Kolumne #Korrigendum: Von der Macht der Worte (Teil I)
15. Oktober 2022publiziert in der Sonntagszeitung, 15.10.2022
Von der Macht der Worte (Teil 1)
Mit Begriffen lassen sich ganz bewusst politische Narrative kreieren. Deshalb müssen wir genau darauf achten, welche Ausdrücke wir wählen.
Menschen aus Politik und Medien ringen ständig um die richtigen Worte. Das haben wir gemeinsam. Welches Wort beschreibt einen Sachverhalt am besten? Aus der Wissenschaft ist bekannt, dass Worte immer Sinneswahrnehmungen auslösen. Sage ich zum Beispiel «Klimaerwärmung», löst das ein wohliges Gefühl aus, weil Wärme als angenehm empfunden wird. Sage ich hingegen «Klimaerhitzung», wird dies vom Gehirn mit störendem Schwitzen assoziiert. Das Bemerkenswerte daran: Das Gehirn kann sich nicht dagegen wehren. Darum sind die richtigen Worte so wichtig – weil sie die Weltbilder und gar die Empfindungen von Menschen prägen. Wäre es dann nicht umso mehr Kernaufgabe von Medien und Politik gleichermassen, solche alltagssprachlichen Wörter ständig auf ihren Wahrhaftigkeitsgehalt zu überprüfen?
Logischerweise etablieren sich auch falsche Bezeichnungen in unserem alltäglichen Sprachgebrauch. So zucke ich jedes Mal zusammen, wenn ich das Wort «wirtschaftsfreundlich» höre. Dieses Wort wird unbesehen von Politik und Medien flächendeckend gebraucht. Etwa, wenn es heisst, dies sei «eine wirtschaftsfreundliche Vorlage» oder «die wirtschaftsfreundlichen Parteien» (gemeint ist Mitte-rechts) hätten irgendetwas beschlossen. Mal ganz abgesehen davon, dass es «die Wirtschaft» als homogene Entität gar nicht gibt, ist dieser Wortgebrauch faktisch falsch. 63 Prozent unserer Wirtschaftsleistung macht der Konsum der privaten Haushalte aus. Wirtschaftsfreundlich wäre es demnach, für hohe Löhne und Renten und tiefe Zwangskosten wie Mieten zu sorgen, also die Nachfrage und Kaufkraft zu stärken. Die «Wirtschaft» sind also, wenn schon, wir alle, die von Lohn- und Renteneinkommen leben (die im Übrigen ja auch mit ihrer Leistung zusammen mit Kapitaleinsatz die Gewinne erarbeiten). Folgerichtig wären dann die Linken die «wirtschaftsfreundlichen Parteien».
Bei genauerer Prüfung stellt man überdies fest, dass in neun von zehn Anwendungen von «wirtschaftsfreundlich» eigentlich «eigentümerfreundlich» gemeint ist. Allein in den Steuervorlagen der letzten Jahre wurden oder wären immer die Kapitaleigentümer mit Steuerreduktionen subventioniert worden. Dahinter steckt natürlich die Botschaft, was gut sei für «die Unternehmen», was gut sei für «die Wirtschaft», ist gut für alle – das berühmte (und längst wissenschaftlich widerlegte) «Trickle-down-Argument». Nur: Ein Unternehmen ist die Gesamtheit von Arbeit und Kapital. Wenn man also etwa die Besteuerung von Dividendeneinkommen, Unternehmensgewinnen oder Stempelabgaben reduziert, dann ist das primär einmal «eigentümerfreundlich» und damit noch lange nicht bewiesen, dass das auch «wirtschaftsfreundlich» ist.
Wieso sagen wir es denn nicht
genau so, wie es ist? Ist es Unwissenheit,
Unachtsamkeit, Oberflächlichkeit, Absicht,
Boshaftigkeit? Oder von allem etwas?
Wieso sagen wir es denn nicht genau so, wie es ist? Ist es Unwissenheit, weil man die Worte nicht hinterfragen kann? Unachtsamkeit, weil es doch alle so sagen? Oberflächlichkeit, weil man zu faul ist, die Worte zu kontrollieren? Absicht, weil es so viel freundlicher tönt? Boshaftigkeit, weil es so besser ins Narrativ passt? Von allem etwas? Fahrlässig ist es, angesichts der Bedeutung von Worten, mit Bestimmtheit. Denn wer will schon das implizierte Gegenteil sein, nämlich «wirtschaftsfeindlich»?
In diesem Zusammenhang erschien neulich in der NZZ ein bemerkenswerter Artikel. Darin fragt der Autor: «Schlägt das Imperium zurück?» und beschreibt, wie die «Elite» der FDP die Frage umtreibt, wie mit ihrem «Verlust der Deutungsmacht» umzugehen sei. Die Linken seien «im ideologischen Kampf» viel «virtuoser» unterwegs, vor allem auf den sozialen Medien. Aufhänger war ein FDP-Anlass, an dem sogenannte Influencer prämiert wurden. (Dritter wurde ein Jungfreisinniger mit 79 Followern auf Instagram und 33 Likes für einen Post.)
Der Journalist witterte – sehr zu Recht –, dass sich «das liberale Milieu seit einiger Zeit neu formiert». Als Anzeichen nennt er unter anderem die von einflusssuchenden Milliardären finanzierten neuen Medien wie der «Nebelspalter» von Markus Somm. Dieser wird dann auch aus einer seiner Sendungen folgendermassen zitiert: «Die Bürgerlichen arbeiten nicht an den Narrativen, an den Grundsatzfragen. Man müsste viel öfter sagen, die SP sei eine wirtschaftsfeindliche Partei, jeden Tag sagen, jeden Tag sagen.» Als ob er ganz genau wüsste, wovon er da eigentlich redet.
Kern der zunehmenden Aktivitäten aber sei, dass das «Erfolgsmodell Schweiz» vor die Hunde gehe, und dagegen müsse man etwas tun. Mehr dazu, und wie das «Imperium» aussieht und ob es überhaupt «zurückschlagen» muss, in der nächsten Kolumne.
PS: Für diejenigen, die sich näher für die Macht der Worte interessieren, hier eine Leseempfehlung: «Politisches Framing» von Elisabeth Wehling. Das Buch liest sich wie ein Krimi.