertum vom Feinsten», wie sie erzählt. Sie schwärmt gerne von jener Zeit. Vom alten, reichen Freisinn, der sich verpflichtet gefühlt habe, etwas zurückzugeben. Der ein Gespür gehabt habe für den Ausgleich, das Fundament der egalitären Schweizer Gesellschaft. «Heute fehlt das total», sagt Badran, die mit ihrem Mann im Zürcher Stadtteil Wipkingen lebt.

Sie hat zwei Dinge mitgenommen aus dieser Zeit, den Mittagessen an den Familientischen von Wirtschaftsanwälten, den Skiferien in St. Moritz. Das eine ist der Unterschied zwischen Glück und Leistung und die Verpflichtung, die daraus entsteht. «Glück muss kompensiert werden, das habe ich am Zürichberg gelernt», sagt sie, «jene, die Glück hatten, schulden jenen etwas, die keines hatten.» Das andere ist der Wille zur Leistung. «Ich bin extrem leistungsorientiert», sagt sie, die jahrelang durch Wochenenden und Nächte krampfte, als sie ihre IT-Firma frisch gegründet hatte. Heute schläft sie etwas länger, vier Stunden statt zwei. Und dann gibt es ja noch: Zigaretten, 30 bis 50 pro Tag. Und Kaffee, 10, mindestens.

Jacqueline Badran und der Tod

In Badrans Büro steht Papier in vielen Stapeln, es gibt Aktenschränke und einen Bürotisch aus Glas, und natürlich klebt alter Zigarettenrauch im Raum unter dem Dach. Und dann sind da die vielen Relikte aus ihrem bunten Leben, in jeder Ecke gibt es ein paar. Das Bild der jungen Jacqueline Badran auf der Skipiste etwa. 16 Winter zog sie ins Engadin, um dort als Skilehrerin ihre beiden Studien zu finanzieren. Oder die Postkarte mit den Fachwerkhäusern in der St. Galler Schmiedgasse. Dort lebte Badran, während sie an der Universität St. Gallen studierte – die Kapitalismus-Kritikerin holte sich ihr Rüstzeug ausgerechnet in der Kaderschmiede der Wirtschaft. Badran war auch Eisenlegerin, Wirtschaftsförderin, Wildbiologin, Reit- und Bridgelehrerin. Mit ihrer Softwarefirma, die 28 Angestellte beschäftigt, hat sie sich mittlerweile etwas geschaffen, das sie «mein Baby» nennt.

Weil Badran, die sich einen «Gegenwartsmenschen» nennt, immer nur ein Tempo kannte, glaubte sie einst nicht, dass sie ihren 40. Geburtstag erlebt. Mittlerweile ist sie 55, doch dem Tod hat sie schon öfter ins Auge geschaut. Sie ertrank als Kind fast, stürzte später um ein Haar von einem Balkon, buddelte sich einst eigenhändig aus einer Lawine. Und kroch 2001 aus dem Wrack eines Flugzeugs, in dem 24 Menschen in einem Wald bei Bassersdorf starben. Badran will nicht werweissen, ob das alles jetzt Glück war oder Pech. «Beides, Glück im Unglück, so heisst es doch», sagt sie, die jeden Tag unter der Dusche danke sagt dafür, beim «Geburten-Lotto ein gutes Los gezogen zu haben».

Tränen im Bundeshaus

Für Badran ist dieses Glück eine Verpflichtung. Die Gerechtigkeit ist ihr grosses Thema; es hat sie in die Politik gebracht. Seit 2011 sitzt sie im Nationalrat, und es dauerte nicht lange, bis sie dort auffiel. Ihr grösster Erfolg ist der Kampf für die Lex Koller. Das Gesetz, dass den Kauf von Schweizer Immobilien für Ausländer massiv einschränkt, wollten im Parlament einst alle weghaben. Doch dann kam Badran, die sich schon während ihrer Jahre im Zürcher Stadtparlament als Immobilienpolitikerin einen Namen machte. Und kämpfte, weibelte, überzeugte. Am Ende sprach sich der ganze Nationalrat für die Lex Koller aus, obwohl Badran am Anfang nicht einmal die eigene Partei zur Seite stand.

Die Zürcherin sagt, das sei ihr grösster Sieg gewesen. Die Lex Koller bescherte ihr aber auch eine bittere Niederlage, 2014 war das, als Badran das Gesetz verschärfen wollte, im Ständerat aber scheiterte. Sie brach noch im Saal in Tränen aus und flüchtete auf die Bundeshausterrasse, den Ort, der ihr in Bern am liebsten ist. Man sieht von dort aus die Berge im Berner Oberland. Und man darf rauchen. Tränen im Bundeshaus, das gibt es nicht alle Tage. Aber Badran ist auch keine Politikerin, wie es sie alle Tage gibt. Sie fällt auf, weil sie sich nichts aus Kostümen und Kleidern macht. Weil sie im Nationalrat auch einmal die Hände verwirft oder den Kopf schüttelt, wenn ihr nicht gefällt, was der Ratskollege erzählt. Badran gibt es nur ungefiltert, und Leute wie sie ecken an im Berner Politbetrieb. Viele Ämter bleiben einem so verschlossen. Badran sagt, an solchen Dingen sei sie sowieso nicht interessiert. Sie ist nicht die einzige in Bern, die das behauptet. Aber ihr glaubt man es.